sorry not sorry & Interview mit Sir Mantis

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Mögt ihr Rap? Kennt ihr eigentlich schon Sir Mantis? Falls nicht, wird’s allerhöchste Eisenbahn! Heute heißen wir ihn als neuen meinTestgelände-Autor willkommen und präsentieren euch nicht nur das Video zu „sorry not sorry“, sondern gleich auch noch ein Interview mit dem jungen Künstler. Lesen, anschauen, aufdrehen, dancen! Wortgewaltig, kraftvoll und absolut im Takt gegen Homo- und Transfeindlichkeit. Yes! 

Im letzten Jahr hat Sir Mantis mit seinem Song „sorry not sorry“ einiges an Staub im Deutschrap aufgewirbelt. War er vorher bereits fünf Jahre unter dem Namen Jennifer Gegenläufer als Rapperin aktiv, war dies das erste Release nach seinem Outing als trans Mann. Ein Blick in die YouTube-Kommentarspalte zeigt die verschiedenen Reaktionen auf den Song. Neben dem üblichen, infantilen Internet-Hate sind es vor allem supportende Aussagen und solche, die sich von seiner Musik empowert fühlen. Doch bei genauerem Hinsehen sind insbesondere die Reaktionen von Menschen interessant, die ihn zwar als Jennifer Gegenläufer gefeiert haben, jetzt aber, wo er als Mann sichtbar ist, ihn doppelt kritisch beäugen, seine Attitude als „mackerisches Gehabe“ kritisieren und ihn aus Räumen ausschließen, in denen er sich vorher sicher bewegen konnte. In einem langen Gespräch haben wir uns genau über diese Themen unterhalten.

Also, ich glaube, wenn man als außenstehende Person sich so ein Release anschaut und das verfolgt, dann wirkt das eher wie eine Erfolgsgeschichte. Für mich war es das auch. Aber ich habe tatsächlich auch Anfeindungen gemerkt bezüglich meines Transseins aus der Mehrheitsgesellschaft. Aber auch speziell von feministischen Cis-Frauen. Die mir Nachrichten geschrieben haben: Ich finde dich jetzt mackerisch. Ich finde das gar nicht mehr empowernd, was du da machst. Und ich habe diesen Song ursprünglich als Jennifer Gegenläufer geschrieben, und als er rauskam, war ich nichtmal auf Testosteron. Was ich damit sagen will: Männliche Identifikation, aber weit weg davon männliche Privilegien zu erfahren. Und ich habe mich auch schon vorher so gekleidet wie jetzt. Witzigerweise werde ich mit genau demselben Aussehen, genau demselben Verhalten, aber einem anderen Namen für Sachen mackerisch genannt, für die ich vorher gefeiert wurde. Das war eher so der Teil, der nach außen hin immer so unsichtbar ist. Den ich halt eben eigentlich nur erlebe, weil die wenigsten Leute das in Kommentarspalten schreiben, sondern eher in Privatnachrichten. Worauf ich gemerkt habe: Wow,  es gibt Transfeindlichkeit. Und es gibt ein großes Missverständnis. Also, Cis-Frauen missverstehen Transmännlichkeit komplett. Das ist mir dadurch sehr bewusst geworden. {} Ich habe das Gefühl, dass es eben so ist, dass Cis-Frauen super viel Sexismus erfahren, das kenne ich ja auch. Und dass man eben bei einem Transmann eine viel höhere Erwartung an den Umgang mit der eigenen Männlichkeit hat. Alleine, weil man weiß, der hat Sexismus erfahren. Aber genau an diesem Punkt lässt man schon außer acht, dass so eine Transition ein riesiger emotionaler und körperlicher Prozess ist, an dem nichts über Nacht passiert, und vor allem Auseinandersetzung eine mit sich selbst und der Vergangenheit ist, und dabei kommt generell sehr viel wieder hoch. Was ist das für ein Selbstzweck, von einem Transmann der nicht mal einen Tag auf Testosteron ist, einen Beitrag zu kritischer Männlichkeit zu erwarten? Ja, es gibt Leute, die das vielleicht wollen, aber ich persönlich möchte erstmal überhaupt wissen, wie sich männliche Privilegien anfühlen, um genau zu wissen, über was ich spreche. Aber es zeigt sich: Ein Transmann wird zur Projektionsfläche einer cis-weiblichen Erwartung. Und wird am Ende des Tages wie ein Cis-Mann bewertet. Manche cisfrauen gehen damit sogar so weit: der Transmann darf dann nicht mehr wütend sein über Sexismus oder über seine Traumata. Weil dann ist es ein wütender Mann im Patriarchat. Und da wird eben eine Menge Toxic Masculinity, die man eigentlich kritisiert und weghaben will, die wird dann aber doch  nach außen auf Transmänner übertragen, indem man  nicht mehr über seine Traumata rappen darf. Dass man  betroffen von Sexismus war oder ist, je nach Situation und wie der Täter einen liest. Und wenn man in einem Trauma gefangen ist, muss man ja nicht mal mehr Sexismus von der Gesellschaft erfahren. Weil man halt innerlich immer noch traumatisiert ist. Das heißt, man erfährt es ja trotzdem noch. Das ist  eben so dieses Muster dahinter. Dass Transmänner Projektionsfläche sind dafür, wie Cis-Frauen sich halt den perfekten Mann wünschen. Heißt, sie dürfen nicht mehr wütend sein. Weil Männer erfahren ja keinen Sexismus, Transmänner erfahren ja keinen Sexismus mehr. Also, warum sollen sie dann noch wütend sein? Sie dürfen nicht aggressiv sein. Das dürfen nur Cis-Frauen. Und wenn eine Cis-Frau  Gewaltmetaphern verwendet, dann ist das irgendwie Rebellion gegen das Patriarchat. Wenn ein Transmann das macht, dann ist das Mackertum, auch wenn der Kontext ein biographischer Song gegen das Patriarchat ist. Aus Betroffenenperspektive. Und man sollte Transmänner als Männer ernst nehmen. Aber das heißt nicht, dass man ihnen jetzt einen biographischen Kontext wegnehmen darf. Weil das ist nämlich der Fehler. So eine Transbiographie ist eine Erfahrung. Das haben Cis-Leute einfach nicht. Und du kannst dann nicht einfach irgendwie Transmännern die Biographie wegnehmen und sie halt wie Cis-Männer behandeln. Das ist halt falsch.

