Als Junge wärst du ganz hübsch!

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(c) Foreign and Commonwealth Office:  Transgender Pride Flag  (CC BY 2.0)

„Ich bin transgender“ sagt Ben. Als er im Alter von 13 von einer Klassenkameradin die Aussage “Als Junge wärst du eigentlich schon ganz hübsch” hörte, begann er sich intensiv mit seiner Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. „Ich habe diese Frage: warum denn “eigentlich”? einfach nicht mehr aus meinem Kopf bekommen“. Mein Testgelände-Autorin Lilith hat sich mit Ben unterhalten und alles gefragt, was sie wissen wollte – und das ist eine ganze Menge.

 

Lilith: Wann hast du gemerkt, dass du nicht das typische Mädchen bist und wie bist du damit umgegangen?

Ben: Meine Geschlechtsidentität ist schon seit meiner Geburt immer die gleiche gewesen, aber wenn man ein Kind ist, glaubt man ja, dass die Sachen, mit denen man aufwächst normal sind. Ich dachte, das wäre einfach so und würde sich schon irgendwie von selbst regeln. Als dann diese Aussage meiner Klassenkameradin kam, ließ mich das Thema nicht mehr los.

Wie ich darauf reagiert habe, weiß ich nicht mehr ganz genau. Ich habe ziemlich schnell entschieden, dass es das richtige für mich ist, Maßnahmen zu ergreifen, damit dieses “eigentlich” nicht mehr bestehen würde. Angst war zu dem Zeitpunkt nicht dabei. Eher dann, als ich meinem größeren Bekanntenkreis, also zum Beispiel meiner Klasse, erzählen musste: Hey, übrigens, ich bin und war auch noch nie ein Mädchen…

Wann hast du dich dazu entschlossen, es jemandem zu erzählen? Wer war der/die Erste?

Wenn ich etwas will, handle ich ziemlich schnell und entschlossen und das habe ich damals auch gemacht. Zuerst habe ich es tatsächlich meiner Sportlehrerin erzählt, weil ich den Sportunterricht nicht mehr ausgehalten habe. Kurz darauf habe ich es aber auch meinen Eltern erzählt.

Und – wie haben sie darauf reagiert? Wie verhält sich das mit weiteren Verwandten?

Eigentlich wissen alle davon. Meine Verwandten finden das alle gut. Meine Großmutter ist die einzige, die sich damit schwertut, weil sie eben religiös ist.

Was haben deine Freundinnen dazu gesagt?

Daran kann ich mich auch nicht mehr unbedingt erinnern. Wenn man seinen Freunden sowas erzählt, dann müssen die das auch erst mal prozessieren. Das ging aber ziemlich schnell und ich hab auch nicht wirklich Ablehnung erfahren. Einer meinte, dass ich mich ja “vielleicht noch eher in Richtung Mädchen” entwickeln würde, was mich natürlich wütend gemacht hat, schließlich hat der einfach mal eben meine Identität in Frage gestellt, als wäre da nichts dabei.

Wie sehr hast du dich von anderen unterstützt gefühlt?

Geht so. Zuerst ist mir vor allem meine Mutter im Weg gestanden, weil sie Angst hatte vor Maßnahmen wie Hormonblockern etc. Seit ich aus Kanada zurück bin*, ist es aber deutlich besser. Meine Eltern haben sich ziemlich angestrengt, als es darum ging, meinen Personenstand zu ändern und den Kostenantrag für meine OP durchzubringen. Von Freunden kommt da eher weniger Unterstützung. Das liegt aber glaube ich auch daran, dass sie einfach nicht wissen, wie sehr es einen beeinflusst, wenn man transgender ist. Für mich ist das ein Problem, das jede Sekunde meines Daseins in meinem Bewusstsein präsent ist.

Wie würdest du die Rolle des Staates bewerten? Hältst du sie Möglichkeiten, die sich für Transsexuelle bieten für ausreichend?

Prinzipiell kann man als Minderjähriger sowie als Erwachsener Behandlungen durchführen lassen, wie z.B: Hormontherapie, Personenstandsänderung und Operationen. Allerdings ist individuelle Diskriminierung sehr wohl möglich, z.B. gibt es Richter, die einen bei seiner gewünschten Personenstandsänderung einfach warten lassen, bis man 18 ist. In meinem Fall war es auch so, dass die zuständige Richterin bei ihrer Beschlussverkündung sehr klar formuliert hat, dass sie Transmenschen nicht gut findet. Ich musste mir sogar eine Anwältin nehmen.

