Inter*galaktisch, Inter*sexy, Inter*- Was?

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Juhu! Wir freuen uns sehr, mal wieder eine*n neue*n Autor*in auf meinTestgelände begrüßen zu dürfen: Herzlich Willkommen, Ika! Die Pubertät verlief für Ika ziemlich krass – und ganz schön anders als erwartet. Warum, das erfahrt ihr in Ikas erstem Text. Viel Spaß beim Lesen!

Ihr habt bemerkt, dass euer Körper nicht so richtig in diese Kategorie ‚Mann‘ oder ‚Frau‘ passt und irgendwo das Wort „Intergeschlechtlich“ gelesen? Oder irgendwer hat zu euch gesagt: „Ach so, ich bin übrigens Inter*“. Vielleicht ist euch auch einfach nur aufgefallen, dass bei Stellenanzeigen seit kurzem neben m/w für männlich und weiblich auch ein d für divers steht. Jedenfalls fragt ihr euch jetzt, was das heißt: Inter*.

Die Medizin spricht von Intersexualität, manche sagen Intergeschlechtlich. Für mich ist es Inter*galaktisch. Gemeint ist immer, dass Menschen von ihrer Anatomie, von den Hormonen oder von den Chromosomen her nicht oder nicht nur Mann oder Frau sind. Biologisches Geschlecht ist tatsächlich viel komplexer als die meisten glauben.

Wie genau dieses Inter* sein konkret aussieht, kann sehr unterschiedlich sein. Bei manchen fällt schon bei Geburt auf, dass die Geschlechtsteile besonders sind. Einige merken es, wenn die Pubertät anders eintritt als gedacht. Andere können keine Kinder bekommen, werden darum untersucht und erfahren plötzlich, XY-Chromosomen zu haben, die als männlich gelten, obwohl sie immer als Frau gelebt haben.

Bei mir lief das so ab: Als ich 11 war, habe ich zwar als offiziell einziges Mädchen mit den Jungs Fußball gespielt, angefangen zu schreien, wenn ich ein Kleid anziehen sollte, aber von der Biologie her waren ich und alle anderen sicher – dass ich weiblich bin.

Dann haben nach und nach die Mädchen um mich herum Brüste und ihre Tage bekommen. Mir war zwar auch ab und zu schlecht, aber geblutet habe ich nicht. Meine Brust war auch eher ein Brett als irgendwas anderes. Was in der Schule nicht unbedingt positiv aufgefallen ist, wie ihr euch vielleicht denken könnt. Vorher war ich auch schon anders – aber zumindest für manche ok. Jetzt war ich zu weich für die pubertierenden Jungen und zu wenig geschminkt für die pubertierenden Mädchen.

Ich kann nicht behaupten, dass mir die Regelschmerzen gefehlt haben, aber meine Mutter fand das dann doch irgendwann komisch und ist mit mir zur Gynäkologin gegangen. Wahrscheinlich für niemanden eine sonderlich schöne Erfahrung. Mich hat es wirklich verstört. Nach dieser Untersuchung meinte die Ärztin zu mir und meiner Mutter: Das sieht nicht gut aus, also das ist ein richtiger genetischer Defekt.

Gemeint war ich. Und die Tatsache, dass ich ein und nicht zwei X-Chromosomen habe. Auf jeden Fall klang es nicht wie eine okaye Form von Geschlecht, sondern eher nach Krankheit. Darum wollte ich erstmal nichts mehr davon wissen. Und habe auch keine Fragen gestellt. Oder Hilfe gesucht. Obwohl es natürlich verwirrend war zu merken, dass mein Körper anders ist als der von den meisten um mich herum. Aber ich kannte keine positiven Worte dafür. Also habe ich lieber geschwiegen. Meiner besten Freundin habe ich mich anvertraut, immerhin, aber sonst war klar: Du darfst davon niemandem erzählen, also dass du so ein Monster bist.

Ich war Zwitter. Aber eigentlich nicht mal das. Echte Zwitter, das waren ja die mit Penis und Vagina, wie ich dachte. Das war wenigstens noch irgendwie cool. Ich war Pseudozwitter. Oder wie die X0-Infoseite im Internet meinte: Eigentlich eine Frau wie jede andere. Nur dass da halt was fehlt.

