Geschlechterrollen und Diskriminierung in Medien am Beispiel von TKKG

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Pippi Langstrumpf, die drei Fragezeichen oder Benjamin Blümchen – viele Charaktere aus Filmen, Büchern oder Hörspielen rücken unweigerlich in unser Gedächtnis, wenn wir an unsere Kindheit denken. Doch Martha hat da eine schlechte Nachricht: Viele unserer geliebten Geschichten reproduzieren Stereotype, greifen zu Sexismus und Rassismus.

Klar – besonders bei Kinderbuch-Klassikern aus dem letzten Jahrhundert kann man argumentieren, dass diese zu anderen Zeiten entstanden, als Diskriminierung jeglicher Art wesentlich weniger in der Gesellschaft zur Sprache kam und nicht aufgearbeitet wurde. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass auf diese Problematik kaum aufmerksam gemacht werden sollte. Deshalb habe ich beschlossen, alte Folgen von meiner Lieblingshörspielreihe TKKG herauszusuchen, zu analysieren und besonders auf diskriminierende Inhalte zu achten. Und um den Wandel in unserer Gesellschaft bezüglich Diskriminierung aufzuzeigen, habe ich mehrere alte TKKG-Folgen aus den Jahren 1979 und 1984, eine neuere Folge (veröffentlicht 2006) und die jüngsten Episoden, die erst seit 2022 verfügbar sind, ausgewählt. Beim Hören wurde mir schnell klar, dass sich im Laufe der Jahrzehnte einiges verändert hat. Da ich nicht davon ausgehe, dass jede*r von euch Leser*innen mit TKKG aufgewachsen ist, folgen nun erst einmal ein paar Informationen über die Kinderserie und ihre Inhalte.
Die TKKG-Bande, benannt nach ihren Mitgliedern Tarzan/Tim1, Karl, „Klößchen“ und Gaby ist eine Gruppe von befreundeten Nachwuchs-Detektiv*innen, die in ihrer Freizeit Kriminalfälle lösen und dabei selbst in das Geschehen verwickelt werden. Meist arbeiten sie mit Gabys Vater, dem Kriminalkommissar Emil Glockner, zusammen. 1979 erschien der erste Band der TKKG-Jugendbuchreihe von Autor Stefan Wolf, welcher seine Bücher nutzt, um Themen anzusprechen, die vor allem für Jugendliche interessant sind, zum Beispiel Alkohol, Partys und Freundschaft. Dabei fungieren TKKG als Vorbilder für junge Hör*erinnen, zum Beispiel kritisieren sie oft rauchende Menschen oder Gleichaltrige, die Drogen nehmen. Bereits ab 1981 erschienen die Bücher auch als Hörspielreihe, welche mittlerweile 224 Folgen umfasst und im Laufe der Jahrzehnte entstanden drei TKKG-Kinofilme und sogar eine Animationsserie.
Die vier Freunde Tarzan/ Tim, Karl, Klößchen und Gaby sind Schüler*innen an einer Internatsschule, die Gaby und Karl als Externe besuchen. Zu Beginn der Handlung sind sie 12 oder 13 Jahre alt und verkörpern „typische“ Jugendliche aus verschiedenen sozialen Schichten mit unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten. Doch um den Charakteren einen hohen Wiedererkennungswert zu verleihen, griff der Autor zu stereotypischen Darstellungen, die aus heutiger Sicht alles andere als harmlos sind.
Karl ist ein Nerd, der groß und schlaksig ist, eine Nickelbrille trägt und von den anderen „Computer“ genannt wird, da er sich auf vielen Themengebieten auskennt und bei Gesprächen oft lehrreiche Informationen beitragen kann. Klößchen wird hingegen als dick und faul beschrieben, der als Sohn eines Schokoladenfabrikanten am liebsten die Familienprodukte verspeist. Eigentlich heißt er Willi, doch seine Freunde haben ihm seinen äußerst problematischen Spitznamen gegeben. Er deutet bereits an, wie „Klößchen“ in der Serie behandelt wird: In praktisch jeder Folge findet Body Shaming gegen ihn statt, sowohl von Nebencharakteren als auch von seinen eigenen Freunden. Klößchen ist ein witziger, aber nicht besonders mutiger Typ.
Das komplette Gegenteil von ihm verkörpert Gaby, die sehr abenteuerlustig und gerecht ist. Als einziges Mädchen wird sie bei gefährlicheren Aktionen manchmal ausgeschlossen und erfährt oft Sexismus und Misogynie – oft auch ausgehend von ihrem Freund Tarzan/Tim. Sie wird als typische Blondine dargestellt, hat lange Wimpern, blaue Augen und ist äußerst hübsch. Zudem wird sie als tierlieb beschrieben und hat meist ihren Hund „Oskar“ dabei. Gaby ist selten diejenige, die im Vordergrund steht.
