Von Männern zum Tode verurteilt. Das System: "Femizid"

2023-05-02_mT_Beitragsbild_Femizid

MeinTestgelände Autor Tom schreibt darüber, wie die Femizide in Filmen mit denen im echten Leben zusammenhängen. [TW: Gewalt an Frauen*].

„Ich werde die Straßen von diesen Nutten befreien und keiner wird mich davon abhalten“, ist nicht nur ein absolut frauenverachtender Satz, sondern ein Zitat des Serienmörders Saeed aus dem Film „Holy spider“, der aktuell in den Kinos läuft.
Saeed legitimiert seine Morde. Und zahlreiche Männer und von Männern abhängige Frauen schützen ihn. „Ich hab gehört, es geht ihm nur um sittenlose Frauen“, heißt es in einer Szene, in der der Mörder sich bei der Schlange vor der Bäckerei über die sogenannten Spinnenmorde umhört, die die Bewohner:innen der Pilgerstadt Mashhad im Nordosten des Irans in Aufruhr versetzen. Bis dahin hat Saeed 12 Frauen getötet. Er gibt sich als potenzieller Freier aus und bringt sie nachts an einem bestimmten Ort der Stadt auf seinem Moped in die Wohnung seiner Familie. Saeed ist verheiratet, Familienvater zweier Kinder und begeht in Unwissenheit seiner Familie die Morde. In der Wohnung angekommen gibt er den Frauen, die sich aus Gründen von Armut und Abhängigkeiten zwangsprostituieren, das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Er bietet ihnen frisches Obst an und zeigt ihnen, wo sie sich im Bad sauber machen können. Es wird ein Bild von Frauen gezeichnet, die die Zwangsprostitution als allerletztes Mittel sehen, um sich und teilweise ihre Kinder über die Runden zu bringen und körperlich geschändet, wie auch seelisch geschädigt am seidenen Faden ihres Lebens hängen. Als die Frauen sich ein Stück weit in Sicherheit wiegen, erwürgt oder erdrosselt Saeed sie. Dabei nutzt er seine körperliche Überlegenheit maximal aus. Nach dem Mord schnürt er seine Opfer in einem Sack zusammen und wirft sie dann an einem bestimmten Ort ab, wo er, wie er sagt, auch die anderen Frauen „entsorgt“ hat. Am Tag darauf ruft er einen Journalisten an, um das Rampenlicht für seine Morde auf sich zu ziehen und zeigt diesem seine Wut, wenn nicht genug über ihn berichtet wird.
Saeed ist ein Mörder, der gesehen und gefeiert werden will für seine Taten. Er sieht sich als Held und Auserwählten Gottes. In „Holy Spider“ sagt er selbst: „Gott hat mich doch nicht nur erschaffen, damit ich in meinem Leben nicht nur ein einfacher Zimmermann bleibe.“ Er fühlt sich berufen dazu und wird von dem iranisch-dänischen Filmemacher Ali Abbasi als angespannten und fragilen Mann dargestellt, der in seinem parallel geführten Alltag als religiös und konservativ sozialisierter Familienvater selbst in strenger Beobachtung seines Schwiegervaters steckt.
Aufgedeckt werden seine Morde durch die Journalistin Rahimi, die für die Recherche ihre körperliche Unversehrtheit mehrmals riskiert. Aus Teheran kommt sie in die Stadt Mashhad und nimmt sich dort ein Hotelzimmer. Als der Mann an der Rezeption sieht, dass sie alleine unterwegs ist, will er ihr das Zimmer nicht vermieten, bis sie ihm ihren Presseausweis zeigt.“Wenn Sie bitte Ihre Haare bedecken würden?“, sagt der Mann zu ihr. „Das ist meine Sache“, antwortet die Journalistin „Aber die Sittenpolizei…“, entgegnet der Mann.
Beim Interview mit dem Polizisten Rostami wird sie nicht ernst genommen. Rostami nimmt den Fall gelassen und tut wenig dafür, den Frauenmörder zu fassen. Als Rostami sie später im ihrem Hotelzimmer besucht, sexualisiert er die Journalistin. Sie macht ihm mehrmals deutlich, den Fokus des Gespräches auf den Fall lassen. Rostami hat anderes im Sinne. Er belästigt sie sexuell und spricht Drohungen aus, die seine Macht ihr gegenüber widerspiegeln. Der Mann aus der Justiz blockiert ebenfalls ihre Recherche: „Sie glauben, dass wir hinter verschlossen Türen konspirieren. Ich kann ihnen nur raten, vorsichtig zu sein. Ganz besonders in der heiligen Stadt Mashhad.“ Und selbst ihr Kollege, der Journalist, der die Anrufe des Mörders empfängt, rät ihr mehrmals von diesem Fall ab. Im Porträt der Journalistin kommt immer wieder heraus, dass sie sich selbst „sittenlos“ verhalten habe, was ihre Recherchen erschwert und sie in das Radar des Mörders bringt. Als angestellte Redakteurin in Teheran wurde sie von ihrem Chefredakteur selbst belästigt, hat diesen Versuch abgeblockt und daraufhin ihren Job und ihren Status verloren.
