„… jedoch wünschte ich, er hätte es getan.“ Der Beginn von Maries Text verstört. Wünscht sie sich wirklich, von ihrem Freund geschlagen zu werden? Nein, keineswegs. Sie erzählt von einer gewalttätigen Beziehung, die sie über zweieinhalb Jahre führte und in der sie sich selbst nahezu komplett aufgab für ein bisschen Zuwendung und Liebe. Der Preis war hoch. Wie hoch, das beschreibt Marie in brutaler Offenheit, die zeigt, wie Lieblosigkeit und Kontrolle einen Menschen bis ins Selbstverständnis zerstören können.
…jedoch wünschte ich, er hätte es getan.
Mein Artikel handelt von emotionalem Missbrauch in einer Liebesbeziehung, eine stille Gewalt, die nach außen hin kaum einer bemerkt. Es äußert sich schleichend und meistens wird es erst realisiert, wenn es zu spät ist, wenn man so sehr an sich selbst zweifelt, weil man das Gefühl bekommt, nichts wert zu sein, nicht richtig zu sein.
Man will die Anerkennung von genau dem Menschen, der sich einem ständig entzieht, wird süchtig nach dessen Bestätigung, dass man halbwegs wertvoll ist, denn meistens ist man es nicht.
So lange habe ich das Gefühl bekommen, alles mögliche falsch zu machen. Dinge, die im Alltag normal waren, waren plötzlich etwas, das nicht sein darf. Ich habe den Menschen, den ich so sehr geliebt habe, viel zu oft verärgert. Ich habe Dinge getan, die in seinen Augen respektlos waren. Zu diesen Dingen zählte zum Beispiel das Freundetreffen.
Ich habe niemals das Vertrauen missbraucht, trotzdem wurde mir nicht vertraut.
Als Folge durfte ich mich nicht mit Freunden treffen, die männlich waren. Ich habe mich isoliert und meine Freunde lediglich gesehen, wenn wir eine der vielen Beziehungspausen hatten, während denen mein Partner sich nicht mehr sicher war, ob er mich möchte – und mich wochen- bis monatelang hat warten lassen, mich jedoch weiterhin mit Regeln und Vorwürfen bei sich hielt.
Meine damals beste Freundin, die ich wegen dieser Beziehung – und fehlender Einsicht meinerseits, bald darauf verloren habe, hat einmal zu mir gesagt: „Er hält dich in einem Käfig und wirft dir ab und zu ein paar Brocken zu. Und du freust dich darüber, als wäre es das tollste auf der Welt.“
Noch nie habe ich mich so wertlos gefühlt. Wie eine Strafe. War ich wirklich so grausam, dass man fast zwei Jahre braucht, um zu überlegen, ob ich die Richtige bin? Was an mir war falsch, dass ich so lange auf eine Person warten musste, die ich so sehr liebte.
Ich habe angefangen, mir Bücher zu kaufen. Das war zwar der richtige Ansatz, jedoch war es zu kompliziert. Ist das Egoismus? Narzismus? Einfach nur Respektlosigkeit? Bindungs – oder Verlustangst? Eine Beziehungsunfähigkeit?
Ich wusste es nicht. Oder war sein Verhalten ganz normal, meins jedoch nicht?
Je öfter mir meine Freunde und Verwandte sagten, dass ich die Notbremse ziehen sollte, weil das nicht normal sei, desto mehr hängte ich mich rein, mich mehr anzustrengen, ihn zu halten und zu rechtfertigen, weshalb er so reagiert. Die Schuld auf mich genommen, zugegeben, dass all das, was ich mache, wirklich nicht okay ist. Damit sein Verhalten entschuldigt ist.