Welche Maßnahmen hast du bereits durchgeführt?

Bevor ich Testosteron nehmen konnte, bekam ich erst einmal Hormonblocker. Jetzt werde ich schon seit fast einem Jahr mit Testosteron behandelt, habe meinen Personenstand geändert und bald eine Mastektomie (Brust-OP). Ansonsten brauche ich noch eine Hysterektomie (Uterusentfernung) und Ovarektomie (Entfernung der Eierstöcke), da man durch Testosteron in diesen Organen ein gewisses Krebsrisiko hat. Den Glauben, dass jeder Transmann unbedingt eine Phalloplastik (künstliches Geschlechtsorgan des Mannes) will und braucht, halte ich für falsch. Es dreht sich viel um das soziale Geschlecht und darum, wie man von anderen wahrgenommen wird. Dafür reicht eine Mastektomie und Testosteron aus.

Hast du deine Entscheidung jemals bereut, oder denkst du, du wirst sie irgendwann einmal bereuen?

Das einzige, was ich jemals bereut habe, war dass ich nicht früher wusste, dass es so etwas wie transgender-Sein gibt. Dann hätte ich alles viel früher machen können. Ich schließe es absolut aus, dass ich jemals etwas bereuen oder meine Position ändern werde. Es stört mich, dass bei Transmenschen alle ständig meinen, unsere Identität wäre weniger wert, weshalb wir unsere Gefühle schon noch irgendwann mal ändern werden. Das stimmt einfach nicht. Unsere Identitäten sind genauso valide und stabil, wie die von anderen. Wir hatten einfach nicht so viel Glück, als wir geboren wurden.  

Wie sieht es mit der sexuellen Orientierung aus? Ist es dabei einfach, deine Gefühle zu identifizieren und auszudrücken?

Grundsätzlich hängen Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung nicht miteinander zusammen. Es ist bei mir grundsätzlich nicht anders als bei anderen Menschen, nur eben schwieriger. Der Partner muss Bescheid wissen, dass man transgender ist, wofür man ein gewisses Vertrauensverhältnis haben muss. Man kann nicht einfach mal einen aus dem Club mit nach Hause nehmen.

Wie fühlt es sich an, wenn dich jemand ausversehen mit deinem Mädchennamen nennt?

Ich finde, zu diesem Zeitpunkt gibt es kein “Versehen” mehr. Mein Auftreten, meine Stimme und Einstellung lassen es nicht zu, dass jemand “aus Versehen” einen falschen Eindruck bekommt. Es reizt mich und ich lege es als persönlichen Angriff aus, wenn jemand falsche Pronomen benutzt. Aber das kommt eigentlich nie vor.

Auf welche Toilette gingst/gehst du? Welchen Sportunterricht hast du besucht?

Auf welche Toilette man geht, hat immer etwas mit dem Passing zu tun. Vorher fragt man sich: Wo werde ich eher auffallen/angesprochen etc? Seit mein Passing okay ist, gehe ich immer auf die Herrentoilette. Vom Sportunterricht habe ich mich einfach befreien lassen, als ich in Deutschland war. Mittlerweile nehme ich aber wieder teil.

Würdest du dir Extratoiletten sowie Zusatzankreuzfelder für Transgender Personen wünschen?

Das fände ich tatsächlich sinnvoll, weil man sich dann nicht immer die Frage stellen muss, wo man denn jetzt reingeht. Diese Frage verursacht deutlich mehr Stress, als Außenstehende vielleicht annehmen. Bezüglich der Ankreuzfelder, muss ich sagen, dass ich mich persönlich ja nicht Geschlechtern bewege. Aber eine dritte Option wäre gut. Vor allem, wenn man sich grade noch in der Transition befindet, ist es nicht einfach, sowas anzukreuzen.

Hast du eine unterschiedliche Akzeptanz in Deutschland und während deines Auslandsjahrs in Kanada bemerkt?

Ja, schon. In Kanada war das alles sehr viel offener und freundlicher. Die Schule dort hatte auch eine neutrale Toilette, im Gegensatz zu meiner deutschen Schule. In Deutschland hatte ich immer das Gefühl, noch um Toleranz ringen zu müssen, während in Kanada Akzeptanz der Standard war. Aber das ist in anderen Regionen Kanadas auch anders als dort, wo ich war.

