Zackie Oh

20220527_ZackieOh (humanlibrary.org)
humanlibrary.org

Am 21. September 2018 ist Zacki, ein griechischer LGBTQ+-Aktivist, in Athen umgebracht worden. Eine homophobe Attacke mitten im Zentrum der griechischen Hauptstadt. Über den Tag und die Hintergründe berichtet Isabella und auch über dasempörende Gerichtsurteil.

Athen. Wir schreiben den 21. September 2018.
Durch die noch vom Sommer aufgeheizten Straßen ertönen schon mittags wirre Stimmen und Parolen. „Da wurde jemand umgebracht“, heißt es. Mitten im Zentrum der Wiege der Demokratie, in einem Juwelier in der Glastonos Straße, kam es am helllichten Tag zu einem Mord. In den nächsten Stunden werden Details der Tat bekannt, die eine Welle von Ereignissen lostreten. Den Menschen Athens wird allmählich klar, dass dieser Mord nicht von der Öffentlichkeit unkommentiert bleiben kann. Riesige Menschenströme versammeln sich innerhalb nur weniger Stunden im gesamten Zentrum der Stadt, um zu demonstrieren und gemeinsam zu trauern. „Die Schweine haben Zackie getötet. Zak ist tot.“, heißt es.

Das Opfer? Es handelt sich dabei um den Aktivisten Zak Kostopoulos*, der in der Stadt ebenfalls unter seinem Drag-Namen, Zackie Oh, einen redlichen Bekanntheitsgrad erlangt hatte. Eine zentrale Figur in der Solidaritätsbewegung für die LGTBQ+ Gemeinschaft, HIV-Positive, Sexarbeiter*innen und Migrant*innen.
Sofort wird klar, dass es sich bei dem Verbrechen um eine homophobe Attacke gehandelt haben muss. Stündlich kommen mehr Informationen über den Tathergang ans Licht, die Stimmung kippt. „Η Ζάκι ζει, τσακίστε τους ναζί“ [dt.: Zackie lebt, zerschmettert die Nazis!] lautet die Parole der Demonstration.

Die Täter? Der Besitzer des Juwelierladens und einer seiner Kunden, der eines der führenden Mitglieder einer rechtsextremen Partei in Griechenland ist. Beide behaupten, Zak hätte den Juwelierladen betreten, um ihn bewaffnet und im Drogenrausch auszurauben. Die forensischen Untersuchungen, Augenzeugenberichte und Aufnahmen von Sicherheitskameras zeigen jedoch ein völlig anderes Bild. In Zak Kostopoulos‘ Blut wurden weder Spuren von Drogen gefunden, noch ließen sich seine Fingerabdrücke auf den im Laden sichergestellten Messern finden. Viel eher scheint es, dass sich Zak auf der Flucht vor einer homophoben Attacke auf der Straße hilfesuchend in das Geschäft geflüchtet hat. Die Kameras zeigen, wie er von den beiden Tätern gelyncht wird, während er mit letzter Kraft versucht, die Glasfront des Juwelierladens von Innen mit einem Feuerlöscher zu zerschlagen, um ihnen zu entkommen. Als es ihm endlich gelingt, durch das gesprungene Fenster ins Freie zu gelangen, verlassen ihn seine Kräfte. Er bricht auf dem Bürgersteig vor dem Geschäft zusammen.