Denn der eigentliche Anführer und gleichzeitig der problematischste Charakter der vier ist Tarzan/ Tim. Er wird als ein großer, sportlicher Typ beschrieben, der Judo trainiert und in brenzligen Situationen meist in der Lage ist, Verbrecher in die Mangel zu nehmen und sich und seine Freunde zu verteidigen. Dabei greift er nicht nur zu Notwehr, sondern hin und wieder auch zu willkürlicher Gewalt. In den frühen Folgen aus den 1980er Jahren ist er derjenige, der mir am häufigsten durch diskriminierende Kommentare aufgefallen ist. Zudem agiert er als Beschützer für Gaby, ob sie das nun möchte oder nicht. Dass nicht nur die Charaktere problematisch sind, wird jede*r Hörer*erin schon bei der ersten Folge von TKKG schnell bewusst.
In „Die Jagd nach den Millionendieben“ debattieren Tarzan, Karl und Gaby darüber, ob sie eine Spur auf eigene Faust verfolgen oder lieber nicht selbst aktiv werden sollten. Als sie beschließen, selbst zu handeln, sagt Gaby zunächst zu Tarzan: „Du willst alleine herausfinden, wer die Bilderdiebe sind? Das ist mir zu gefährlich.“ Tim antwortet daraufhin: „Du darfst nur mit, wenn es nicht gefährlich ist. Schließlich bist du ein Mädchen.“
Dies ist die erste von vielen diskriminierenden Aussagen, die Tarzan von sich geben wird. Bereits in der nächsten Folge „Der blinde Hellseher“ sagt er beim Besuch in einem italienischen Restaurant über dessen Besitzer: „Der sieht aus wie der typische Kidnapper. Stechende Augen, pockennarbige Haut. Das haben die alle.“ Daraufhin tritt ihn Gaby für diesen unangebrachten Kommentar und fängt an mit ihm zu schimpfen, doch er unterbricht sie: „Schon gut, Gaby.“ Somit wird ihr Eingreifen nicht ernst genommen und der rassistische Kommentar weder von den anderen reflektiert, noch wird Tarzan zur Verantwortung gezogen. Dazu gibt es Fun- oder eher Sad Fact: Die ersten fünf Hörspielfolgen von TKKG, die man auf Spotify hören kann, beinhalten tatsächlich einen Disclaimer, der auf diskriminierende Inhalte hinweist. Laut des Hörspielverlags „Europa“ hätte man das Hörspiel allerdings in der Originalfassung beibehalten, um „die kulturellen Versäumnisse der Vergangenheit nicht zu verbergen“. Und der Disclaimer ist meiner Meinung nach auch nötig. Alleine in Folge 2 gibt es zahlreiche Szenen mit rassistischen und sexistischen Inhalten. So beschuldigen TKKG den bereits erwähnten Italiener, er sei ein Mitglied der Mafia und verdächtigen ihn, ihren Klassenkameraden entführt zu haben. Ihre Rechtfertigung für den Verdacht: Der Restaurantbesitzer kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten. Doch das ist noch längst nicht alles. In derselben Folge redet Tarzan mit einem französischen Au-Pair-Mädchen, welches bei seiner Ankunft gerade eine Zigarette raucht und mit einem etwas überzogen klingenden Akzent spricht. Als sie ihn fragt, warum er zu später Stunde noch draußen unterwegs ist, antwortet er: „Einem Mädchen, das erst 16 ist und schon wie ein Fabrikschlot raucht, der gehört der Hintern versohlt.“ Dann tauschen sie sich über den vermissten Klassenkameraden der TKKG-Bande aus, wobei Tarzan sich über den französischen Akzent des Au-Pairs lustig macht und sagt: „Du musst doch nicht so maßlos übertreiben mit deinem Akzent. Du kannst doch einwandfrei Deutsch sprechen.“ Eine solche Respektlosigkeit ist echt unangenehm und peinlich. So Tarzan, jetzt würde ich gerne einmal dein fehlerfreies Französisch hören!
Doch auch in weiteren früh veröffentlichten Folgen von TKKG lassen sich diskriminierende Inhalte finden. In „Das Geiseldrama“, veröffentlicht im Jahr 1984, erzählt Gaby ihren Freunden, dass sie eine Frau besuchen wird, die sich ihr Bein gebrochen hat. Als sie fragt, ob die Jungs sich ihr anschließen wollen, sagt Tarzan: „So unangekündigt geht das doch nicht. Wer weiß, ob sie ihre Wimpern getuscht und ihr indisches Nachthemd angezogen hat. Wenn drei junge Herren bei ihr aufkreuzen, möchte sie doch sicher nach etwas aussehen.“ Daraufhin kontert Gaby: „Drei junge Herren? Eingebildet seid ihr wohl überhaupt nicht. Da können Frau Hohlmeier und ich ja wohl lachen.“ Und da gebe ich ihr vollkommen recht.
Rückblickend kann man die TKKG-Folgen der 1970er und 80er-Jahre nicht nur für die enormen Mengen an diskriminierenden Inhalten kritisieren. Abgesehen von Gaby treten wenige weibliche Charaktere auf, von Personen, die nicht heterosexuell, weiß und cis sind, mal ganz zu schweigen. FLINTAs treten meist als Mütter, Lehrer*innen oder Hausfrauen* auf, haben – Gaby ausgeschlossen – selten längere Redeanteile und sind oft als naiv, ängstlich, dumm oder sehr emotional dargestellt.