Für Sir Mantis ist dies nicht nur auf einer persönlichen Ebene zu einer großen Herausforderung geworden. Als junger Künstler, der von seiner Musik seit fünf Jahren lebt und sich innerhalb der queerfeministischen Rapszene einen Namen gemacht und somit auch regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten generiert hat, hat die Transition mehr als nur sein Pronomen geändert. Zum einen haben sich seine Verdienstmöglichkeiten, aber auch sein Aktivismus verändert.

Weil ich eben zu schlechte Zeugnisse habe, habe ich auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen. Ich bin hauptberuflich Rapper. Und das verpflichtet mich quasi öffentlich zu transitionieren. Das heißt, ich bin doppelt so verletzlich. Und ich kriege übelst das Patriarchat ab. Dass man mir die ganze Zeit erzählt: Du bist niemals ein richtiger Mann. Beziehungsweise ich will gar kein echter Mann sein. Ich weiß gar nicht, was das heißt. Aber ich will ernst genommen werden. Darum geht es. Das Patriarchat nimmt mich halt einfach nicht ernst. Und halt Feministinnen, Cis-Frauen unterstellen mir dieselben Privilegien wie Cis-Männer.

 {} inzwischen habe ich einfach konsequent gelernt, dass Solidarität  immer beidseitig sein muss. Und ich kriege von super vielen Cis-Frauen einfach super wenig zurück. Und da denke ich: Okay, ihr wollt euer Girls to the Front. Dann macht das, finde ich cool. Ihr denkt aber nicht darüber nach, wo Transmännlichkeiten überhaupt hinkommen, was strukturell mit ihnen passiert, wenn sie sich als Männer outen: Im Female Focus sind wir nicht drin. In Girls to the Front sind wir nicht drin. In all diesen Geschichten, die so binär aufgebaut sind und die gegen das Patriarchat intervenieren, indem sie eine andere binäre Identität in den Fokus stellen. All das funktioniert halt eben nicht mehr für Transmänner, für Interpersonen und für nichtbinäre Personen. Das sind genau diese Leute, für die Feminismus, der so funktioniert, keine Geschlechtergerechtigkeit gibt. Und wenn Feminismus aber Geschlechtergerechtigkeit bedeuten soll und an dieser Stelle komplett versagt, dann brauche ich meinen eigenen Feminismus. Und genau das ist für mich eben einfach der Punkt, der Schmerzen und Frustration erzeugt, die ich wirklich sehr oft erlebe. Von Cis-Frauen mit riesigen Erwartungshaltungen überschüttet zu werden, aber auf struktureller, psychologischer und marginalisierter Ebene nur eine Entsolidarisierung zu bekommen. Oder halt einfach in Spaces nicht mitbedacht zu werden, weil sie mir Privilegien zuschreiben, die ich gar nicht habe. Also, eben eine ganze Reihe solcher Sachen. Seitdem ich 18 bin, lebe ich von meiner Musik. Seit fünf Jahren. 10 Monate habe ich jede Woche im Callcenter arbeiten müssen, weil die Konzertanfragen aus der feministischen Szene ausblieben. Und das ist kein Zufall. Und ich merke, dass autonome feministische Strukturen, die mich durch die Häufigkeit an Anfragen und Konzerten jahrelang finanziert haben, das jetzt einfach nicht mehr machen. Und diejenigen, die es tun, sind anfangs meist skeptisch. Ich hatte dieses Jahr nur 2 positive Erfahrungen mit Cis-Frauen als Veranstalterinnen und war dafür sehr dankbar und überrascht. Im Nachhinein habe ich gemerkt, wie viel mehr für mich als Jennifer Gegenläufer, gelesene Cis-Frau, selbstverständlich war, und wie wenig Selbstverständlichkeiten es hingegen als Transmann für mich gibt. Im Kontext Patriarchat werde ich natürlich immer Cis-Frauen unterstützen, aber ich wünsche mir, dass sie lernen zu verstehen, dass sie strukturell stärker sind als Transmenschen und wir dadurch auf sie angewiesen sind. Ich finde Female Focus gut, als eine binäre Intervention, eine binäre Antwort. Aber wenn eure Antwort bedeutet, für euer Konzept von Frausein Menschen auszuschließen, die gegen das Patriarchat kämpfen und strukturell noch schwächer sind, merke ich, dass dieser Female-Fokus mir nichts mehr geben kann, weil er für uns Transleute, Interferonen und Nonbinarys am Ende des Tages eben doch keine Geschlechtergerechtigkeit ist.

 

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Hey, ich bin Sir Mantis. Ich bin Feminist, Rapper und Selfmade-Man und nun zum zweiten Mal Autor auf meinTestgelände. Ich spreche und schreibe über die Themen Sexismus, Transphobie, Klassismus und Homophobie, weil mir diese Diskriminierungen einzeln oder vermischt jeden Tag begegnen. Hier findest du emotionale Texte vermischt mit haargenauer Gesellschaftskritik aus der Gedankenwelt eines zweifelnden Optimisten.