24 Wochen

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 Ich persönlich bin so, behindert sozusagen, ich fühle mich beschissen mit dem Film.

Die Story-Teller haben sich den Kinofilm 24 Wochen (Regie: Anne Zora Berrached, 2016) angesehen und sind zu neuen Gedanken in Bezug aus Schwangerschaftsabbruch und Inklusion gekommen.  

24 Wochen. Hart an der eigenen Substanz von Dennis Lange

24 Wochen ist ein Film zum Thema Abtreibung bei medizinischer Indikation „Behinderung“ eines Fötus’. Ein in der Öffentlichkeit stehendes Paar (Kabarettistin und Manager) mit Tochter bekommt Nachwuchs. Früh in der Schwangerschaft steht die Diagnose Trisomie 21 fest. Die Eltern informieren sich ausführlich über das Leben mit Behinderung. Es kommt zu Beziehungsstreits, Zuspruch und Ablehnung im Bekanntenkreis. Zuerst sieht es so aus als ob sie das Kind zur Welt kommen lassen wollen. Als jedoch noch ein Herzfehler diagnostiziert wird, entscheidet die Frau sich zur Abtreibung. Noch in der Klinik ist sie am Zweifeln.

Der Film zeigt das Thema Abtreibung sehr emotional. Es ist ein persönlicher Einblick in die Psyche der Familienmitglieder, insbesondere die der werdenden Mutter. Das Tragischste was gezeigt wird ist, dass eine Abtreibung in der 24. Woche eine herbeigeführte Totgeburt ist. Glücklicherweise fehlt im ganzen Film der mahnende Zeigefinger. Die Geschichte ist offen für alle Meinungen zum Thema Abtreibung bei Ungeborenen mit „Behinderung“. Des Weiteren bildet der Film eine gute Grundlage zu Themen wie Inklusion und Barrierefreiheit.

Ist Abtreibung nun Mord, Totschlag, Euthanasie oder Hilfe? Der Film gibt keine Antwort. Er zeigt, dass eine Meinung sich in der tatsächlichen Situation schnell ändern kann. Die letzte Entscheidung bleibt bei der Mutter. Für mich bedeutete Abtreibung eine „gute“ Möglichkeit ein Individuum vor seelischen und körperlichen Schmerzen zu schützen. Jedoch darf man jemand anderes die Entscheidung über das eigene Leben abnehmen? Und wann und wo beginnt das eigene Leben, Bewusstsein, Individualität? Leben ist fließend, und hier Grenzen zu setzen kaum möglich. Inklusion und Barrierefreiheit haben sich zwar gebessert. Aber immer noch ist Selbstständigkeit nicht gewährleistet. Mir wäre in meiner Entwicklung ein selbstständiges Leben das Wichtigste. Ich komme immer wieder an psychische Grenzen. Was ich als Mensch mit Behinderung nicht brauche, sind Mitleid, Betätschelung und Überfürsorge. Es wäre ideal, wenn sich das System bzw. die Gesellschaft den individuellen Anforderungen des „unperfekten“ Menschen anpassen könnte.

Durch den Film und die Beschäftigung mit seinem Thema bin ich von meiner festen und „positiven“ Meinung zu Abtreibungen abgekommen. Ein Entscheidung würde ich auch erst in der konkreten Situation fällen. Also: offen durchs Leben gehen!

 

Birgit Hohnen

Ich persönlich bin so, behindert sozusagen, ich fühle mich beschissen mit dem Film. Ich lebe schon immer mit meiner Behinderung. Mich macht das Thema traurig und wütend. Eltern, die sich um behinderte Kinder kümmern können, sollen das auch tun oder es in eine Wohngruppe schicken. Das ist nicht schlecht, sondern zum Besten. Die Eltern können dann nebenher immer noch für einen da sein. Und behinderte Kinder sind auch für ihre Eltern da. Man kümmert sich gegenseitig, damit es allen gut geht.

Meine Mutter hat mich in ihrem Herzen und hat mich lieb.

Ich wünsche mir mein Leben in der Familie genau so!

Für einige Eltern muss das schwierig sein so eine Schwangerschaft und Geburt mit behindertem Kind. Das kann ich mir vorstellen. Finanzieren und Verantwortung. Aber sie bekommen ja vielleicht einen Liebling. Jeder kann was daraus machen und das so beschließen.

Ich würde gerne laufen können, aber lieber leben als gar nicht. Reden kann ich und laufen mit Rollator auch. Lange Zeit saß ich nur im Rollstuhl, aber jetzt gehe ich mit dem Rollator. Das Wichtigste ist, dass man Freunde hat, Unterstützung, und dass man einfach füreinander da ist. Ich habe alles, was ich brauche. Mein Leben ist schön mit viel Anerkennung und Liebe. Viele Eltern sagen: Mein Kind ist so wie es ist. Das ist wichtig für das Zusammenleben.

 

Melanie Lux

Ich fand den Film brutal. Vor allem die Abtreibungsszene. Dabei fing alles gut an. Die Frau wollte das Kind zur Welt bringen, trotz Behinderung, und dann hat die Frau sich umentschieden und das Kind abtreiben lassen, im siebten Monat.

