Für diesen Text hat sich unsere Autorin Lilith mit dem Thema Sexarbeit in Deutschland auseinandergesetzt. Wie steht es um die aktuelle Gesetzeslage, wie viele Sexarbeiter*innen gibt es überhaupt, und wie ordnet Lilith dies ein? All das lest ihr im Folgenden.
Pornotheater, „Teeklubs mit Spaß“, Lusthäuser so groß wie ganze Hotels. Dass derartige Einrichtungen die deutschen Straßen säumen, bekommt jede*r mit. Nicht umsonst bezeichnen Aktivisten wie auch einige Politiker Deutschland als reinstes Paradies für an bezahlter Befriedigung interessierte Männer. Denn: Die Prostitution ist in der Bundesrepublik bereits seit 100 Jahren legal. Besondere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Situation in Deutschland auch im 21. Jahrhundert durch das Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2001. Lediglich die Ausbeutung Prostituierter blieb strafbar. Alles andere: nach Gesetz unbedenklich.
Die Befürworter dieser erweiterten Legalisierung der Prostitution versprachen sich daraus eine bessere Kontrolle über diesen Sektor. So ist es seitdem z.B. möglich, sich als regulär Angestellte registrieren zu lassen und eine Sozialversorgung zu erhalten. Bislang haben sich jedoch lediglich 44 Prostituierte wirklich registrieren lassen. Und das bei einer Anzahl von 4000 bis vermuteten 1 Mio. Prostituierter in der Bundesrepublik. Die Krankenversicherung ist teuer, da es sich um einen „riskanten Beruf“ handelt und der Anreiz, sich offiziell zu melden, fehlt. Viele wollen zudem nicht, dass eine derartige Tätigkeit in ihrem Lebenslauf vermerkt werden muss. Denn, dies ist vielleicht die einzige positive Nachricht: ein Großteil der Prostituierten führt diesen „Job“ nicht dauerhaft, sondern nur temporär aus.
Schlimm ist jedoch die andere Seite der „Sexindustrie“. In vielen Städten stellen die dahintersteckenden Strukturen einen Teil der organisierten Kriminalität dar und werden von Gruppen, wie den Hells Angels oder United Tribuns dominiert. Kein Wunder, in einer Industrie, in der pro Jahr 15 Mio. Euro umgesetzt werden. Dies ist besonders durch die Entwicklung ganzer Bordellketten bedingt. Kunden werden diese in jeder deutschen Stadt ebenso einfach finden, wie es für Kaffeeliebhaber bei der Kette Starbucks der Fall ist und für Shoppingqueens für H&M und Zara gilt. Täglich werden in Deutschland aktuell 1,2 Mio. Männer bedient. Es gibt in diesem Milieu aufgrund der kriminellen Strukturen also nicht ausschließlich „freiwillige“ Arbeiterinnen, sondern immer noch ist der Menschenhandel keine Seltenheit. 70% des Menschenhandels in Europa wird mit Zwangsprostitution gedeckt.
Besonders Frauen aus Osteuropa werden nicht selten mit beruflichen Perspektiven als Kellnerin oder Hotelangestellte, nach Deutschland gelockt und folgen meist aufgrund ihrer finanziellen Not, diesem Aufruf. Angekommen in Deutschland werden sie zur Arbeit als Prostitutierte gezwungen und können einen Großteil ihres Gehaltes noch nicht einmal selbst einstecken.
Gleichzeitig darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alle Sexarbeiterinnen den Beruf aus Zwang oder aus finanziellen Nöten heraus ergreifen. Auch ist es wichtig, Menschen, die den Beruf selbst wählen, mitzudenken. Diese sollten keinesfalls stigmatisiert werden, dennoch bleibt es gerade bei einem solch intimen Berufsfeld wichtig, genau hinzusehen und die Hintergründe detailliert zu untersuchen. Und genau das wird zu selten getan:
Einrichtungen in denen derartige Damen arbeiten, können rechtlich nicht belangt werden. Die meisten Geschäfte vermieten „lediglich“ Räume an die Damen. Diese sind also ebenso Kunden, wie die die Einrichtung besuchenden Männer. Daraus folgt, dass für die Eröffnung eines Bordells weniger Regeln gelten, als für einen geplanten Supermarkt. Das Paradox: trotz des Verhältnisses zwischen den Frauen und dem Betreiber als „Kunde“ kann Ersterer Regeln festlegen, an die sich alle in seinem Haus Mietenden zu halten haben. Eine Beispielregel gefällig? Durchgehend nackt sein.
