Passen

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(c) nchenga:  herz voller herzen  (CC BY-NC 2.0)

Das Gefühl, nicht dazuzugehören, nicht hineinzupassen – in die Klasse, die Schule, die Gesellschaft, die Welt – das kennt wohl jede*r. Besonders wenn man noch sehr jung ist, kann das schnell sehr problematisch werden. Wem soll man sich anvertrauen? Woher soll man wissen, was normal ist und was nicht? Fee hat einen ganz tollen Text darüber geschrieben. Für alle 12jährigen Mädchen da draußen – aber auch für alle anderen, die verunsichert sind.

Das Leben ist Geschmackssache, sagst du. Und dir schmeckt es nicht.
Und du bist dabei zwölf.

Kleines Mädchen am Schulhof,
das sich zwingt nicht zu weinen,
wenn ́s passiert, bist nicht du doof,
sondern die, die das meinen.
Ich hab dich beobachtet, eine ganze Zeit.
Wenn die Welt sich dreht, bleibst du stehen und schaust zu.
Und die Diagnose lautet – es tut mir ja auch leid

Aber du gehörst hier nicht dazu.

Du bist immer n kleines bisschen zu groß,
oder zu klein.
Dass du damit Pech hast, das könnte schon sein,
aber es ist nicht nur das.

Das Leben ist Geschmacksache, sagst du. Und bist dabei zwölf.
Und dir schmeckt es nicht. Und du bist dabei zwölf.

Du passt nicht hinein,
denn du hast nicht den einen, richtigen Rucksack,
Mama, diesen einen Rucksack,
Mama, den alle haben,
Mama, wieso dürfen die anderen überhaupt Handtaschen und Eastpack tragen

und nur du musst immer mit diesem bescheuerten 4You rum rennen,
mit der Schrift in Baby Pink!
Mama, der ist hässlich und stinkt!!

Du passt nicht hinein,
Denn du hast nicht den Style.
Aber es ist nicht nur das.

Du siehst die anderen und weißt,
so bist du nicht,
und was die nicht wissen, heißt,
das dürfen sie auch nicht.
Irgendwas stimmt nicht mit dir,
denn du hast ein Geheimnis
und du weißt, du kannst hier
nicht bleiben, wenn es so weit ist,
und jemand findet es raus.
Deswegen fühlst du dich besser erst gar nicht zuhaus.

Du passt nicht hinein,
Du schaffst es nicht, so zu sein.
Aber es ist nicht nur das.
In den Heften der Mädchen stehen Namen von Jungen,
in deinem Heft steht ein Name und knapp darunter
steht: BFF
dass das gelogen ist weiß ich,
Der Name in deinem Heft
ist der Grund für dein Geheimnis.
Wenn die anderen lachen, weil der Lehrer HOMO sapiens sagt,
stehst du am Rand.

Denn du hast schon verstanden,
was das heißt.
Aber du verstehst nicht, warum man darüber jetzt Witze reißt.
Du sagst: Das Leben ist Geschmacksache. Und bist zwölf. Und dir, sagst du,
dir schmeckt es nicht. Und du bist dabei zwölf.

Du passt da nicht rein,
weil du fast immer weinst,
wenn die anderen lachen.
Du willst ja offenbar ganz
genau das Gegenteil machen,
von dem, was alle anderen wollen.
Es gibt in unserer Gesellschaft nun mal Rollen
aber du hast nicht mal das Opfer abbekommen.
Das wär vergleichsweise Glück.
Nein, du spielst scheinbar in nem anderen Stück!
Und du hast dich im Theater geirrt,
Seitdem stehst du hart verwirrt
im Weg rum.

Ich weiß, was dich quält,
der Name in deinen Heften hat ́s mir gezeigt
und das Herz hat erzählt,
was du uns allen verschweigst,
weil du immer noch Angst hast,
zweitausendneunzehn,
weil du immer noch nicht reinpasst,
du hast Angst vor deinen Freunden.
Du hast Angst, zu reden,
Angst, wirklich so zu sein,
Angst zuzugeben,
was deine Familie dir nicht verzeiht,
denn da bist du sicher,
dabei lieben die dich doch,
trotzdem stehst du da und zitterst
und trotzdem lügst du immer noch.

