Gründen - ein männliches Unterfangen?

20220626_Grünen (Hume)
Hume

Lilith belegte 2017 beim Wettbewerb Jugend gründet den Chemiesonderpreis und gründete 2021 das StartUp ChargeHorizons (https://www.chargeholidays.com/). Im Rahmen dessen befasste sie sich nicht nur mit dem Thema des nachhaltigen Reisens sondern auch mit allerlei Anträgen, Finanzierungsmitteln und Austauschnetzwerken und durchlebte einige Höhen und Tiefen. Aus ihrer eigenen Erfahrung und aus vielen Gesprächen herauskristallisiert schildert sie, dass Gründen immer noch geschlechterspezifisch unterschiedlich große Hürden mit sich bringt.

In die Wiege gelegt wurde mir das Thema gründen nicht, aber spätestens nach meinen positiven Erfahrungen im Rahmen des Schülerwettbewerb Jugend gründet war es für mich keinesfalls abwegig, ein Unternehmen aufzubauen. Meine Ideen umsetzen lag mir als geborene Macherin schon immer am Herzen. Und das obwohl dies für mein biologisches Geschlecht eher untypisch ist: Laut des Female Founders Monitor beträgt der Anteil an Neugründungen von Frauen gerade einmal 15%. Ich habe den Luxus als weibliche Gründerin selbst mit einigen dieser Frauen in Kontakt zu stehen.
„Ich werde dann durchaus belächelt mit der Aussage: Ach so, jaja, also dein Mann macht das dann so richtig und du kümmerst dich viel um die Kinder“. Mir gegenüber am Bildschirm sitzt eine weitere Gründerin, die gemeinsam mit ihrem Mann ein Unternehmen auf die Beine gestellt hat, und jetzt nicht nur diesem sondern auch ihren beiden Kindern das Laufen beibringt. Doch ganz entgegengesetzt der Annahmen vieler Bekannter, die sie soeben zitiert hat, beteiligt sich ihr Mann an beiden Tätigkeiten in demselben Maße. Und egal, wie sehr die toughe junge Dame mir gegenüber betont, dass sie beide gleichberechtigt die Firma gegründet haben und nun leiten, immer und immer wieder werden ihr derartige Anmerkungen vorgetragen. Gesellschaftlich muss sich also noch viel verändern. Doch auch die formellen Rahmenbedingungen sind um einiges verbesserungswürdig. „Es ist unfassbar, wie viel Geld wir für Babysitter ausgeben“. Denn mit reinem Verlass auf die staatlichen Betreuungsangebote der Kinder könnten die beiden ihr Unternehmen nicht großziehen.
Zumindest in Ansätzen tut sich etwas. Das Gespräch beispielsweise führte ich auf der Women Entrepreneurship Week. Und auch Vereinigungen und Netzwerke, wie z.B. die European Women Business Angels Community existieren inzwischen. Dennoch sind die Angebote bislang ernüchternd. „Ich habe das Glück, noch einen männlichen Mitgründer zu haben.“, so einige Wochen später eine Bekannte, die gerade ihr Start-Up in Berlin aufbaut. Sie selbst musste sich beim Arbeitsamt anhören lassen, was ihr denn einfiele, keinen regulären Job auszuüben, während ihr Mitgründer mit wenigen Briefwechseln sein Gründerstipendium erhielt. „Auch bei Investoren finde ich es schlimm, wie unterschiedlich sie uns beide behandeln!