Gemeinsam Verschieden!

Marvin Glißmann Marrin
(c) Marvin Glißmann

Ausstellungen finden — wie so vieles — momentan ja ausschließlich online statt. Aber immerhin haben auf diese Weise ganz schön viele Menschen die Möglichkeit, sie zu besuchen! Unser Autor Tom hat sich die Vernissage zur Ausstellung „Gemeinsam verschieden“ der FH Bielefeld angeschaut und berichtet hier darüber. Er findet: Lohnt sich total! Also nichts wie los, schaut euch ein bisschen Kunst an! Oder werdet vielleicht gleich selbst kreativ? Mehr Infos dazu findet ihr am Ende des Texts 🤗

Studierende der FH Bielefeld zeigen, was Diversität für sie persönlich bedeutet. Gemeinsam verschieden“ ist eine Plattform für Projekte, die sich mit allen Facetten und Perspektiven von „Diversität“ auseinandersetzen will.

Divers, bunt, aber einheitlich traten am 22. Februar 2021 die Koordinator:innen und Studierenden des Projektes „Gemeinsam Verschieden“ der FH Bielefeld bei der Online-Vernissage via Zoom auf. Hinter ihren Gesichtern leuchtete das nie gedruckte Poster für die ursprünglich geplante physische und interaktive Ausstellung der zehn Projekte. So sahen die Teilnehmenden der digitalen Veranstaltung schnell, wer mit involviert ist und wer zusieht. Knapp 100 Menschen schalteten sich zu. 

Nachdem sie in den Begrüßungsworten vom Diversity Beauftragten des Fachbereichs Gestaltung Dr. Philip Rupp und Lore Funk vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. erste Einblicke der Entstehungsgeschichte von „gemeinsam verschieden“ erfahren konnten, wurde die Website präsentiert und somit der Ausstellungsraum dieser Vernissage eröffnet. Die Ausstellung bündelt diese Arbeiten und bietet ihnen eine Plattform“, so Dr. Philipp Rupp. „Sie soll zur Auseinandersetzung mit den verschiedenen Aspekten von Diversity anregen. Die Studierenden sollen dazu ermutigt werden, Fragen zu stellen und ihren ganz eigenen Zugang zu Diversity-Themen zu erforschen.“ Herausfordernd war dabei nicht nur die Übersetzung der Ausstellung im digitalen Raum, sondern auch mit den unterschiedlichsten Meinungen der Initiator:innen einen zielorientierten Entstehungsprozess basisdemokratisch voranzubringen, sagt Lore Funk. „Begeistert hat mich aber auch der Entstehungsprozess und die Kombination aus persönlichen Reflexionen und wissenschaftlich soziologischen Untersuchungen. 

Mit dem selbst ernannten Ziel, die Vielfalt der Hochschule Bielefeld sichtbar zu machen, wird die Plattform ins Leben gerufen. Dabei wurde den Künstler:innen, in diesem Fall den Studierenden der Abschlussjahrgänge des Fachbereichs Gestaltung, nicht das Thema „Diversity“ strikt vorgegeben, sondern die Inspiration und Umsetzung der Abschlussarbeiten war den Studierenden selbst überlassen. Letztendlich waren 10 der Projekte sehr nah an der Auseinandersetzung mit Diversität dran und wurden auf unterschiedlichste Art und Weise ausgedrückt. 

Besonders sticht dabei die Auseinandersetzung mit Körperformen von Isabel Pallas, sowie die Arbeit an sich selbst und gesellschaftlichen Geschlechtszuschreibungen von Marvin Glißmann heraus, die beide auch im Videocall der Onlineveranstaltung zugeschaltet waren. Im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der FH Bielefeld beschäftigt er sich mit der Rolle von „Countess Marrin“, die im knallpinken Kostüm, silbern glänzendem Haar und markantem Make-UP mit matt-roten Lippen bei ZOOM auftritt und auf einem Video der Plattform „gemeinsam verschieden“ chic C’est La Vie performt. Inspiriert von der Serie „Rupaul’s Drag Race“, spürt der Absolvent der FH Bielefeld in der weiblichen Rolle von Marrin schon früh, wie chic und elegant das Leben sein kann. „In Bielefeld trat ich so nicht in die Öffentlichkeit, das wäre aufgefallen.“ Heute lebt Marvin Glißmann in Berlin und will dort – nach dem Studium und seiner Ausbildung zum Haar- und Make-Up-Artist – Drag als professionelle Tätigkeit ausüben. Für ihn bedeutet Diversität freie Selbstbestimmung seines Auftretens und die Einordnung seines Geschlechts und seinen sexuellen Vorlieben, abseits einer heteronormativen Gesellschaft, auch wenn er anfangs Angst vor negativen Reaktionen und den gesellschaftlichen Stigmata „Drag Queen“ und „schwul“ hatte. 