Wie auf den Aufnahmen der Kameras sichtbar wird, ist die Polizei zu dieser Zeit schon an Ort und Stelle. Doch anstatt zu helfen oder zu deeskalieren, beteiligen sie sich an dem Blutrausch. Einige der Beamten treten Zak mehrmals gegen den Kopf. Ein anderer Polizist legt dem regungslosen und mit Blut überströmten Opfer Handschellen an und presst ihn mit dem Gesicht nach unten auf den Boden, sodass er keine Luft bekommt. Von erster Hilfe keine Spur.
Noch am Weg ins Krankenhaus erliegt Zak Kostopoulos seinen Verletzungen.
Zackie ist tot.
Athen. Wir schreiben den 21.10.2021.
Der durch die COVID-19 Pandemie um ein Jahr verschobene Gerichtstermin beginnt. 3 Jahre nach der Tat. Auf der Anklagebank sitzen 6 Männer. Der Besitzer des Juwelierladens, besagter rechtsextremer Kunde sowie vier Polizeibeamte. Das medizinische Gutachten stellt fest, dass die Todesursache rein auf die dem Opfer zugefügten Verletzungen durch die Angeklagten zurückzuführen ist. Zugegen ist auch Zaks Mutter, die vor Gericht eine Aussage über ihren Sohn macht und Gerechtigkeit für die schreckliche Tat verlangt.
Das Urteil ist bis dato [16.11.2021] noch nicht gesprochen.

Der Fall Zackie Oh zeigt ein weiteres Mal, dass auf Heteronormativität fundierende Diskriminierungsmechanismen kein Phänomen der Vergangenheit sind. Es sind sehr reale und sehr gefährliche Tendenzen, die es zu bekämpfen gilt.
Wer sich näher mit diesem Fall beschäftigen möchte, oder sich über den weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens informieren möchte, kann dies über folgende Social Media Plattformen und Links tun:
https://zackieohjustice.watch/en/
https://www.facebook.com/justice4ZakZackie/
https://thinkbricks.gr/shop/accessories/brooches/support-zackie-oh/

* Zak Kostopoulos wurde im August 1985 als Sohn griechischer Auswanderer in Amerika geboren und kam im Alter von 7 Jahren mit seinen Eltern zurück nach Griechenland. In der dörflichen Gegend, in der er fortan heranwuchs, merkte er schnell, dass er den Männlichkeitsansprüchen der dortigen Gesellschaft nicht entsprach. Bis zu seinem Coming-Out sollte es allerdings noch bis zu seinem Umzug nach Athen, wo er Schauspiel studierte, dauern. Sowohl auf sein Coming-Out, als auch auf seine eigene HIV-Infizierung reagierten seine Eltern unterstützend. Erst nach und nach merkte er, dass seine persönlichen Erfahrungen mit Unterdrückung und homophoben Attacken keine bloßen unglücklichen persönlichen Erfahrungen sind, sondern das Symptom gesellschaftlicher und politischer Mechanismen. Zak Kostopoulos widmete sein ganzes Leben dem Aktivismus und dem Kampf für die Gleichstellung von Menschen, die keine heteronormativen Rollen erfüllen, oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Herkunft Opfer von Hass und Gewalt werden. Er arbeitete ehrenamtlich bei dem HIV-Testzentrum Positive Voice und fand in seiner Kunst das richtige Ventil, um seine Erlebnisse zu verarbeiten, Menschen zu unterhalten und dabei zu erreichen. 2012 entstanden die ersten Drag-Performances von Zackie Oh!, einer ehemals zur gehobenen Gesellschaft gehörenden Dame, die in ihrem sozialen Status gefallen war und nun als Prostituierte durch die Straßen Athens zog. Zackie, wie auch Zak, propagierte stets eine antirassistische und antihomophobe Haltung. Ihr ganzes Dasein war von einer friedlichen und Liebe predigenden Eistellung geprägt.

UPDATE vom 03.05.2022
Im Fall ‚Zackie Oh‘ wurde am Dienstag, den 03.05.2022, das erste Urteil gesprochen.
Das Gericht hat entschieden, dass die Schuld der Angeklagten Dimopoulos und Chortarias für die Straftat der Körperverletzung mit Todesfolge (nicht Mord) anerkannt wird.
In Bezug auf die angeklagten Polizisten entschied das Gericht, sie freizusprechen.
Genauer:
Dimopoulos: Schuldig wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Chortarias: schuldig der Körperverletzung mit Todesfolge
Polizeibeamte:
Rusakos: Freispruch,
Seferis: Freispruch
Tsopanis: Freispruch
Alexandris: Freispruch

Was das bedeutet:
Das von dem (fragwürdig) unabhängigen Gericht gesprochene Urteil ist für die Familie und Freund*innen von Zak Kostopoulos sowie für die Aktivist*innen und Mitglieder der LGBTQI+ Gemeinschaft in ganz Griechenland ein Schlag ins Gesicht.