“ Dieser Bias existiert nicht nur bei staatlichen Ämtern sowie privaten Fördertöpfen, sondern macht auch nicht vor Kreditinstituten halt. In einem Experiment gingen eine weibliche Gründungsinteressierte und ein männlicher mit denselben Businessplänen zur Bank, während nur er von beiden erfolgreich war. Gegenüber Frauen scheint eine größere Erwartungshaltung vorzuliegen, als der Maßstab, an dem männliche Gründer gemessen werden. Die Erfahrungswerte deuten auf eine strukturelle Verankerung der Ungleichbehandlung hin und werden von den Zahlen bestätigt: Über 25% männlich geleiteter Start-Ups schafften es bislang mehr als eine Million Euro an Risikokapital von Investoren zu erhalten während unter rein weiblich geführten Teams lediglich 5 % diese Schwelle überschreiten konnten. Außerdem wird dasselbe Auftreten gegenüber Geldgebenden bei weiblichen Bewerberinnen anders konnotiert. Großdenkende Männer werden als mutig eingeschätzt, während Frauen mit ähnlichen Visionen als naiv abgestempelt werden. Umso mehr falle es ihnen schwerer, sich in den Vordergrund zu stellen und ihre eigene Idee selbstbewusst zu präsentieren.
Weitere Ansätze, die geringe Quote der weiblichen Gründerinnen zu erklären, gibt es viele. So führten Berufe, die immer noch zu einer Mehrheit von Männern ausgeübt werden, häufiger in eine Selbständigkeit während „frauentypische“ Bereiche, wie z.B. Lehramt oder Beschäftigungsverhältnisse in der Verwaltung selten zur Gründung eines eigenen Unternehmens motivierten. Dr. René Leicht, Soziologe und Politikwissenschaftler, macht für dieses Gefälle die Gesellschaft verantwortlich, die nach wie vor zu großen Teilen auf stereotypen Rollenbildern fuße. Auch die Position der Frau als Mutter und Verantwortliche der Haustätigkeiten schränke ein. Die insgesamt 12,5 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeit, die Frauen weltweit laut des Ungleichheitsberichts Oxfam verrichten, führen zu deutlich weniger Freiheiten, wenn es darum geht, sich überhaupt Gedanken zu einer selbständigen Tätigkeit zu machen.
Dabei kann es von Vorteil sein, ein Unternehmen aufzubauen. Im Schnitt verdienen selbständig tätige Frauen mehr als diejenigen in Anstellungsverhältnissen, und die oftmals mögliche flexible Einteilung der Arbeitszeiten kann eine bessere Vereinbarung von Berufs- und Privatleben ermöglichen. Auch gesamtgesellschaftlich könnten mehr Frauen als Chefs eigener Unternehmen sinnvoll sein. Laut einer Studie der Boston Consulting Group erwirtschaften Frauen pro Doller, der investiert wird, doppelt so viel wie ihr männliches Pendant. Auch wenn es gilt, derartige Studien mit Vorsicht zu genießen – dass Frauen-Start-Ups in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle einnehmen, sollte Ziel von uns allen sein!
Die sich in der Entstehung befindenden Netzwerke und die steigende Anzahl an weiblichen Führungskräften als Vorbilder lassen auf Besserung hoffen. Meine persönliche Ambition: auch mit meinem Start-Up möchte ich dazu beitragen, besonders weibliche Personen dazu zu motivieren, den Schritt zu wagen und ihre Ideen und Träume zu verwirklichen. Gemeinsam sind wir ebenfalls die Macherinnen der Zukunft!

 

1999 geboren in Heppenheim, aufgewachsen in Hessen und Baden-Württemberg und inzwischen wohnhaft in Dresden. Deutschland habe ich inzwischen durch viele Hobbies im Bereich Musik, Sport, Poetry Slam und Wissenschaft recht gut kennengelernt, doch noch spannender als die regionalen Reisen sind die vielen Begegnungen und Erlebnisse, die ich dabei gesammelt habe. Mein Testgelände ist eine super Sache, um festzuhalten, was mich auf meinen Reisen bewegt, einige der Personen mit ihren spannenden Geschichten vorzustellen und euch Teil von Recherchen werden zu lassen, die mich brennend interessieren. Hier kann sich jeder trauen, das zu schreiben, was ihn bedrückt. Und somit: Viel Spaß beim Lesen, Hören und Schreiben!