Während die anderen also in der Bravo lesen konnten um den eigenen Körper zu entdecken. Während die anderen betrunkene Küsse auf den Kleinstadt-Kellerpartys austauschten, blieb ich alleine zu Hause und hörte lauten Punk. Seitdem ist zum Glück viel passiert. Und ich lerne meinen Körper so zu akzeptieren wie er ist. Immer mehr merke ich: Das Problem liegt in der Gesellschaft. Nicht bei mir. Weil Menschen so sehr an ihrem Bild von nur zwei Geschlechtern hängen, muss alles, was dazwischen liegt, schon vor Geburt ausselektiert, angepasst oder unsichtbar gemacht werden.

Wir Inter* stören ihre Ordnung. Viele Menschen mögen es, wenn Sachen einfach, leicht einzusortieren sind. Sie haben Angst vor dem Leben und halten sich an irgendwelchen Schubladen fest. Aber das Leben ist keine Ikea-Kommode. Sondern viel komplexer. Aber darum gibt es noch immer OPs an kleinen Kindern ohne Zustimmung. Nicht weil an den Kindern irgendwas falsch wäre. Nicht aus medizinischen Gründen. Sondern nur um an eine männliche oder weibliche Norm anzupassen. Darum werden Embryos mit Inter*-Diagnose durch Pränataldiagnostik entdeckt und dann schon vor Geburt ausselektiert. Obwohl die Eltern sich ein Kind wünschen. Aber keines das nicht „normal“ genug ist. Es geht dabei nicht um das Recht auf Abtreibung, was auch noch immer erkämpft werden muss. Leider. Auch nicht darum einzelne Leute für Entscheidungen zu verurteilen. ES gibt viele gute Gründe für eine Abtreibung. Aber wenn Menschen sich ein Kind wünschen, aber nur eines, was irgendwelchen „Normen“ entspricht, sendet das ein Zeichen nicht erwünscht zu sein, an alle, die nicht dieser Norm entsprechen. Genau darum gibt es noch immer so wenig von uns, die öffentlich von ihrem Inter* sein sprechen. Aber wir müssen reden, uns zeigen und unsere Geschichten erzählen. Damit wir endlich so anerkannt werden wie wir sind.

Nicht  als Mann oder Frau, sondern Inter*. Weil ich es nicht mehr einsehe mich zu verstellen, zu verstecken und zu schämen. Nur damit andere sich nicht in ihrem Mann- oder Frausein gestört fühlen. Obwohl ich doch niemandem etwas wegnehmen will. Sondern einfach nur bleiben möchte, wie ich bin. Inter*galaktisch, Inter*sexy, Inter*geschlechtlich.

Menschliche Körper sind und waren schon immer sehr divers. Es gibt unglaublich viele verschiedene Schuhgrößen, Körperformen und Gesichtszüge. Warum sollte ausgerechnet Geschlecht nur als Variante A oder Variante B existieren? Die Zwei-Geschlechter Ordnung, in der wir leben, ist nicht natürlich. Auch wenn das gerne so behauptet wird.

Zu manchen Zeiten, an manchen Orten der Welt wurden wir  Inter* verehrt. Als besonders spirituelle Wesen, die sowohl Männliches als auch Weibliches in sich tragen und darum „komplett“ sind. Zu anderen Zeiten wurden Inter* verfolgt oder verbrannt. Aber eines galt schon immer. Und wird auch weiter gültig bleiben. Auch wenn viele es nicht hören wollen: Wir sind da.

Mehr dazu:

Ich bin Ika Elvau. Weil ich selber keine Geschichten kannte von Leuten die so sind wie ich, nämlich Inter*, habe ich einfach angefangen welche zu schreiben. Ich freue mich hier auf meinTestgelände eine Plattform zu bekommen damit die Pubertät für andere, jüngere Inter* vielleicht nicht ganz so verwirrend und überfordernd wird wie für mich.

One Comment

  1. Hallo Ika,
    vielen Dank für den wertvollen Artikel! Informationen sind das Allerwichtigste, um Menschen Zugang zu Ihnen unbekannten und deshalb oft angstauslösenden Dingen zu ermöglichen. Viele wissen bestimmt nicht, was Inter überhaupt bedeutet, welche Varianten es gibt, welche Bedeutung das im Alltag hat . Ich werde den Artikel verlinken und hoffe, dass ihn viele Menschen lesen.