Rosa schreibt sich die Unsicherheit, den Frust und die Angst von der Seele, (k)ein Mädchen zu sein.
Ich bin auf dem Weg zu dir. Eine Stunde lang habe ich mich fertig gemacht, geschminkt, mich umgezogen. Ich blicke in den Spiegel und was zurückstarrt, verblüfft mich. Ich sehe einen Mann mit Bart und Make-Up. Flache Brüste in einem taillierten Kleid. Große Füße in hautfarbenen Strumpfhosen. Schichten von Foundation, bunter Lidschatten, greller Lippenstift in einem markanten Gesicht. Ich schaue in den Spiegel, dann an mir runter. Zwei Bilder, die nicht zusammenpassen.
Ein, zwei Mal ziehe ich mich um. Es passt alles
nicht zusammen. Alles sieht komisch aus. Ich gebe auf und gehe raus.
In dem Kleid.
An der Straßenbahnhaltestelle starrt mich jemand an. Zwei, Drei, Vier Sekunden. Ich starre zurück. Erst als die Person wegguckt
atme ich weiter. Meine Musik habe ich auf voller Lautstärke währenddessen gestellt, aber ich skippe doch noch drei, vier, fünf Songs,
ich kann mich auf nichts konzentrieren. Die Bahn kommt
nicht.
Was werde ich mir anhören müssen, wenn ich zusammengeschlagen werde: „Du hättest ja nicht so rausgehen müssen. Das kann mich sich ja auch vorher überlegen. Du musst es ja nicht jedem aufzwingen.“ 4 Minuten kommt die Straßenbahn zu spät.
Einen Blick meiner Reflexion erhasche ich in der Tür der Bahn bevor sie sich öffnet. Ich bin kurz davor, umzudrehen und mich in meiner Wohnung abzuschminken. Trotzdem betrete ich die Bahn.
Mehrere Köpfe drehen sich zu mir hin, ich starre aus dem Fenster.
Ich komme bei dir an. Wir setzen uns aufs Dach und schauen dem Sonnenuntergang entgegen. Du verschüttest etwas mittelteuren Rotwein auf der Decke. Es ist warm. Ich frage dich:
„Was heißt es, ein Mädchen zu sein?“ Du drehst den Kopf zu mir, schaust mich ein, zwei, drei Sekunden an und drückst die Kippe aus. „Passiv sein, sich nicht zu wehren, diskriminiert zu werden; Manche Leute würden sagen: ‚Brüste, Vulven, Gebärmutter, weite Hüften und all das Körperliche‘.“ Du verstummst und ich frage mich, wer so sehr für meine Geschlechtsteile brennt, dass es fast einer STI gleicht. Ich glaube nicht dran, dass es fair ist. Nur weil ich kein breites Becken hab und einen Adamsapfel, soll meine Identität, wer ich bin, was ich kann, was mich ausmacht für immer in die Zukunft gestampft sein. Ich sage dir, dass das Bullshit ist und du nickst. Dann legt sich das Schweigen über uns, wie die Nacht, die uns getrost zudeckt. „Mich nicht zu wehren, wenn ich es tun müsste. Immer wieder an den Punkt zu kommen, dass das getestet wird.“, sagst du. Durch ein Meer voller Gedanken wate ich nach Hause.
Was ist dieses Gefühl? Ein Kratzen, ein langer Nagel auf einer Tafel.
Stimmen, die mir sagen ich bin nicht gut genug.
Ein Monster, das auf meiner Schulter sitzt und mir ins Ohr flüstert: „Du bist ein Mann, wirst auch niemals was anderes sein, egal was du behauptest. Du versuchst vor deiner Verantwortung zu fliehen. Dich zu verstecken. Dich zu verstellen. Das ist doch alles nur Show. Akzeptier doch endlich deine wahre Natur und hör auf zu lügen.“
In der Raufasertapete an der Decke versuche ich Muster zu erkennen, scheitere aber an meiner fehlenden Konzentration.
Und an dieser Stelle hört die Geschichte auf.
Und was heißt es jetzt, (k)ein Mädchen zu sein?
Ich hab keine Ahnung.
Aber ich hab herausgefunden, was es heißt,
ich selbst zu sein.
Widerstand zu leisten,
sich den Raum zu nehmen, der mir zusteht,
mich nicht dem zu beugen, was die Cis-Heten und Terfs von mir wollen.
Und manchmal ist der stärkste Widerstand, den man leisten kann,
zu überleben,
weiterzuexistieren
und
glücklich zu sein.