Der Film hatte mich total aufgewühlt und viele negative Gefühle ausgelöst. Ich bekam eine Stinkwut auf bestimmte Personen, die mich abgelehnt haben, und auf die ganze Welt. Ich stellte mir die Frage, warum in unserer menschlichen Gesellschaft eigentlich immer alles perfekt sein muss. Warum wollen Eltern nur perfekte Kinder? Dürfen Menschen nicht mehr behindert sein? Will diese Gesellschaft nur noch Menschen, die funktionieren?

Ich bin selbst mit einer Behinderung auf die Welt gekommen. Ich hatte Sauerstoffmangel und bin bei meiner Geburt blau angelaufen. Aber meine Mutter wollte mich trotzdem. Sie wollte, dass ich lebe, und diese Entscheidung war gut. Meine Mutter ist eine tolle Frau. Sie hat alles gemeistert, trotz der vielen Probleme und Schwierigkeiten. Im Alltag und auf der Straße muss ich aber oft erfahren, wie grausam es ist, wenn gesunde Menschen Menschen mit Behinderung ablehnen. Das macht mich traurig.

Trotz allem: Ich hätte mir lieber einen Film angeschaut, in dem eine Mutter ihr behindertes Kind zur Welt bringt. Das Leben ist doch ein Geschenk.

 

Michael Schumacher

Meine Mutter hatte mir irgendwann einmal erzählt, dass sie und mein Vater von meiner Besonderheit erfahren hatten, als ich mit drei Jahren im ersten Kindergarten war.

Eines Tages, als meine Mutter mich wie immer dort abgeholt hat, kam die Leiterin zu ihr und sagte, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Sie meinte, dass man überlegen müsste, ob ich mit meinem Autismus vielleicht in einem anderem Kindergarten besser aufgehoben wäre.

Für meinen Vater brach eine Welt zusammen.

Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie sich abends in der Küche besoffen hatten.

Ich lag schon im Bett.

Mein Vater hat geweint und sich nur selbst bemitleidet.

Meine Mutter sagte sich am nächsten Tag: So, jetzt musst du handeln und die schwierige Situation meistern.

Ihr ist das auch sehr gut gelungen.

Das Verhältnis zwischen meinem Vater und mir dagegen stand auf der Kippe.

Er kam mit meiner Besonderheit nicht klar.

Es gab hin und wieder Streit.

Meine Mutter hat sich immer bemüht die Spannungen aufzulockern.

Aber er hat sich immer mehr zurückgezogen und meine Mutter alles machen lassen.

Letztendlich ist wohl auch die Ehe meiner Eltern daran gescheitert.

Sein Selbstmitleid ging oft in Aggressionen über. Er hat manchmal so laut geschrien, dass sich Nachbarn beschwerten. Und er ist auch handgreiflich geworden gegenüber meiner Mutter.

Es gab auch schöne Momente. Manchmal haben wir uns auch gut verstanden.

Aber das Problem meiner Besonderheit und dass er damit nicht fertig geworden ist, stand immer zwischen uns.

Er hat mir nicht viel zugetraut.

Er war ein Bremser.

Wenn ich darüber jetzt nachdenke, finde ich, dass es auf jeden Fall gut war, dass er uns verlassen hat.

Wenn er bei uns geblieben wäre, hätte ich nicht die Erfolgserlebnisse, die ich heute habe.

Es ist auf jeden Fall jetzt gut wie es ist.

 

Dennis Seidel

Letzten Mittwoch waren wir Story Teller, also die Literaturwerkstatt von barner 16, im Kino und haben uns den Film 24 Wochen angeschaut. In dem Film ging es um ein Ehepaar, das ein behindertes Kind erwartet. Die Mutter hat es aber im letzten Moment abtreiben lassen.

Der Film hatte sehr viele Emotionen, so dass ich bei manchen Stellen weinen musste. Ich fand den Film mal witzig, aber auch sehr traurig.

Ich habe mich sehr betroffen gefühlt und habe sogar richtig doll geweint, weil mir der Film sehr an die Erinnerung an meine Kindheit ging. Ich konnte als Baby auch nicht mein erstes Weihnachten erleben, weil ich da im Krankenhaus lag. Meine Eltern waren sehr geschockt und wussten nicht, was sie machen sollten. Sie waren richtig durcheinander.

Ich würde anderen Leuten empfehlen den Film zu schauen, weil er sehr inhaltsreich und informationsreich ist.

Mehr dazu:

  • Alle Hintergründe zum Film findet ihr unter: 24 Wochen
  • Wie ergreifend die Pressevorführung für die Autorin Anna Mayrhauser vom Missy Magazin war, lest ihr hier.

Menschen mit Behinderung haben was zu sagen! Wir Story Teller sind die inklusive Schreibwerkstatt Story Teller aus Hamburg. Mit unseren Texten möchten wir von unseren Erfahrungen berichten, Denkanstöße geben und Selbstermächtigung voranbringen.