Ach, kleines Mädchen auf dem Schulhof,
wie gern würde ich dir,
sagen, was ich denke, denn ich seh mich in dir.

Nein, du passt nicht hinein,
dabei bist du noch so klein.
Du hast die Serien zwar gesehen, aber das ist ja nicht echt.
Du hast die Bücher schon gelesen, aber die echte Welt ist schlecht.
Du hast Vincent gehört, aber da geht ́s nicht um dich,
du hast ja gesucht, doch du kennst niemanden wie dich
und das ist der Beweis,
jede Kleinigkeit ein Zeichen:
Die Welt braucht dich nicht!
Nichts und niemand kann dir gleichen,
deshalb übst du Welt-Verzicht.

Du hast es versucht, hast dich verbogen,
bist gehüpft und gesprungen, hast den Bauch eingezogen,
und nach all der Anstrengung möchtest du weinen,
du bist wohl zu fett, denn du passt nicht hinein.

Nicht in Größe Vierunddreißig
und nicht in diese Klasse.
Nicht in die Welt, ach was weiß ich,
wohinein ich eigentlich passe.

Das Leben ist Geschmackssache, sage ich. Und bin dabei 25.
Und manchmal braucht man etwas Salz!

Du passt nicht hinein?
Mädchen, das mag schon sein.
Aber zeig mir in all den Millionen nur einen,
der meint, er könnte sich wirklich vereinen
mit seiner Umgebung oder den anderen Millionen,
wenn das Leben nicht schmeckt, kann sich nachsalzen lohnen.

Ich habe in meinem Leben schon so viele Menschen getroffen,
und noch nie hat einer hinein gepasst.
Vielleicht lässt dich dieses Versprechen ja hoffen,
Es gibt keinen, der sich nicht manchmal selbst hasst.
Das Gefühl, nicht dazuzugehören, kennen wir alle.
Aber deshalb aufzugeben ist eine Falle.

Du passt nicht hinein,
also versuch nicht zu sehr,
jemand and ́res zu sein,
denn selbst dann wär ́s noch schwer.
Kleines Mädchen am Schulhof, dem das Leben nicht gefällt,
vielleicht bist es nicht du, die nicht passt, vielleicht ist es die Welt.

Soll die Welt sich doch fühlen,
als würd sie nicht zu uns gehören,
uns, zwölfjähriges Mädchen,
uns muss das nicht stören.

Das Leben ist Geschmacksache!, rufst du
und machst dabei all die seltsamen Sachen,
die die anderen nicht machen.
Du bist zu groß, zu dick, zu traurig, zu lesbisch, zu stumm-
liest all deine Bücher, grunzt beim Lachen und scherst dich nicht drum,
ob du dem Leben schmeckst.
Und ich hoffe, dass du irgendwann auch checkst,
dass das hier nur ein Schulhof ist und nicht die Welt
und dass es ganz egal ist, ob denen hier gefällt,
wen du liebst, wer du bist und was du denkst,
welchen Namen in Heften du Herzen schenkst.
diese Welt ist weit und groß und schön
der Schulhof ist es vielleicht nicht.
Aber du wirst eines Tages durch das Tor da geh ́n
und dann zählst nur du selbst und alles andere nicht.
Und wenn du ́s versuchst, dann vielleicht,
merkst du dass die Welt sogar in den Schulhof hinein reicht
und dass du nicht allein bist, egal was du machst
und du nickst und lächelst und salzt nach.
Und du bist dabei endlich zwölf!

Mehr dazu:

Ich bin Fee aus München und Poetry Slammerin. Bei meinTestgelände schreibe ich mit, weil ich mich unter anderem für genderspezifische, feministische Themen interessiere und dazu eine Meinung habe, mit der und über die ich gerne diskutiere.