CN: Gewalt in Beziehungen.
Unsere Autorin Marie schreibt über ihre Erfahrungen in einer toxischen Beziehung. “Ich habe mal gehört, dass ein emotionaler Entzug so schlimm für den Menschen ist, wie ein Drogenentzug.”, erzählt sie und beschreibt, wie vielfältig Gewalt sein kann. Eindrucksvoll vermittelt Marie die Kontrollsucht ihres Ex-Freundes und den toxischen Kontakt zu ihm. “Er hat mich nie geschlagen” ist ein erschütternder Bericht über emotionalen Missbrauch. Lest hier Teil 2.
Bei Gedanken an die Zukunft, an eine neue Beziehung, an Liebe, wurde mir ganz schlecht. Vielleicht war noch nicht genug Zeit vergangen, aber ich hatte solche Angst. Ich glaube, ich hatte Angst davor geliebt zu werden.
Ich konnte mich nicht mehr öffnen, obwohl ich es so gerne getan hätte. Wenn ich Komplimente bekam, das Gefühl vermittelt bekam, respektiert zu werden, ernst genommen zu werden, wusste ich gar nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich wurde innerlich panisch, wollte aus der Situation flüchten.
Und mir kamen die Tränen darüber, dass das so war.
Ich hatte es nicht mehr unter Kontrolle.
Natürlich wollte ich geliebt werden und ich wollte lieben. Aber ich spürte nichts mehr und hatte solch einen Fluchtinstinkt, wenn ich mir vorstellte, von jemand anderem geliebt zu werden. Vielleicht hatte ich das Gefühl, ich würde es nicht verdienen, besser behandelt zu werden, als bisher.
Vielleicht vermisste ich die Kontrollsucht eines Mannes, die krankhafte Eifersucht, weil ich mich daran gewöhnt hatte und es zur eigenen Sicherheit als eine Art seiner Zuneigung gesehen hatte.
Ich war verwirrt, wusste nicht mehr, was richtig und was falsch war.
Die Trennung im Oktober 2018 war nun ein paar Monate her.
Leider gab es da eine bestimmte Sache, die so gravierend und prägend war, dass ich selbst Monate nach der Trennung noch nicht loslassen konnte, weil ich es gewohnt war von ihm:
Er ging und kam.
Ging und kam.
Immer und immer wieder.
Einen Kreislauf, den ich aus der Beziehung kannte, dass er ging, wenn er nicht mehr wollte und irgendwann wiederkam. Das war die besagte, ruhige Phase, bis er wieder ging.
Und dann wieder kam.
Und wieder ging.
Das hat sich so gefestigt in meinem Kopf, diese intermittierende Bestärkung, dass ich nach der Trennung immernoch dieses wartende Gefühl hatte, dass er wieder kommt. Obwohl die Trennung so endgültig war, mit komplettem Kontaktabbruch, jeglichen Blockierungen in sozialen Medien, jeder Mensch hat gesagt „Marie, er kommt nicht wieder, es ist eine endgültige Trennung“, aber ich kannte es anders von ihm!
Ich habe in diesen drei Monaten nicht gelebt innerlich. Ich habe extrem abgenommen und war wie leer. Ich hatte Entzugserscheinungen in Form von Blasen auf der gesamten Haut. Dieser emotionale Entzug von einer Person, die mich nur kontrollieren wollte, war das, was vorher mein Leben war und das war weg. Wie sollte ich weiterleben, ich kannte das Leben einfach nicht mehr.
Ich habe mal gehört, dass ein emotionaler Entzug so schlimm für den Menschen ist, wie ein Drogenentzug.
Und nach drei Monaten ohne Kontakt war es soweit, es kam eine E-Mail, dass er mit mir reden – und einen Neuanfang möchte.
Es hat sich bestätigt. Ich wusste es. Meine permanente Nervosität, dass ich doch irgendwie gewartet habe, hat sich bestätigt.
Es ging so schnell, plötzlich haben wir Kontakt gehabt, viel geschrieben, ein Treffen ausgemacht, an dem ich sogar Blumen bekam. Fotos von uns hatte er auch dabei. Und Salat. Aus unserem Stamm-Restaurant.
Es hat mich überrumpelt. Es gab kein Gespräch, wir haben uns nicht ausgesprochen, es hat sich angefühlt, als wenn er einfach schnell einen kleinen Erfolg wollte. Meine Wunden waren präsent, der Schmerz war da, über den ich reden wollte. Ich wollte wissen, warum alles so gekommen ist, wie es gekommen ist. Das wurde ihm aber zu viel. Welch eine Überraschung. Er wollte einen Neuanfang.
Ich wollte, dass er sich erst bessert und eine Therapie macht, um mich (Frauen allgemein) besser zu behandeln. Die Stimmung kippte, er machte wieder zu und war weg.
Nur zwei Wochen nach diesem Kontakt war er wieder weg.
Das gleiche Muster wie immer. Kompletter Kontakt weg aber ich automatisch in Warte-Haltung. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, ich konnte nicht loslassen, ich war das Warten gewohnt und ich war es gewohnt, dass er wiederkommt.
Ich war wie eine Taube, die vor ihrem Futtertrog sitzt, aus dem in ungewissen Abständen ein Korn kommt, auf das sie wartet, egal wie lange es dauert.
Denn ein Korn wird kommen, das hat sie gelernt. Sie weiß nur nicht, wann.
Deswegen sitzt sie da und wartet.
Egal wie lange.