Hast du das Gefühl auf der Straße, der Toilette, auf öffentlichen Veranstaltungen, oder in der Schule (z.B. auch von Lehrern) seltsam angeschaut zu werden?

Definitiv. Früher war das noch stärker, aber es kommt immer vor, wenn man rausgeht. Ich könnte einen Binder tragen, damit ich weniger angeglotzt werde, aber auf Dauer blockiert der die Brustwirbelsäule und ist auch generell nicht gesundheitsfördernd. Es kommt auch vor, dass einem was hinterhergerufen wird oder die Leute, sobald sie an mir vorbeigelaufen sind, sich über meine Identität unterhalten. Ich denke, das wird aber noch besser, wenn die Brust-OP hinter mir liegt.

Hast du bereits offen Diskriminierung erlebt bzw. Diskussionen führen müssen?

Diskriminierung nein, Diskussionen schon eher. Also man hat mir schon mal mehr oder weniger offen ins Gesicht gesagt: “Ich finde das, was du da machst, nicht gut.” Aber das waren meistens religiöse Menschen, deren Überzeugung man nicht so leicht ändern kann.

Bist du selbst mit deinem Aussehen zufrieden? Findest du dich als Junge hübsch? Fandest du dich als Mädchen hübsch?

Jetzt kann ich noch nicht zufrieden sein mit seinem Äußeren. Erst, wenn ich meine Mastektomie hatte, kann ich damit zufrieden sein. Da ich nicht als Mädchen leben kann, kann ich dazu keine Aussage treffen. Mir wird aber gesagt, dass ich ein Hübsches abgegeben hätte.

Was denkst du, müsste getan werden, damit die Toleranz in der Bevölkerung für Transsexuelle sowie auch Homosexuelle etc. sprich, alles, was dem klassischen Mann-Frau-Bild widerspricht, wächst?

Tatsächlich setzt sich momentan der Staat nicht unbedingt für Transmenschen ein. Man erhält in der Schule ja keinerlei Informationen zu dem Thema und dadurch werden zwei Dinge erreicht:

1) Transmenschen wird es erschwert, herauszufinden, wer sie sind.

2) Es ist wahrscheinlicher, dass Transmenschen diskriminiert werden, weil Cismenschen nichts über sie wissen.

Auch bei der Personenstandsänderung bekleckert sich der Staat nicht mit Ruhm: Wie gesagt versuchte die Richterin in meinem Fall alles dafür zu tun, mich hinzuhalten, bis ich 18 sein würde, damit ein anderes Gericht sich darum hätte kümmern müssen.

Setzt du dich für die Rechte von Transgender ein, oder möchtest du eher dein privates Leben leben?

In einem gewissen Rahmen setze ich mich natürlich dafür ein, schließlich geht es hier auch um meine Rechte. Ich bin sehr politisch und kann mich nicht damit abfinden, wenn einer Minderheit, vor allem aber der Minderheit, der ich angehöre, gewisse Rechte abgesprochen werden.

Vielen Dank für das Interview und deine Offenheit.

 

* die 10. Klasse des Gymnasiums absolvierte Ben bei einer Gastfamilie in Kanada.

 

Mehr dazu:

  • Auch unser Autor Nev ist trans*. Er berichtet auf meinTestgelände regelmäßig darüber, wie sich sein Leben und sein Körper verändern.
  • FaulenzA ist eine junge Frau, die mit Rapmusik Diskriminierungen gegen trans*Frauen verarbeitet.

1999 geboren in Heppenheim, aufgewachsen in Hessen und Baden-Württemberg und inzwischen wohnhaft in Dresden. Deutschland habe ich inzwischen durch viele Hobbies im Bereich Musik, Sport, Poetry Slam und Wissenschaft recht gut kennengelernt, doch noch spannender als die regionalen Reisen sind die vielen Begegnungen und Erlebnisse, die ich dabei gesammelt habe. Mein Testgelände ist eine super Sache, um festzuhalten, was mich auf meinen Reisen bewegt, einige der Personen mit ihren spannenden Geschichten vorzustellen und euch Teil von Recherchen werden zu lassen, die mich brennend interessieren. Hier kann sich jeder trauen, das zu schreiben, was ihn bedrückt. Und somit: Viel Spaß beim Lesen, Hören und Schreiben!