Empathie: Mitgefühl vs. Druck, mitzufühlen 

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(c) anna chara:  forest  (CC BY 2.0)

„Mit dem Wort Empathie verbinden wir 2020 große Hoffnung. Hoffnung auf ein Ende der Diskriminierung gegen Teile unserer Gesellschaft und eine Stärkung der Demokratie. Ich habe mich in diesem Text mit den Schattenseiten eines Wortes befasst, das wir in der heutigen Zeit sehr inflationär in unserem Sprachgebrauch verwenden.“, schreibt Tom über seinen heutigen Text. Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen dieses spannenden Beitrags!

„Der öffentliche Raum in unserer Gesellschaft wird zunehmend rationalisiert, wohingegen der private emotionaler wird“, sagte mein Freund Anfang Januar bei einem Sparziergang durch Berlin Neukölln. Er wiederholt dabei Thesen seiner Vorlesung.

Ich denke an Emotionalität, Kuscheln und an Empathie. Letzterem Wort begegne ich zurzeit fast täglich im Alltag. Für mich ist Empathie der Oberbegriff für Mitgefühl, Teilhabe und Verständnis. Laut Google Definition bezeichnet es die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen. Gleichzeitig komme ich damit so oft in Berührung, dass ich mich mittlerweile frage, ob dieser Begriff wirklich derart oft notwendig ist. Sei es im Job, in der Werbung oder auf Instagram.

Es wirkt für mich, als ob Empathie auch ein Verkaufsargument ist. Konsum ist mitnichten ein reines Erwerben von Dingen. Konsum ist ein Erlebnis, erwähnte mein Dozent damals während meiner Ausbildung im Handel. Attention, Interest, Desire, Action. Ein Prinzip aus der Wirtschaft, anwendbar auf viele Bereiche des Lebens. Und wie kreiere ich dieses Erlebnis, diese Wohlfühlatmosphäre? – Mit Verständnis, Teilhabe und Mitgefühl. Oder warum haben dieses Jahr Großkonzerne wie Nike und CocaCola ihre Produkte und Werbeplakate mit einem Regenbogenlook versehen? Zwar auch um Kunden, also KäuferInnen zu zeigen, dass Sie LGBTIQ-friendly sind, dennoch haben sich diese Konzerne nicht auf die Fahne geschrieben, als Organisationen eine Minderheit in der Gesellschaft zu vertreten. Sie sind da um Gewinne zu machen. Gewinne mit einer Generation, die verstanden werden will. Kids, wie auch mich, die nicht mehr einkaufen, weil Sie etwas brauchen, sondern mit ihren Klamotten, Lebensmitteln und Transportmitteln eine politische Botschaft senden wollen. Vielleicht wollen wir irgendwann auch unserem Konsum zeigen, dass wir empathisch sind und Mitgefühl zeigen. Oder tun wir das nicht schon längst?

Ist also Empathie das, was eine Gesellschaft jetzt braucht? „Mit Empathie verbinden die meisten Menschen große Hoffnung. Wenn wir nur mehr Empathie hätten, dann würde es der Menschheit besser gehen“, sagt Fritz Breithaupt von der Indiana Universität in Bloomington, USA in dem DLF- Artikel „Die dunkle Seite der Empathie“ und zitiert dabei Barack Obama. Gleichzeitig spricht der Professor für Germanistik, Komparatistik und Kognitionswissenschaften über Empathie als Brandbeschleuniger für Konflikte. Allein die Fähigkeit mitzufühlen und moralisch zu handeln macht uns nicht zu besseren Menschen, wenn wir eine abweichende Vorstellung von Moral und Idealen haben. Plump gesagt: Auch Nazis zeigen Mitgefühl für andere Nazis. Von Emotionen gesteuertes Handeln ist also per se nicht das Stärken der Gemeinschaft, sondern kann in heterogenen Gemeinschaften auch zu einer Verhärtung der einzelnen Parteien beisteuern. Im Zeitalter des Individualismus, so Breithaupts Vorschlag, fehlt der Empathie ja vielleicht ein „Wir“, das weit über das Individuum und auch die eigene Gruppenzugehörigkeit hinausgeht. Dennoch sind Handlungen aus dem Herzen heraus für mich eine lebenswichtige Komponente. Glaube aber auch, dass es Fehlentwicklungen dieser Handlungen gibt und gegeben hat. Gerade wenn Eigeninteresse vor globalem Interesse steht. Als Individuum mit diesem Dilemma umzugehen, fordert. Es fordert aber auch, sich die Auswirkungen des Handelns anderer vor Augen zu halten, sie empathisch aufzunehmen und zu hinterfragen.

„Zu viel Empathie kann Stress auslösen und zum Burn-out führen“, sagt Grit Hein, Professorin der Translationalen und Sozialen Neurowissenschaften in einem Interview von Deutschlandfunk. Gerade dann, wenn man nicht in der Lage ist zu helfen, spüren empathische Menschen den Druck der Machtlosigkeit.

Ich persönlich musste lange lernen mit diesem Druck umzugehen, meistere ihn aber scheitere dennoch damit bis heute. Empathie ist für mich wichtig und steht in meinem Leben weit über monetären und materiellen Dingen. Dennoch raubt sie mir in einigen Situationen weitaus mehr Energie, als ich aufbringen kann. Erst recht, wenn ich Verständnis zeigen soll für die Bedürfnisse anderer, die sich vehement weigern demokratische Werte zu leben und Teile unserer Gesellschaft ausgrenzen. (Mein) Mitgefühl hat Grenzen.

Mehr dazu:

  • Auch schon dieser Text von Tom hat sich unter anderem mit Empathie befasst – schaut doch nochmal rein!

Moin! Ich bin Tom. Aufgewachsen auf dem Land in Bayern. Zuhause in Berlin. Neben meiner Arbeit als Journalist für Soziales und Gesellschaft begegnen mir im Alltag und Freundeskreis Themen, wie die Wahrnehmung von Geschlechterrollen, LGBTQ außerhalb Deutschlands und der Zeitgeist der Zukunft. Dabei stelle ich mir selbst und anderen Fragen. Die Antworten dazu oder die Erkenntnis, dass es meist keine eindeutige Lösung gibt blogge ich hier auf meinTestgelände.