Man nennt es intermittierende Verstärkung.
Ich war jeden Tag nervös, habe meinen Schmerz kompensiert. Meine Gedanken drehten sich immer nur um ihn und darum, wann er denn wiederkommt. Er kommt wieder, das wusste ich.
Ein Monat nach dem letzten Kontakt verging.
Zwei Monate, drei Monate, vier Monate. Dann kam der 14. Juni 2019 und während ich auf dem Bett lag und mal wieder in meinen Spam-Ordner schaute, hatte das Warten plötzlich ein Ende.
Es hat sich angefühlt, als würde ein Schwall LEBEN in meinen Körper strömen.
Plötzlich hatte alles wieder einen Sinn. Ich habe wieder gefühlt und gelebt, ab dieser Sekunde.
Wieder eine E-Mail. Wieder hat er angeblich viel nachgedacht, wieder hat sich angeblich etwas geändert und wieder vermisste er mich.
Dasselbe Gelaber wie schon fünf Monate davor.
Aber so labil und naiv wie ich war, war das das Schönste, das hätte passieren können.
Der Kontakt war wieder da, auch ein Treffen wollte er wieder aber natürlich nicht so schnell, denn er hatte nicht viel Zeit (Wir halten fest: Er hat sich keine Zeit nehmen können für mich, in Kombination mit der angeblichen Wichtigkeit seiner Kontaktaufnahme nach so vielen Monaten) und war kurz darauf erstmal einige Wochen im Urlaub.
Auch danach hat er sich nicht mehr gemeldet. Der Kontakt war wieder weg, bis ich mich kurz darauf mit einem alten Freund traf, der gleichzeitig auch sein Freund ist. Und siehe da: Es kam eine E-Mail, ob ich mich lieber mit seinem Freund treffen würde, als mit ihm. Ja. Ich wollte mich gerade mal wieder mit meinem Kumpel treffen.
Und an den folgenden Treffen war er immer dabei. Ein komisches, vertrautes Gefühl.
Wir schrieben wieder öfter und vertraut. Die Trennung war bereits ein Jahr her.
Es hätte so schön sein können, wenn ich nicht gewusst hätte, wie er war. Toxisch. Einfach gefährlich für Menschen mit Gefühlen. Komischerweise blieb der Kontakt diesmal länger erhalten aber er wollte sich einfach nicht öffnen. Ich habe also nichts anderes getan als in der Beziehung: Gekämpft.
Wozu hatten wir den Kontakt, was sollte der bringen? Eine Freundschaft hätte ich nie im Leben mit ihm geführt.
Ich war es gewohnt gegen Wände zu rennen und mir klar zu werden, dass ich nichts wert bin. Ich bin es nicht wert, dass man sich für mich entscheidet. War ich diesmal wieder nur eine Hintertür?
Was zur Hölle war ich für ihn und wieso mache ich das immer wieder mit?
Diese Momente, auf die ich immer gewartet habe, dass etwas Nettes kam, etwas, das mir Hoffnung machte, waren für mich das Schönste, was passieren konnte.
Das war so erbärmlich.
Kurz vor meinem Geburtstag habe ich eine Nachricht bekommen: „Tust du mir noch einen letzten Gefallen?“ Und als ich gefragt habe, um welchen Gefallen es ging, kam die Antwort, dass er mich noch ein letztes Mal küssen will.
Wie kann man so sehr mit Gefühlen spielen?
Ich habe ihm diesen Gefallen nicht getan. Und darüber bin ich bis heute stolz.
Aber stark war ich noch lange nicht. Er hatte mich so lange nach der Beziehung noch unter Kontrolle. Ich habe ihn so geliebt und weiß nicht warum?!
Der Kontakt musste bestehen bleiben, damit ich ein Gefühl von Leben habe aber gleichzeitig war es so toxisch.
Und um mich endgültig zu zerstören, habe ich etwas getan, was wohl kaum jemand verstehen würde:
Ich habe vorgeschlagen, dass wir verreisen. Zu viert. So, wie wir früher verreist sind. Er, sein bester Freund, ich und der Papa meines Sohnes (mit unserem Sohn).
Und wir haben es getan. Ich habe, glaube ich, mal erwähnt, dass ich Meisterin bin, mich psychisch selbst zu zerstören.
Alle sind mitgezogen, niemand hat die Reißleine gezogen und dann waren wir plötzlich an der Ostsee. Habe ich mir gewünscht, dass er dort endlich zur Vernunft kommt, damit wir wieder zusammen sein können? Es ist natürlich nichts dergleichen passiert.
Zurück in Berlin wollte ich endlich wissen, was nun passiert, weil es mich alles einfach nur noch verletzte. Er wusste nicht, was er wollte. Wow.
Er wollte sich dann doch nochmal mit mir treffen: „Du wirst dich freuen, es wird nichts sein, was dich verletzt“.
Hatte sich das Kämpfen gelohnt? Es sollte mich nicht verletzen? Dann kann es nur etwas Gutes bedeuten und mir fiel ein Stein vom Herzen! Ich konnte gut schlafen, es ging mir einfach gut.
Natürlich hatte er für dieses Treffen aber erst in zwei Wochen Zeit.
Egal, so blieb meine gute Laune wenigstens zwei Wochen bestehen, dank der Vorfreude.
Einen Tag vor dem Treffen hat er abgesagt.
Wir haben seit über 1 1/2 Jahren keinen Kontakt mehr.
Mehr dazu:
Den ersten Teil von Maries Bericht findest du hier.