Ausgezogen

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„Wo bleibst du, Lisa?“. Oh nein, nicht noch eine Nachricht von Max. Ich muss auch immer zu spät kommen. Schnell tippte ich ein paar beruhigende Sätze wie: „Ich komme, kannst dich schon mal ins Café setzen, bin gleich da!“ ein. So langsam müsste er mich schon kennen. Ich war noch lange nicht auf dem Weg. Schnell bürstete ich meine Haare, zog den Lippenstift nach und ging los.

Es dauerte nicht lange und Max fing an, mich mit seinen Nachrichten zu bombardieren. Um ihn nicht noch länger auf die Folter zu spannen, ging lief ich schneller und antwortete ihm nicht, um ihm nicht Hoffnungen auf meine baldige Anwesenheit zu machen. Ich war sowieso nicht in der Lage, ihm eine Antwort zu geben. Aus sicherer Entfernung beobachtete ich einen Mann, der im Stehcafé um die Ecke ein Mädchen meiner Altersklasse beäugte.

Sofort bekam ich eine Gänsehaut, als ich daran denken musste, dass ich gleich an diesem Mann würde vorbei gehen müssen. Kaum hatte ich diesen Gedanken mehrmals im Kopf durchlaufen, war ich schon am besagten Ort. Ich war nicht mehr weit von dem Mann entfernt und musste zu meinem Bedauern feststellen, dass er nicht alleine war. Neben ihm standen eine weitere männliche Person und eine total aufgetakelte Frau, etwa in meinem Alter. Musste ich jetzt die doppelte Folter durchmachen oder vielleicht sogar die dreifache?

Die beiden Typen hielten sich wohl für Alphamännchen. Ach wie souverän und selbstsicher standen die zwei da! Mit ihren Löwenketten um den Hals und den dicken fetten Uhren an den Armen. Ihre Autoschlüssel hielten sie lässig in den Händen. Natürlich waren beider Autos nur von den angesehensten Marken. Sie vermuteten wohl, dass sie mit ihren aufgesetzten Statussymbolen bei allen Frauen landen würden und, dass sie mit ihrem Geld alles auf der Welt kriegen könnten. Im Falle der aufgedonnerten Tussy schien das ja auch funktioniert zu haben. Sie sonnte sich ganz offensichtlich im Glanz der beiden Typen. Kaute lässig auf ihrem Kaugummi herum und schaute immer wieder bewundernd zu dem einen von beiden auf. Prahlen konnten sie auf jeden Fall, die beiden Machos. Dabei ließen sie wohl außen vor, dass sie nicht im besten Alter waren und ihre Bierbäuche nicht gerade von einem Adoniskörper zeugten. Außerdem hatten sie viel zu viel von ihrem Aftershave aufgetragen. Ich konnte es aus zwei Metern Entfernung riechen. Oder war das etwa ein Frauenparfum? Nein, viel zu herb! Um mein Inneres nicht nach außen zu kehren, guckte ich ihnen bewusst in die Augen. Es hielt sie aber beide nicht ab.

Im Gegenteil. Ich musste feststellen, dass ihre Körper offenbar immer mehr von diesen gewissen Hormonen ausschütteten, so dass sie allem Anschein nach nur an das Eine denken konnten. Denn plötzlich fing einer der beiden an, mir mit seinem linken Auge zuzuzwinkern. Der andere grinste erst dämlich und begann dann, wie ein bekiffter Neandertaler unverständliche Laute von sich zu geben. Die Tussy sah jetzt gar nicht mehr so begeistert aus. Wie musste man sich als Frau fühlen, wenn der Angebetete ganz unmissverständlich eine andere anbaggerte? Deutlich angenervt wandte sie sich ab und kramte in ihrem goldfarbenen Minihandtäschchen.

Ich spürte, wie sich mein Körper zusammenzog und sich ein Gefühl der Hilflosigkeit und des Ekels in mir breit machte. Die Blicke, die meinen Körper von oben bis unten musterten, bedrückten mich. So fühlte ich mich nur noch unwohler. Wie Ware, die begutachtet wird. Eine Puppe die im Schaufenster steht. Ein Stück Fleisch, welches auf seine Qualität geprüft wird. Man wird nur auf den Körper reduziert, nicht auf den Charakter, der jemanden ausmacht. Blicke, bei denen man sich nackt fühlt, obwohl man vollständig gekleidet ist. Schamlos ausgezogen eben.

Ich war mittlerweile längst an den Männern und der Frau vorbeigezogen, aber nichtsdestotrotz waren meine Gedanken bei der Situation von vorhin. Wieso werden vor allem Frauen so oft von solchen Typen angegafft? Man kann sich nicht mehr schick machen, ohne blöd angemacht zu werden. Und wenn dann mal etwas passiert, sollen die Frauen noch schuld sein, weil sie sich zu aufreizend gekleidet haben. Dabei könnten auch die Männer einfach mal lernen, ihre Augen bei sich zu behalten und nicht jeder Frau hinterher zu gucken.

Nach minutenlangem Aufregen kam ich dann auch mal am Café an. Max wartete sehnsüchtig auf mich. Das erkannte ich daran, dass er aufsprang, als ich den Raum betrat. Er fragte mich, wieso ich so spät kam. Ich erzählte ihm, was vorgefallen war. Es tat so gut, mit jemandem darüber reden zu können und zu wissen, dass sich ein anderer Mensch um einen sorgte.

Während er mir von seinem Wochenende erzählte, wurde mir bewusst, dass nicht alle Männer so drauf sind, wie jene, deren Bekanntschaft ich heute machen durfte. Man darf nichts verallgemeinern, auch wenn es leichter ist, als sich dem Thema zu stellen. Jedenfalls war ich froh, jemanden wie Max zu haben.

Text von Arjeta und Khadija

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