Logischerweise haben sich alle Kinderbücher und -hörspiele im Laufe der Zeit verändert. Besonders fällt dies in Bezug auf technologische Neuerungen auf. Wenn die TKKGBande in den 1980er Jahren Hilfe holen wollte, musste sie noch eine Telefonzelle aufsuchen. In neueren Episoden haben alle Mitglieder natürlich ein Handy. Wenn man neue Folgen von TKKG mit den Älteren im Bezug auf diskriminierende Inhalte vergleichen möchte, stößt man jedoch auf ein Problem: Der Erfinder und Autor der TKKG-Bücher – Stefan Wolf – ist seit fast 15 Jahren tot. Und während die Buchreihe 2013 eingestellt wurde, werden immer noch neue Hörspiele von diversen Autoren geschrieben und vertont. Somit kann man schwer einen Vergleich zwischen alten Werken von Stefan Wolfundneueren Veröffentlichungen ziehen, die erst nach seinem Tod erschienen sind von anderen Autor*innenverfasst wurden. Denn diese haben ihren eigenen Schreibstil, wollen Inhalte anders vermitteln und sind in Bezug auf Diskriminierung vielleicht progressiver als der ursprüngliche Autor es je war. Und wenn man darauf achten möchte, ob sich der Umgang des Autors mit Diskriminierung im Laufe der Zeit verändert hat, spielt natürlich auch der Erscheinungszeitpunkt der Folge eine Rolle und welche Inhalte gesellschaftlich akzeptiert wurden/werden und welche nicht.

Deshalb sei kurz gesagt, dass ich mir auch eine der letzten Folgen von TKKG angehört habe, die Stefan Wolf vor seinem Tod im Jahr 2007 selbst verfasst hat. Im Vergleich zu den bereits besprochenen Folgen merkt man bei der Episode „Das Geheimnis der Burgruine“ kaum, dass fast 30 Jahre vergangen sind. Wie der Titel vermuten lässt, entdecken TKKG unterhalb einer Ruine einen jahrhundertealten, geheimen Gang voller Skelette und weiteren schaurigen Erscheinungen, welchen sie gemeinsam erkunden. Dabei ist Gaby die Einzige, die sich vor der gruseligen Umgebung fürchtet und verkörpert damit ein Stereotyp von FLINTA*-Personen. Bezüglich der Repräsentation von FLINTA*-Personen scheint es keine Weiterentwicklung zu geben: Gaby ist der einzige weibliche Charakter im gesamten Hörspiel! Zudem hat mich das toxisch männliche Verhalten von Tim erschüttert. In der Folge werden seine Freunde durch herunterfallende Steine im geheimen Gang unter der Erde eingesperrt. Doch statt die Polizei oder die Feuerwehr zu rufen, besorgt Tim ein Bohrwerkzeug, um seine Freunde selbst zu befreien. Sein Verhalten ist nicht nur unglaublich egozentrisch, sondern auch total gefährlich!

