Trauer hat so viele verschiedene Gesichter – die eine, ‚richtige‘ Art zu trauern existiert nicht. Und außerdem fühlt sich Trauer nicht immer gleich an. Sie besteht nicht nur aus einem Gefühl, sondern aus einem ganzen Haufen an Emotionen. Unsere Autorin Marie hat über ihre Trauer geschrieben – über die Trennung von ihrem Partner, über den Tod eines geliebten Menschen. Herausgekommen ist ein mutiger Text über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Arten von Trauer.
Die letzten drei Monate des Jahres 2018 habe ich Gefühle kennengelernt, die ich vorher noch nicht erlebt habe. Der Verlust geliebter Menschen, auf zwei verschiedene Arten.
Durch Trennung und durch den Tod.
Eins haben beide Verluste gemeinsam, es ist die Trauer um die Person, die man liebt und verloren hat. Zu wissen, dass sie weg ist, obwohl man sie liebt. Ohne, dass man etwas hätte ändern können. Man kann niemanden zwingen, zu bleiben, egal wie sehr man es selbst möchte. Diese Trauer, wenn die Person weg ist, schlägt einen nieder, es ist unverständlich, es gibt vielleicht noch so viel zu fragen, zu verstehen, zu sagen.
Vorwürfe, dass man es vorher hätte ändern können, damit es anders kommt.
Leider ist die Trauer nicht das Einzige an Gefühlen, die mich überkamen. Ich habe in den wenigen Wochen, die vom einen Verlust in den Nächsten übergingen, einen Haufen Emotionen gespürt, die man nicht einfach wegsteckt, die man nicht beeinflussen – und erst recht nicht herunterschlucken kann.
Der Mensch, den man durch eine Trennung verliert, ist freiwillig gegangen, hat diese Entscheidung eigenständig getroffen, kann selbst bestimmen, inwieweit er den Verlassenen noch an sich heran lässt, Gespräche führt, Krisen überstehen würde. Er tut etwas Schmerzhaftes: Er entscheidet sich aktiv, zu verlassen.
Ich habe Wut und Hass gespürt. Wie kann dieser Mensch einfach gehen, wenn er mich doch liebt? Wie kann er mich so bewusst verletzen? Wut auf mich selbst, dass ich so oft verziehen – und weitergemacht habe. Neben der Wut kam die Sehnsucht, das Vermissen, denn diese eine Person war so unendlich vertraut und man hat sich an den Alltag gewöhnt, der nun plötzlich so anders ist.
Enttäuschung, Zorn, Angst, Schmerz, Sehnsucht, Liebe, eine Mischung aus guten – und schlechten Emotionen, die mich wochenlang begleitet haben. Sie wechselten sich ab, sie wurden durch äußere Einflüsse getriggert und verstärkt. Erinnerungen, die plötzlich geweckt wurden, lösten Wut und Sehnsucht in mir aus! Wut, weil er einfach gegangen ist und mich mit diesen Erinnerungen alleine ließ – Sehnsucht, weil es eben eine vertraue Erinnerung war und ich es so vermisste. Schmerz und Angst, weil derjenige sein Leben mit einer neuen Person weiterführen würde.
Es ist furchtbar anstrengend, eine Person zu vermissen, sich nach ihr zu sehnen, wenn man so wütend auf sie ist und sie eigentlich nie wiedersehen möchte. Es ist paradox, es ist der Verlust.
Der Verlust durch den Tod hat mich von einer Sekunde auf die Nächste umgehauen. Ich habe keine negativen Emotionen gespürt. Ich habe etwas Sanftes gespürt, etwas wie Mitleid.
Diese Person lebt nicht mehr weiter und hat sich wahrscheinlich nicht freiwillig dafür entschieden.
Noch dazu kam bei mir ein Gefühl, das ich als solches beschreiben würde, die durch den Tod verlorene Person beschützen zu können. Sie ist nicht mehr körperlich anwesend, aber sie ist immer noch da und hat mich nicht verlassen. Ich kann an diese Person denken, für sie denken, im Guten an sie denken, mich um sie kümmern, ich spüre keine Verbitterung.
Es ist ein angenehmer Schockzustand, eine angenehme Sehnsucht.
Es ist eine angenehme Trauer, die ich zulasse, weil mich diese Person nicht verletzt hat.
Ein großer Unterschied zum Verlust durch Trennung, denn dieser Mensch lebt weiter, es gab für mich keinen Grund für Mitleid, keinen Grund für Leid in seinem Namen. Er lebt sein Leben weiter, hat seine Zukunft vor sich und entschied sich bewusst, sie nicht mit mir zu teilen.
Das ist keine angenehme Trauer, sie ist verbunden mit all dem Ekel, dass ich mich aufgeopfert habe, mich hab verändern lassen, vertraut habe und mich eingelassen habe, um am Ende ohne jegliche Chance verlassen zu werden, was im Nachhinein dazu führte, dass die Wut, die Enttäuschung und gleichzeitig die Sehnsucht – ausgelöst durch die Liebe – mein Herz hat brechen lassen.
Mehr dazu:
- In diesem Text berichtet Jeremy von Was geht Almanya, wie er den Tod seines Opas erlebt hat.