Leute machen Kleider

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(c) Latrach Med Jamil  Clothes

Kleider machen Leute, Leute machen Kleider. Habt ihr mal darüber nachgedacht, aus welchen Gründen ihr anzieht, was ihr anzieht? Unser*e Autor*in Sabylonica macht ja ihr*sein Geschlecht nicht öffentlich. Deswegen eignet sich der heutige Texte sehr gut für ein kleines Experiment: Was verändert sich, wenn ihr euch vorstellt, ein junger Mann habe ihn geschrieben? Oder eine junge Frau? Eine nicht-binäre oder queere Person? Lasst uns gerne einen Kommentar da!

So leicht sich diese drei Wörter „Kleider machen Leute“ in den Verstand glühend markieren lassen, so einfacher sollte uns der Gedanke kommen, wie viele Wahrheiten sich hinter den Wörtern verbergen, wenn wir Kleider und Leute vertauschen und „Leute machen Kleider“ dastehen haben. Ganz anders als die Beschreibung Gottfried Kellers in „Kleider machen Leute“, dass Menschen sich durch Äußerlichkeiten wie Kleidung blenden lassen, möchte ich darauf hindeuten, dass vielmehr wir die Kleidungen machen. Dabei möchte ich das Thema nicht in Richtung Produktion, Modeveränderung, Modewellen und dergleichen lenken, sondern vielmehr aufgreifen, wie Leute Kleidungen kategorisieren. Und dabei spezifiziere ich mich in die Thematik von Schutz und Persönlichkeit durch Kleidung.

Ich verbringe viele Tage mit der Frage, was ziehe ich an? Und nicht im Sinne einer habgierigen Person, die der minimalistischen Philosophie den Rücken zugedreht hat und sich im Wahn nicht entscheiden kann, sondern vielmehr aus der Angst heraus. Wie das gemeint ist? Nun, ich habe viele Kleidungsstücke, die mir lieb sind, warum ich die aber nicht anziehe ist, dass sie auffällig, extravagant, kurz, lang, schlicht oder sonst irgendwie seien oder dass ich kurz, lang, dünn, dick oder sonst irgendwie sei. Eigentlich empfinde ich nichts dergleichen, aber die Leute um mich herum. So heißt es für meinen Schutzmechanismus im Umkehrschluss gleich zu empfinden, wie die Leute, weil ich mit vielen Reaktionen zu rechnen habe. Somit gehören zur Auswahl meiner Kleidungen Gedanken, wie welche Fortbewegungsmitteln ich benutzen, wie lange ich draußen sein, mit wem ich sein oder auf wem ich zutreffen, ob ich sitzen oder welchen Weg ich nehmen werde. Denn jeder Moment kann unangenehm werden, von den Blicken bis hin zu den Sprüchen, geschweige denn körperlichen Überschreitungen.

Dabei bevormunden Leute meine Intention der Kleidungen und entziehen mich widerwillig meiner Macht selbstbestimmt mich kleiden zu können.

Damit mich die Angst nicht verfolgt, trage ich Kleidungen, die nicht auffallen oder über die man nicht viel zu sagen haben könnte; wie als würde ich einen Umhang tragen, der mich schützen solle. Aber stattdessen fühle ich mich vielmehr gefangen und ich verspüre nicht den schützenden Umhang um mich, sondern fühle, als würde ich eine Gefängniskleidung auf meinem Körper tragen. Und ich bekomme durch mein Inneres das Gefühl, als wäre mir alles eng und mir drückt die Kleidung am Leibe. Und ich trage die Last mit mir.

Wenn ich aber wiederum Kleidungen trage, die ich möchte und Mut aufweise und den mittleren Finger an die Leute und die Pseudomoralvorstellung richte, die mich einschränken, würde ich zwar nicht das Gefühl haben Gefängniskleidungen zu tragen, aber mir würde das Gefühl im Gefängnis zu sein nicht erspart bleiben und mir wird ebenfalls alles eng und auch hierbei wird mir die Kleidung am Leibe gedrückt. Und auch hierbei trage ich eine Last mit mir. Und zwar die Gesellschaft.

Wie Keller gegen Ende seiner Novelle schrieb: „Aber eben durch alles das verändert sich das Wesen […]; sie sehen, wie gesagt, schon aus wie andere Leute; es ereignet sich nichts mehr unter ihnen“ und sind entraubt ihrer Identität und Persönlichkeit.

Das was wir als individuell zu betrachten denken, scheint sich mit kollektiv sehr nah zu stehen. Nicht weil keine Person bewusst individuell sei, sondern vielmehr, weil keine Person individuell sein kann. Und der Schutz bleibt eine Nadel in einer Wüste. Es ist der Schutz der eigenen Identität, Persönlichkeit, Selbstbestimmung und Würde, der nicht einmal als Fata Morgana in einer Wüste sichtbar ist. Doch das was als Fata Morgana kenntlich ist, ist die Sicht und irreale Wahrnehmung der Gesellschaft auf Kleidungen. Sie assoziiert Kleidungsstücke subjektiv nach ihrer Realität. Die Realität aber ist, dass die Gesellschaft zu Assoziierung beitragen und selbst das Produkt kollektiver Fremdbestimmung sind. Und das Urteilen und Fremdbestimmen sind die Verschuldung und Einschränkung ihrer irrealen Wahrnehmung. Genauso wie ihre irreale Wahrnehmung die Verschuldung und Einschränkung ihres Urteils und Fremdbestimmens sind.

Dabei ist dieser Aspekt von Selbstbestimmung durch Kleidung nur ein kleiner Teil vom Ganzen. Mir und vielen anderen ist der Schutz ein ewiger Mythos und ist verbunden mit einer Unmöglichkeit ihn zu erreichen. Was mir aber bleibt, ist das bedingungslose Bestreben selbstbestimmten Kleidens.

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Ich bin lediglich auf der Suche nach meinem reinen Sein und möchte den öffentlichen Raum als Plattform für die Tiefen meiner unentdeckten (Sehn-)Süchte nutzen und sie mit euch teilen.

One Comment

  1. Regt mega zum Nachdenken an, bin fasziniert von der Wortwahl und es wird auf jedenfalls die Wahrheit gesprochen. Immer stets sein Umfeld und sich selbst hinterfragen und reflektieren! :) Danke für den Artikel