Unser Autor Florian wagt für diesen Text ein Gedankenexperiment: Wie würde ein typischer Morgen in seinem Leben aussehen, wenn er kein junger Mann, sondern eine junge Frau wäre? Was wäre anders? Müsste überhaupt so viel anders sein? Welche sexistischen Gedanken verstecken sich möglicherweise im Kopf, welche Klischeefallen gibt es? Lest am besten selbst. Und wenn ihr Florian Hinweise geben möchtet, lasst uns gerne einen Kommentar da!
Was würde ich anders machen? Wenn ich schlafen gehe, gehe ich als junger Mann ins Bett. Wenn ich aufwache, wache ich als junger Mann auf. Ich mache alles als junger Mann, nur denke ich nie darüber nach. Wäre ja auch irgendwie seltsam, sich vorm Schlafengehen zu sagen „Ich bin ein Mann“. Fakt ist aber, dass ich genauso wenig darüber nachdenke, wie es wäre, wenn ich eine junge Frau wäre. Würde ich mich anders verhalten im Alltag, im Berufsleben, in der Freizeit? Würde ich alles genauso machen wie sonst auch? Ich möchte mich dieser Frage stellen und simuliere gedanklich einen simplen Morgen, wie ich wie ihn im Moment erlebe, nur halt als Frau. (Dazu gesagt, nur einen Morgen, weil ein ganzer Tag vermutlich den Rahmen sprengen würde.) Vielleicht klappt das auch gar nicht und wenn, stelle ich vielleicht sexistisches Denken bei mir fest oder bin so entsetzt, dass ich froh bin keine Frau zu sein. Es wird auf jeden Fall ein absurder Text, aber meine Gedanken sind eh immer absurd.
Beginnen wir den Tag am Morgen. Derzeit befinde ich mich im Praktikum in einer Kita, nur ein paar Minuten von meiner Wohnung entfernt. Für gewöhnlich stehe ich gegen 06:00 Uhr auf und mache mich fertig. Da ich aber jetzt eine Frau bin, stehe ich möglicherweise viel früher auf. Ich sage einfach mal, dass ich lange Haare habe, welche zottelig von der Nachtruhe sind und Zeit benötigen um hergerichtet zu werden. Mist. Schonmal eine Sache, die mir nicht gefällt. Früher aufstehen. Sagen wir, ich stehe um 05:00 Uhr auf. Ich gehe ins Badezimmer und dusche, wasche meine Haare und natürlich auch den Rest meines Körpers. Jetzt fehlt zwischen den Beinen aber etwas. Hm, da ist jetzt ein völlig anderes Körperteil. Was mach ich damit? Wäscht man das? Darf ich da mit Seife rein? Ich bin mir unsicher und gehe nur mal mit dem Duschkopf rüber. Besser als gar nichts, oder? Ich benutze für meine Haare Pflegeshampoo, weil ich von anderen jungen Frauen gehört habe, dass das total gut für die Haare ist. Glanz und so. Ich habe meine Körperreinigung beendet, ich steige aus der Dusche und schnappe mir mein Handtuch. Ich habe keinen extra Anhänger, ich glaube auch als Frau würde ich mein Handtuch auf den Boden werfen. Nun bin ich trocken und gehe in mein Zimmer, um mir Sachen rauszusuchen. Mein Kleiderschrank ist sperrangelweit geöffnet und ich nehme das oberste T Shirt. Einfach weil‘s oben liegt. Ich denk nicht weiter drüber nach und ziehe es mir an. Nun fällt mir aber auf, dass da noch was an mir rumbammelt. Verdammt, ich habe vergessen, dass ich Brüste habe und es vielleicht praktischer wäre, wenn sie nicht lose an mir rumhängen. Als Frau habe ich natürlich BH‘s und frage mich, was das für extra Kosten sind. Ich habe mich komplett angezogen, aber jetzt muss ich mich immer noch fertig machen. Damals, wo ich noch ein junger Mann war, da habe ich meine Haare abgerubbelt und trocken waren se. Jetzt stehe ich im Badezimmer und meine Arme verkrampfen, weil der verdammte Föhn meine Haare nicht trocken bekommt. Inzwischen haben wir es 6 Uhr. Meine Haare sind trocken. Naja, größtenteils… Da ich auch als Frau faul bin, entscheide ich mich dafür einen Zopf zu machen. Zöpfe sind einfach, solange sie nicht geflochten werden. Jetzt fehlt nur noch das Zopfgummi! Wo hab ich es denn? Ach egal, nehm ich ein neues. Zopf ist gemacht und ich bin fertig. Aber…soll ich mich schminken? Viele Frauen sind geschminkt… Na gut, ich male auf meine Augenbrauen und Puder mache ich auch rauf. Wimpern? Na gut. Leider bin ich nicht sehr geübt darin mich zu schminken, also sehen meine Augenbrauen irgendwie schief aus und ich glaube, ich habe zu viel Puder genommen. Verdammt! Egal, ich habe keine Zeit mehr, es ist fast 7 Uhr und ich muss mir noch Essen machen für den Tag. Achte ich jetzt eigentlich auf meine Ernährung? Will ich jemandem gefallen? Keine Ahnung, ich mach mir ein Vollkornbrot mit Salami, so wie jeden Tag. Plötzlich bekomme ich Bauchschmerzen. Woran liegt das? Das tut echt weh! Ich gehe auf die Toilette und muss feststellen, dass Blut in meinem Schlüpfer ist und ich anscheinend meine Tage bekommen habe. Ich bin genervt. Mein erster Tag als Frau und dann das. Ich nehme einen Tampon-… aber was für einen? Welche Größe? Was gibt’s für Sorten? Wie zur Hölle bekomme ich die aus ihrer Plastikverpackung??? Glücklicherweise finde ich heraus, wie ich diese Aufgabe zu bewältigen habe und kann mich, eher schlecht als gut gelaunt, auf den Weg zur Arbeit machen. Auf dem Weg steuere ich noch einen Drogeriemarkt an um mir noch Tampons und Binden zu kaufen, noch mehr extra Kosten und gar nicht mal so wenig. Ich laufe weiter zur Arbeit, über den Marktplatz, vorbei an Cafes und komme abrupt zum stehen. Vor mir hat sich ein Typ aufgebaut und möchte mich auf einen Kaffee einladen. Ich hab keine Lust, außerdem muss ich zur Arbeit. Das ist sogleich auch mein Argument die Einladung abzulehnen, „die 10 Minuten machen den Kohl doch auch nicht fett,“ ruft er mir hinterher, ich winke ab. „Arrogante Ziege, hast wohl deine Tage“, schreit er noch über den Marktplatz. Ich bin etwas perplex und merke dass mir keine Antwort einfällt. Als junger Mann hatte ich eigentlich immer etwas Schlagfertiges auf Lager, diesmal nicht. Das war mein Morgen als Frau. Ob ich durch diesen Gedankengang tatsächlich einen Einblick in das Leben einer Frau bekommen habe ist fraglich. Fest steht, dass ich tatsächlich doch froh bin, mich nicht mit monatlichen Schmerzen, BH-Größen, weiblicher Intimreinigung und Haaren auseinandersetzen muss, ebenso mit komischen Anmachen auf der Straße und dem Gefühl, diesen ausgesetzt zu sein.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und wenn Interesse besteht, kann ich ja auch noch meinen Mittag als Frau simulieren, um mit euren Tipps daran arbeiten, noch tiefer in diese nahe, aber doch fremde Welt einzutauchen.
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