Irgendwann traf ich auf den Begriff “Emotionaler Missbrauch“ und traute meinen Augen nicht, als ich gelesen habe, woran man ihn erkennt:
1. Ein ständiger Wechsel zwischen Zuneigung und Ablehnung deines Partners, über Jahre.
2. Krankhafte Eifersucht → Isolation von Freunden
3. Deine Selbstachtung und das Selbstwertgefühl verschwinden nach und nach
4. Es reicht nie, was du tust
5. Kontrolle, Drohungen, wenn du etwas tust, was dem Partner nicht passt
6. Partner ist unfähig, Kritik/Schuld anzunehmen/zuzugeben
7. Partner überschreitet menschliche Grenzen
8. Partner übernimmt keine Verantwortung für das eigene Handeln
9. Partner hat die eigenen Emotionen nicht im Griff
10. Der Fokus liegt die meiste Zeit auf ihm und seinen Bedürfnissen
Wir hatten im Jahr 2017 zwei schlimme Verluste, zwei Fehlgeburten mit einem Abstand von einem halben Jahr. Nach der ersten Fehlgeburt hat er mich alleine gelassen, statt mir beizustehen. Die ganze Situation war so auf ihn gerichtet, dass ich das Gefühl hatte, nicht ich, sondern ausschließlich er hat das Baby verloren. Mein Fokus war auf ihn gerichtet, denn er ist gegangen. Er hat diesen Verlust nicht ausgehalten und hat mich verlassen. Nur für ein paar Wochen, denn ich habe so sehr gekämpft, bis ich am Ende meiner Kräfte war – dann kam er wieder. Ich war der glücklichste Mensch der Welt.
So blind, dass ich mich an jedem Grashalm festhielt.
So fixiert, dass ich den Verlust nicht verarbeitet habe.
Während der darauffolgenden Schwangerschaft hatte ich Angst. Weniger, das Baby wieder zu verlieren, eher, IHN dann wieder zu verlieren! Er war immer so schnell weg.
Wie das Schicksal es wollte, ich verlor das Baby wieder. Und ihn auch.
Diesmal ist er für mehrere Monate gegangen. Zwischenzeitlich hat er mich mit Anwesenheit und Zuneigung beehrt, wann immer er wollte, aber wie es mir ging, wie sehr ich ihn brauchte, war egal. Es ging nur um ihn und dass ich doch gefälligst Rücksicht nehmen soll. Immer und immer wieder.
Ich kämpfte, weinte, wütete, vermisste. Zuneigung bekam ich, wenn er es wollte. Ich gab sie ihm immer, musste jedoch ständig eine Zurückweisung einstecken.
Ich verlor mein Selbstwertgefühl mehr und mehr. Ich fühlte mich nicht mehr richtig, dieser Wechsel zwischen Himmel und Hölle waren unfassbar anstrengend.
Wenn es eine Zeit gab, in der er sich wieder für mich entschied, ich wieder seine Traumfrau war und er sein restliches Leben mit mir verbringen wollte, war es einerseits das schönste, was mir hätte passieren können, andererseits hatte ich einen enormen Druck, eine unterbewusste Angst, weil er nie lange blieb.
Meine Aufgabe war es, da zu sein, perfekt zu sein, Fehler zu verstecken und es meinem Partner so bequem und einfach wie möglich zu machen, denn sonst hätte das Risiko bestanden, dass er wieder geht. Ich war in einer Hab-Acht-Stellung und verlor immer mehr an Energie und Realitätsbezug.
Nichtsdestotrotz war ich der glücklichste Mensch der Welt, wenn er bei mir war, mir Zuneigung und Aufmerksamkeit gab. Denn wenn er da war, war er es richtig. Mit Liebe. So schien es zumindest.
Schwarz und Weiß. Wenn etwas passierte, ein Streit, eine Situation, in der auch ich mal sauer war, oder ein Gedankenblitz seinerseits, verschloss er sein Herz, machte einfach zu und ich war allein. So lange musste ich Rücksicht nehmen, immer und immer wieder. Immer nur Rücksicht, wenn er sich zurück zog.
Aber wurde Rücksicht auf mich genommen, während ich unsere Babys verlor, Zuneigung brauchte oder ihm all meine Liebe geben wollte? Nein. Nie.
Wenn ein Kumpel, der ihm nicht passte, mit mir schrieb, wollte er den Chatverlauf sehen, von oben bis unten, ich habe all seine Wut abbekommen, musste mich rechtfertigen und als wenn das nicht genug wäre, hat auch mein Kumpel Drohungen über Social Media bekommen. Er war so respektlos und herablassend zu eigentlich jedem Menschen. Ich wollte ihn so gerne mitnehmen, wenn ich mich mit Freunden traf, aber das wollte er nie, wollte meine Freunde nicht kennenlernen, ich selbst durfte sie aber auch nicht treffen.