Die Strafe von 10 Jahren, die der schuldig gesprochene Juwelierladenbesitzer Dimopoulos aufgrund seines Alters (77) im Hausarrest absitzen darf und der Rechtsextreme Chortarias im Gefängnis verbringen wird, ist für eine*n jede*n mit einem halbwegs intakten Gerechtigkeitssinn in vielerlei Hinsicht zu mild. Den Mord an Zackie Oh zu einer Körperverletzung mit Todesfolge herabzustufen, bedeutet, die Täter nicht als das anzuerkennen, was sie in Wahrheit sind: Mörder.
Das gleiche gilt für die 4 Polizeibeamten, deren Beteiligung an dem Mord sich durch einschlägiges Videomaterial nachvollziehen lässt. Ihr Freispruch lässt an der Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit der Justiz zweifeln. Denn wozu braucht mensch eine Justiz, die sich davor scheut, Mörder und Straftäter zu verurteilen, bloß weil sie Teil der Exekutive sind?
Das aggressive Auftreten der Polizei bei der rund 5000 Menschen starken Demonstration am Abend der Urteilsverkündung lässt ebenfalls darauf schließen, dass der Freispruch ihrer Kollegen den Polizeieinheiten ein weiteres Mal das Selbstvertrauen gestärkt hat zu wissen, dass sie für ihre Gewaltakte nicht bestraft werden.
Trauer und Wut haben sich über die Straßen Athens gelegt. Die einzige Hoffnung bleibt, dass dieser Fall noch einmal vor einem höheren Gericht aufgerollt werden kann. Doch das kann noch Jahre dauern.

Zak Kostopoulos Mutter veröffentlichte noch am Dienstagabend eine Nachricht an die Öffentlichkeit. [Anm.: Übersetzung der Autorin] :
Heute war der erste Schritt, um den Mord an Zak vor Gericht zu stellen. Ich werde euch nicht sagen, wie ich mich fühle, aber ich werde euch beschreiben, was ich denke.
Ich denke an den Juwelier Dimopoulos. Ich denke an ihn, wie er in seinem Haus gefangen ist, wie mein Kind in seinem Laden, wie er versucht, seinen Enkelkindern zu erklären, warum Opa nicht mit ihnen spazieren gehen kann.
Ich denke an den Makler Chortaria, wie er versucht, seinen Insassen im Gefängnis zu erklären, dass er einen Mann brutal getreten habe, „um die Menge zu schützen“, die seine kriminellen Handlungen per Video aufzeichnete, damit sie sie später verkaufen und damit Geld verdienen könnten.
Ich denke an die „unschuldigen“ Polizisten, die versuchen, ihren Familien zu erklären, dass ihre Aufgabe darin besteht, Täter zu fassen, aber auch einen Verletzten zu schlagen, zu treten und auf den Bürgersteig zu ziehen und ihn vor ihren Augen sterben zu lassen und die Schuld danach einander zuzuschieben.

Ich denke an Zak hoch am Himmel, wie er überall tonnenweise Glitzer verstreut, der überall klebt und nicht abgewaschen werden kann.
Es wird denen bleiben, die ihn berührten, mit ihm sprachen, ihn ansahen, ihn lasen, ihn verteidigten und für immer und ewig an ihn dachten.

Seine Mutter
Eleni Kostopoulou

 

Ich bin Isa. Irgendwann Mitte der 1990er Jahre in Wien geboren, habe ich vor einigen Jahren beschlossen, nach Griechenland zu ziehen, wo ich u.a. als Übersetzerin und Texterin tätig bin.

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