Body Positivity: Problemzone Kopf

Vivian 1

Trommelwirbel und einen herzlichen Willkommensapplaus für eine weitere neue Autorin 🙌 Vivian setzt sich in ihrem ersten Text hier auf meinTestgelände mit dem Thema Body Positivity auseinander – allerdings nicht zum ersten Mal, denn darüber hat sie bereits ihre Masterarbeit geschrieben. Warum kann auch von #Selflove ein enormer Druck ausgehen? Welchen Insta-Accounts verbreiten Body Positivity – und was ist das denn nun eigentlich genau? Lest selbst:

Beach Body? Thigh Gap? Clean Eating?

Nein danke! Das ist die Message der Body Positivity, einer Bewegung, die eine Abkehr von sexistischen Schönheitsidealen und stattdessen eine Zelebrierung aller Körper fordert. Unter dem Schlagwort tummeln sich mittlerweile nicht nur Hashtags und Memes, Instagrammer*innen wie Megan Crabbe (aka @bodiposipanda) oder Kollektive wie die Stuttgarter „Bauchfrauen“. Auch die Anzahl der Selbsthilfe-Bücher wie Morena Diaz‘ „Love Your Body“ oder Taryn Brumfitts „Embrace Yourself“ wächst stetig.

Überall schreit man uns also im Moment entgegen: Du bist genug! Du bist schön! Liebe deinen Körper!

So radikal und befreiend wie das erstmal klingt – stellte ich mir doch vor circa einem Jahr die Frage, wie neu die Argumente der Body Positivity wirklich sind. Und warum fühlte ich mich von den Motivationssprüchen und Selbstliebe-Tipps manchmal weniger empowered als genervt? Ich beschloss mich im Rahmen meiner Master-Arbeit in den Gender Studies damit zu beschäftigen, was genau hinter der Bewegung steckt und setzte mich über 6 Monate intensiv mit Body Positivity Ratgebern auseinander.

Schnell wurde mir klar, dass die Body Positivity sich auf jahrzehntelange feministische und anti-rassistische Kämpfe und Studien stützt. Feministische Klassiker wie „Our bodies, ourselves“ sprachen sich beispielsweise bereits 1971 für die körperliche Selbstermächtigung von Frauen aus und der sogenannte „Fat Underground“ war eine Organisation, die sich schon in den 1970ern gegen die Diskriminierung von Menschen mit hohem Körpergewicht einsetzte.

Auch die Aktivist*innen der Body Positivity wollen ein Ende des ewigen Drucks, makellose Haut und einen durchtrainierten Körper zu haben. Stattdessen wird Akzeptanz, sogar Liebe, für die Menschen, die kaum in den Medien repräsentiert werden – beispielsweise dicke Menschen, Schwarze Menschen, Menschen mit Behinderung oder Trans*Menschen – gefordert. Die Mode- und Schönheitsindustrie, Medien und auch die Medizin, die allesamt gefährliche Schönheits- und Gesundheitsnormen propagieren, werden angeprangert.

Während die Body Positivity jedoch das Problem, also die Diskriminierung von Menschen, die den gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechen, vor allem in der Gesellschaft sieht, so setzten ihre Lösungsvorschläge bei der*dem Einzelnen an.

Self-Care und Selbstliebe sollen die mentale Gesundheit, die stark mit der Körperwahrnehmung verknüpft ist, stärken. Self-Care Techniken können heißen, ein Bad zu nehmen und Yoga zu machen, Tagebuch zu schreiben und schlechte Gedanken über den eigenen Körper möglichst zu meiden. Das Mantra „Ich bin schön“ muss – so die Logik – nur oft genug wiederholt werden, dann glaubt man schon irgendwann selbst dran.

Was das Essen angeht, raten viele Body Positivity Aktivist*innen zum ‚Intuitiven Essen‘. Alle Regeln über gesundes oder ungesundes Essen sollen vergessen werden – der Körper, also unsere Appetit- und Hungergefühle sollen entscheiden, was auf den Tisch kommt: Salat oder Cookie Dough Eis – alles ist jederzeit erlaubt. Denn es heißt, wenn du auf deinen Körper hörst, ist auch die mentale Gesundheit gesichert.

Laut Body Positivity liegen Makel demnach nicht im Hautbild oder im Bauchumfang – sondern im Kopf. Paradoxerweise setzen nun genau wie in der kritisierten Schönheitsindustrie etliche Produkte, Workshops und Bücher der Body Positivity daran an, diesen Makel im Kopf zu beheben. Die Lösung des Problems scheint also weiterhin Konsum zu heißen – und erneut sind vor allem Frauen die Zielgruppe. Anstatt Körperideale verbreitet die Body Positivity so neue Gefühlsideale. Frauen sollen glücklich sein, sich lieben, positiv bleiben. Vielleicht erklärt sich auch deswegen, warum ich die inspirierend gemeinten Instagram-Posts langsam nicht mehr lesen kann? Der Druck aus der Werbung, die mir einredet, dass ich einem gewissen Schönheitsstandard nicht entspreche weicht dem Druck, sich ständig zu lieben und das eigene Essverhalten zu hinterfragen.

Die Body Positivity lässt sich so nur schwer als ein Ende der Selbstoptimierung verstehen oder gar als feministische Revolution. Trotzdem findet sie Anklang und hilft offenbar vielen Frauen, die es satt haben, niemals satt sein zu dürfen, sich empowered zu fühlen.

Hier klingt dennoch ein weiteres Problem an. Welche Frauen sich durch die Body Positivity angesprochen fühlen oder mit ihr sogar Geld verdienen gibt einen Aufschluss darüber, warum viele Frauen auch daran scheitern könnten, den eigenen Körper zu lieben.  Denn Frauen sind ja auch nicht alle gleich. Manche sind zusätzlich von Körperdiskriminierung betroffen, weil sie zum Beispiel eine person of color, differnetly abled oder keine cis-Frau sind. Manche Frauen können es sich auch nicht leisten, jederzeit zu essen, worauf sie Lust haben. Vielleicht müssen sie auch ein Kind oder Verwandte versorgen und haben keine Zeit für ausgiebige Bäder und Gesichtsmasken. Welche Techniken bietet die Body Positivity für diese Frauen?

Obwohl die meisten Aktivist*innen der Body Positivity sich ganz klar mit allen Frauen und auch allen Menschen solidarisieren, sind sie doch zumeist selbst nicht von diesen Diskriminierungen betroffen. Deswegen, und weil manche Problematiken – wie Rassismus –nicht durch Self-Care gelöst werden können, werden sie auch in den meisten Ratgebern geschickt ausgespart. Die Body Positivity ist vor allem an Frauen gerichtet, die auf vielfältige Weise privilegiert sind und regt sie zum Konsum und zur Selbstoptimierung an. Sicherlich ist die Body Positivity Bewegung vielfältig, politisch und ein wichtiger Bestandteil des Feminismus, der sie hervorgebracht hat. Ihre Botschaft, Ideale kritisch zu hinterfragen, bleibt – und kann auch auf die Bewegung selbst angewendet werden.

Mehr dazu:

Ich bin Vivian und habe unter anderem Gender Studies studiert. Über Feminismus und Popkultur könnte ich aber auch außerhalb des Studiums stundenlang sprechen - am liebsten bei einer Tasse Kaffee. Bei meinTestgelände möchte ich meine Gedanken mit euch teilen und diskutieren.