Um die Frauenmorde des Spinnenmörders aufzudecken, gibt sie sich selbst als Zwangsprostituierte aus. Saeed schafft es, sie zu sich in die Wohnung zu bringen. Bei seinem Versuch, sie zu ermorden, kann Rahimi fliehen, ihn daraufhin anzeigen und einen Tag später die Verhaftung des Spinnenmörders durchsetzen.
Ab diesem Punkt im Film wird die Macht des Systems „Femizid“ noch sichtbarer. Seine Familie steht hinter ihm. Sein Schwiegervater versucht als mächtiger Mann in der Gesellschaft mittels seiner Kontakte den Mord offiziell legitimieren zu lassen. Und selbst einige Bürger:innen der Stadt Mashhad demonstrieren für seine Freilassung.Das Selbstbild des Frauenmörders wird durch die Anhänger:innen gestärkt und die Reue für seine Taten im Keim erstickt. Saeed befürchtet keine Strafen und wartet auf seinen offiziellen Freispruch. Selbst wenn er sterben würde, wird jemand anders seine Taten fortsetzen. Vielleicht sogar sein eigener Sohn, der in der letzten Szene des Films am Beispiel seiner kleineren Schwester zeigt, wie sein Vater die Frauen außer Gefecht gesetzt und ermordet hat.
Der Film „Holy Spider“ ist inspiriert von der realen Mordserie der Spinnenmörders Anfang der 2000er Jahre und soll, wie der Regiesseur Ali Abbasi im Interview der Tageszeitung TAZ erklärt, (seine) Wut transportieren. Wut über die Generationen „tief verwurzelte Scheinheiligkeit und Misogynie der iranischen Gesellschaft und wie sich das Regime dieses zunutze macht.“ Holy Spider wurde in Jordanien gedreht, da das Ministerium für Kultur und islamische Führung den Drehort im Iran nicht genehmigt hat.
Seit dem 16. September 2022 entlädt sich die Wut vieler FLINTA und Allys mit den Worten „Jin, Jiyan, Azadi“ (auf Deutsch übersetzt: „Frau, Freiheit, Leben“) über ein frauenverachtendes System mit dem Funken der tödlichen Gewalt der Sittenpolizei an Jina Mahsa Amini auf der Straße. Kopftücher brennen. Das Regime versucht die landesweiten Proteste zu unterdrücken. Die Polizei geht gewaltsam gegen Demonstrierende vor. Menschen sterben. Journalist:innen aus der ganzen Welt wird die Berichterstattung erschwert, das Internet wird eingeschränkt. Am 09.01.23 berichtet die Deutsche Welle, dass nach Angaben der Nachrichtenwebsite der iranischen Justizbehörde „Misan“ 17 Menschen in letzter Instanz wegen „Kriegs gegen Gott“ zum Tode verurteilt werden.
Der Tod von Jina Masha Amini war kein Einzelfall im Iran und kein Einzelfall auf dieser Welt. Ein Mord an Frauen, begangen und legitimiert von Männern, die vermeintlich die Ehre in der Familie oder in der Gesellschaft herstellen wollen, ist kein Einzelfall. Femizide werden systematisch geplant, vollzogen und verharmlost. Jeden Tag wird laut Statistischem Bundesamt in Deutschland ein Tötungsversuch an einer Frau registriert. Jeden dritten Tag wird eine Frau durch ihren Mann oder Ex-Mann getötet. Frauenverachtende Hassverbrechen.

Moin! Ich bin Tom. Aufgewachsen auf dem Land in Bayern. Zuhause in Berlin. Neben meiner Arbeit als Journalist für Soziales und Gesellschaft begegnen mir im Alltag und Freundeskreis Themen, wie die Wahrnehmung von Geschlechterrollen, LGBTQ außerhalb Deutschlands und der Zeitgeist der Zukunft. Dabei stelle ich mir selbst und anderen Fragen. Die Antworten dazu oder die Erkenntnis, dass es meist keine eindeutige Lösung gibt blogge ich hier auf meinTestgelände.