„Mode sieht schön und besonders aus, egal an welchem Körper sie ausgestellt wird.“

Isabel Pallas nimmt Bilder von der Haute Couture bekannter Laufsteg-Labels wie Off-White und Prada und setzt sie mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms an diversere Körperfomen (Plus-Size-Models). Im Rahmen eines Seminarprojektes ihrer Masterarbeit untersucht sie die Rolle der Gesellschaft und der Bekleidungsindustrie im Bezug auf Body Shaming als Form der Diskriminierung. Dabei konzentriert sich Isabel Pallas auf Körperformen abseits der Normen, die von der Modeindustrie gesetzt werden. Sie entwickelt während ihres Studiums Kleidung für mehr gewichtige Körper, nachdem sie selbst bei einem Casting von Models gemerkt hat, dass Menschen abseits der gesellschaftlichen Körperformen und Größen nicht in die Kleidungsstücke passen, die sie entworfen hat. „Warum differenziert die Industrie und Gesellschaft heute noch das Spektrum der Kleidergrößen? Im Sinne der Gleichberechtigung ist das diskriminierend.“ Sie sieht Body Shaming aber nicht nur als Problem in der Modewelt, auch beispielsweise bei der Größe der Stuhllehne oder der Länge des Gurtes bei Flugzeugen und plädiert dafür, dass die Normgrößen eines Körpers auch von Kosument:innen grundlegend infrage gestellt werden sollten. Von Body Shaming betroffenen jungen Menschen rät Isabel Pallas die Bodypositivity-Bewegung in den sozialen Medien, die von Schwarzen, mehr-gewichtigen Aktivist:innen ins Leben gerufen wurde. „Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals auf die Bodypositivity-Blase zurückgreifen hätte können. Die, die Menschen aufgrund ihrer Körperform beschimpfen, haben vielleicht das Problem, nicht die Beschimpften. Das ist ein Kommunikationsthema.“ 

*Body Shaming bedeutet, jemanden aufgrund seiner körperlichen Erscheinung zu beleidigen oder zu diskriminieren. Das kann jeden Körper treffen, aber vor allem weibliche Körper werden bewertend und herablassend kommentiert. Es ist ein Irrglaube, dass Body Shaming nur dicke Körper betrifft (Fat Shaming) (Skinny Shaming), alte oder behinderte Körper werden Opfer von Body Shaming. Quelle: Marshmellow-Mädchen.de 

Neben den Aspekten der Projekte von Marvin Glißmann und Isabel Pallas stellt die Plattform „gemeinsam verschieden“ Vielfalt auf unterschiedliche Arten dar. Ziel ist es, eine diverse Gesellschaft kulturell vielfältig, sexuell vielfältig und innerhalb eines Genderspektrums, ebenso barrierefrei und inklusiv abzubilden. Die einzelnen Arbeiten überschreiten dabei Grenzen von Geschlechtern und Geschlechtszuschreibungen, wie in „Moments“ von Johanna Baschke, einer künstlerischen Reflexion ihrer eigenen Geschlechtsidentität als CIS-Frau “ oder kulturelle Grenzen, wie die Portraitreihe von Paul Koncewicz „I am not your ideologie“ über politische und gesellschaftliche Anfeindungen queerer Menschen und LGBTQIA*-freie Zonen in Polen. Grenzen von Barrieren im öffentlichen Leben, die mit ausfahrbaren „Beep Rampen“, von Betül Ügüden, Sarah Rehrmann und Chantal Schäffer von Rollstuhlfahrer:innen überschritten werden und Grenzen im Kopf, die in einem gesamtgesellschaftlichen und generationsübergreifenden Prozess überwunden werden können.

Da Diversität aber noch vielfältiger und von noch vielfältigeren Künstler:innen aus noch unterschiedlicheren Lebensrealitäten und Perspektiven ausgedrückt werden kann, soll diese Ausstellung nur der Beginn der Plattform „gemeinsam verschieden“ sein. „Wir sind Feuer und Flamme für weitere Projekte, sagt Lore Funk „Was fehlt, ist eine stärkere Auseinandersetzung mit Inklusion.“ Was aber auch fehlt sind Perspektiven von Menschen mit Rassismus-, Antiziganismus-, Islam- und Fremdenfeindlichkeit- und Antisemitismuserfahrung, von Ausgrenzung durch Langzeitarbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit. Sogenannte gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (hier in einfacher Sprache erklärt).

Die Initiator:innen von „gemeinsam verschieden“ rufen daher auf, eigene Projektideen bis zum 30.04.21 unter diversity@fh-bielefeld.de einzureichen. Alle bisherigen Arbeiten sind seit dem 22.02.2021 und für unbegrenzte Zeit unter www.gemeinsamverschieden.de einsehbar.

Moin! Ich bin Tom. Aufgewachsen auf dem Land in Bayern. Zuhause in Berlin. Neben meiner Arbeit als Journalist für Soziales und Gesellschaft begegnen mir im Alltag und Freundeskreis Themen, wie die Wahrnehmung von Geschlechterrollen, LGBTQ außerhalb Deutschlands und der Zeitgeist der Zukunft. Dabei stelle ich mir selbst und anderen Fragen. Die Antworten dazu oder die Erkenntnis, dass es meist keine eindeutige Lösung gibt blogge ich hier auf meinTestgelände.