Einige Betreiber jedoch bleiben nicht untätig. Sie vermitteln Prostituierte an entsprechende Beratungsstellen und Hilfsnetzwerke, wenn sie mitbekommen, dass die Frauen einen „Arbeitgeber“ haben, der sie zwingt. Viele Freier im Gegensatz dazu, denen sich die Damen anvertrauen, trauen sich wiederum nicht, dies bei der Polizei zu melden. Zu groß empfinden sie ihr Risiko, dass aufgedeckt wird, wo sie sich abends aufhalten.
Hilfsnetzwerke bieten bislang besonders für den Winter warme Räumlichkeiten und Tee, ganzjährig jedoch Beratungsgespräche, Informationsmaterial und Verhütungsmittel an. Einige Vereinigungen stellen auch draußen Räumlichkeiten, ausgestattet mit Notknopf und Notausgang, zur Verfügung, sodass besonders Stricherinnen ihre Freier an einen sicheren Platz führen können.
„All inclusive: nur 100€“ „Eine Nacht im Traumkeller: nicht mehr als 30€“. Dass Frauen und ihre Dienstleistungen als Produkte angeboten werden, scheint heutzutage kaum noch jemanden zu stören. Auch Bestellapps für derartige Dienste sprießen genauso zahlreich in die Höhe, wie es in den Freizeitspielebereichen, oder bei Pizza vorm Fernsehen der Trend ist. Selbst „Sexflatrates“ sind heute genauso leicht wie Handyverträge erhältlich. Werbung findet sich in deutschen Städten überall. Steigt man in einer deutschen Großstadt in ein Taxi, trennt man beim Öffnen der Beifahrertür die Telefonnummer eines „Orientparadies“ mit dementsprechend anzüglichen Bildern und auch auf der Autobahn wird man durch mit Werbeplakaten ausgestattete LKWs nicht in Ruhe gelassen.
Der Markt ist hart. Es gibt nicht wenige, die bereit dazu sind, für schnelles, wohlgemerkt nicht einfaches Geld, ihren Körper als Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Konkurrenzkampf ist in der Folge dementsprechend angespannt. So kommt es, dass z.B. Frauen trotz der gesetzlichen Vorschriften nicht auf Verhütungsmittel bestehen. Wenn man den Kunden diesen Wunsch verweigere, so würden sie einfach zur Konkurrenz wechseln – und diesen Verlust können sich die meisten nicht leisten.
Dass die Legalisierung der „Erwachsenen-Unterhaltung“ in der Form, wie sie aktuell ausgeprägt ist, nicht wirklich Erfolg zu verzeichnen hat, wird besonders in einem internationalen Vergleich deutlich: Selbst wenn man die Anzahl der Prostituierten in Abhängigkeit der Einwohner betrachtet, weist Deutschland mehr Sexarbeiterinnen auf als Thailand oder das für sein Rotlichtmilieu besonders berüchtigte Amsterdam in den Niederlanden. In Ländern, in denen bezahlter Geschlechtsverkehr eine Straftat darstellt, wie z.B. in Norwegen, Schweden und Island ist die Lage deutlich kontrollierter als in der Bundesrepublik.
Nichtsdestotrotz muss man vorsichtig sein, wenn man das System der Legalisierung als das Non plus ultra herausstellen möchte. Dieser Ansatz muss keine Einbahnstraße sein, es besteht vielmehr die Frage, wie er umgesetzt wird. Eine Fehleranalyse der momentanen Situation wäre bereits der erste Schritt hin zur Besserung. Sind die Kontrollen nicht strikt genug? Gibt es zu wenige Regeln und Gesetze? Auch über EU-weite Regelungen wird diskutiert.
Warum aber wird in diesem Artikel fast ausschließlich von „Damen“ geredet, die ihre Körper auf dem Markt anbieten? Weil das der Realität entspricht. Es werden kaum sexuelle Dienste von Männern angefordert. Zwar gibt es Callboys und auch einige männliche Stricher lassen sich auf den Straßen erblicken, diese sind jedoch in der Unterzahl. Interessant dabei: Meist werden diese nicht etwa von Frauen angefragt, sondern von homosexuell orientierten männlichen Kunden. Frauen sind in diesem gesamten Apparat also sehr selten als Kunden beteiligt.
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