Ich bin so unendlich froh, mir dieses Verhalten nicht angeeignet zu haben.
Ich bin so froh, immer respektvoll gewesen zu sein, denn ich habe die Sicht auf die Realität wieder und weiß zu hundert Prozent, dass ich nie etwas unverzeihliches, respektloses getan habe. Nie.
Das sind Dinge, die er mir niemals vorwerfen könnte.
Oft habe ich es bereut, menschliche Reaktionen gezeigt zu haben, anstatt mich einfach zu fügen, indem ich während eines ausartenden Streits aus dem Auto gestiegen bin, um mit dem Bus nach Hause zu fahren, damit wir uns beruhigen. Denn zu dem Zeitpunkt war ich mir sicher, dass es das schlimmste ist, was ich hätte tun können, was mir auch bestätigt wurde, als ich am Abend zwei blaue Flecken auf meinem Arm entdeckte und mein Handgelenk eine Woche nicht mehr bewegen konnte. „Wärst du im Auto geblieben, wäre das nicht passiert“ Selbst, als zwei fremde Männer zu uns kamen, um ihm zu sagen, dass man so keine Frau durch die Straßen zerrt, war die Antwort „Sie will ja nicht mit mir reden!“. Und ich habe direkt danach den Satz „Na? Haste wieder schön auf die Tränendrüse gedrückt?“ zu hören bekommen. Er hat mir im selben Atemzug verboten, weiterhin mit seinen Eltern Kontakt zu haben, denn “sowas“ hätten sie nicht verdient.
Ja, meine Tränen flossen. Denn es hat mir unfassbar wehgetan. Nicht nur körperlich, auch im Herzen.
Als wieder eine Phase begann, in der er sich nicht mehr sicher mit mir war – und ich mich mit meinen Freunden traf, um keine Depression zu bekommen, wurden mir grundlos Dinge unterstellt, ich wurde mit einer “Hure“ verglichen, er stand plötzlich vor der Tür bei meinen Freunden oder drohte mir. Immer wieder.
Alles war ich, alles schlechte, was er sich in dem Moment gerade erlaubte. Jedes Mal. Ein menschlicher Boxsack, der immer hinhalten musste, wenn er es wollte.
Er hat meinem besten Freund schlechte Eigenschaften über mich eingeredet, dass ich mich von Männern leicht beeinflussen lasse und mir nach einer Trennung direkt männliche Ablenkung suchen würde, was mir die Bezeichnung “Hure“ zu recht geben würde. Hure, Hure, Hure.
So oft habe ich diesen Begriff noch nie gehört und erstrecht nicht im Bezug zu mir.
Ein Mensch, der seine Emotionen nicht im Griff hatte und jegliche Verantwortung für sein eigenes Verhalten abschob.
Keine zwei Wochen später kam der Tag, an dem ich frei sein sollte.
Während ich in der einen Woche eine “Hure“ war, weil ich Freunde traf, bekam ich in der darauffolgenden Woche den Vorschlag von ihm, mich mit Männern abzulenken.
Denn er trennte sich.
Eine Leere.
Ein Gefühl des Erstickens.
Ein Gefühl der Extase, ein Entzug aus heiterem Himmel.
Er war weg.
Eine zweieinhalb Jahre lange Beziehung, in denen ein Mann mehr als die Hälfte der Zeit braucht, um zu überlegen, ob er bleibt, bis er mich verlässt.
Zweieinhalb Jahre, in denen der Fokus zum größten Teil darauf lag, mich warten – und spüren zu lassen, nicht richtig zu sein.
Zweieinhalb Jahre, in denen ich so viel aufgegeben, verloren und geändert habe, damit er bleibt.
Nein, das war keine Liebe.
Ich war ein Gegenstand, den er besitzen – und kontrollieren wollte.
Mein Herz ist gebrochen, denn meine Liebe war so ehrlich, dass ich ohnmächtig bin.
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