Um meine Recherchen zu vervollständigen, habe ich mir natürlich auch die neusten Folgen der TKKG-Reihe angehört, bei denen mir gleich mehrere Dinge aufgefallen sind. Die Episoden 221 und 222 sind jeweils 2022 erschienen und unterscheiden sich wesentlich von früheren Folgen. Es treten abgesehen von Gaby weitere weibliche Charaktere auf, in „Beim Raubzug helfen Ahnungslose“ haben beide – Tims Mutter und eine Verbrecherin – sogar große Redeanteile. Inklusiver sind die auftretenden Charaktere jedoch nicht geworden. Während es zum Beispiel bei der Animeserie „Sailor Moon“ ein offen lebendes Lesbenpaar und der US-amerikanischen Jugendserie „Story of Andi“ einen homosexuellen Protagonisten gibt, treten in den TKKG-Hörspielen, die ich mir angehört habe, keine LGBTQ+-Charaktere auf. Doch immerhin gibt es keine offensichtlich diskriminierenden Kommentare mehr, mit Ausnahme vom Body Shaming gegen Klößchen. Dieses wurde zum Glück deutlich reduziert und geht nicht mehr von seinen Freunden, sondern nur noch von außenstehenden Personen aus. Stattdessen preist die Bande ein gesundes Selbstwertgefühl und Body Positivity an. Nachdem die Freunde über Schönheit-OPs reden, sagt Gaby: „Wir sind alle genauso richtig wie wir sind.“ Sie ist auch diejenige, die verkündet: „Es braucht vernünftige Frauen, um Männer zur Vernunft zu bringen.“ Dies ist natürlich kein feministischer Empowerment-Spruch, doch im Vergleich zu den sexistischen Kommentaren in früheren Folgen eine willkommene Veränderung.

Welches Fazit können wir als Leser*innen und Hörer*innen nun schließen?

Diskriminierung findet nach wie vor allzu häufig statt, auch wenn die Gesellschaft diesbezüglich immer reflektierter wird. Deshalb ist es wichtig, bei Kinderbüchern oder -hörspielen über kritische Inhalte aufzuklären. Kinder schnappen diese schnell auf und verinnerlichen sie – meist ohne sich deren Bedeutung bewusst zu sein und tragen sie im schlimmsten Fall auch an ihre Kinder weiter. Natürlich sind Kinderserien nicht die einzige Einflussquelle, die auf Heranwachsende wirkt, denn ebenso tun dies Eltern, Geschwister oder Lehrer*innen. Was besonders erschüttert, ist, dass ein Kind, welches in den 1980er Jahren zum Beispiel mit sexistischen Kommentaren von Tarzan/Tim konfrontiert wurde, diese nicht nur im Hörspiel, sondern auch auf der Straße oder Zuhause hören konnte. Einem Kind kann dies auch heutzutage noch passieren, doch die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses ist etwas geringer und die Chance, dass eine Person, die sich diskriminierend äußert, zurechtgewiesen wird, deutlich höher. Serien wie TKKG zeigen uns den Wandel auf, den unsere Gesellschaft durchlaufen ist und offenbaren, dass Diskriminierung noch häufiger vorkam als heute.

Dies ist der positive Effekt davon, dass auch die ältesten TKKG-Folgen noch 2022 auf Spotify, aber auch bei Amazon Music, deezer, Apple Music und weiteren Streaming-Plattformen verfügbar sind. Im Umkehrschluss heißt dies jedoch auch, dass sich jede*r diese diskriminierende Inhalte, die ich beispielhaft in meinem Text zitiert habe, nach Belieben anhören kann. Das „TKKG Retro-Archiv“ auf Spotify, welches die Folgen 1-100 veröffentlichte, hat knapp 87.200 monatliche Hörer*innen und die dort verfügbare allererste TKKG-Folge (in ihrer Originalfassung!) wurde über 2,2 Millionen Mal aufgerufen. Da wäre es vielleicht besser, diese von allen Streaming-Plattformen zu löschen, um zu verhindern, dass Kinder der neuen Generation weiterhin Zugang zu kritischen Inhalten bekommen.

Ob Kinderbücher und -hörspiele einen starken Einfluss auf unser späteres Leben haben, muss jede*r vielleicht für sich selbst bestimmen. Doch es ist außer Frage, dass wir den Nostalgie-Filter entfernen, uns mit der Vergangenheit konfrontieren und über diskriminierende Inhalte aufklären sollten. Denn je weniger Diskriminierung es in der Gesellschaft gibt, desto besser ist das doch für uns alle!

 

1Tarzan ist der Spitzname des Anführers von TKKG, der eigentlich Peter Carsten heißt. Doch dieser Name ist markenrechtlich geschützt, weshalb ab Folge 38 aus Tarzan Tim wurde.

Hi, ich bin Martha (17) und lebe in Leipzig. Schon seit ein paar Jahren interessiere ich mich für Feminismus, genderspezifische Themen und Künstler*innen, die sich mit diesen Aspekten beschäftigen. Ich liebe es Texte zu schreiben, vor allem Erfahrungsberichte, in denen ich alle meine Gefühle rauslassen kann. In meiner Freizeit treffe ich mich gerne mit Freunden, spiele Bass, gehe zum Thaiboxen und engagiere mich bei der Schüler*innenzeitung meiner Schule in der Chefredaktion.