Wie ich lernte Pickel zu vermissen und Papierkügelchen auszuweichen

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Die Zeit, von der Ika in diesem Text berichtet, lässt sich ganz gut als „Zwischen Pubertät 1 und 2“ beschreiben. Ika ist auf der Suche – der Suche nach den passenden Partys, den passenden Vorbildern, dem passenden Körper, den passenden Hormonen. Es geht vom Dorf in die Kleinstadt, von der Kleinstadt in die Großstadt – und am Ende ist da ein Bart. Aber lest selbst!

Spätestens so mit 13 Jahren fing es an. Um mich herum veränderten sich Jungen und Mädchen. Körperlich, aber auch vom Kopf her. Und ich hab mich gefühlt als wäre ich verloren im Dazwischen. Bei mir gab es weder einen Stimmbruch noch habe ich meine Tage bekommen. Ein bisschen war es so, als würde ich eher noch Kind bleiben statt langsam Frau oder Mann zu werden. Ein Kind ist ja auch geschlechtlich zumindest eher neutral. Und ältere Personen, die auch Inter* waren, kannte ich nicht.

An sich hat es mich erstmal nicht gestört. Die etwas tiefere Stimme ohne Stimmbruch. Die flache Brust mit etwas breiteren Schultern. Auch meine Tage und Pickel habe ich eher nicht so vermisst. Trotzdem war es eine sehr verwirrende Zeit. Noch vorher war es zwar auch auffällig, aber zumindest ok gewesen, dass ich oft mit den Jungs Fußball gespielt hab. Jetzt war ich zwar ein komisches Mädchen, aber trotzdem ein Mädchen – und darum nicht mehr eingeladen.

Es war ein bisschen so, als hätten sich um mich herum alle in zwei getrennte Gruppen sortiert, die sich misstrauisch beäugten, jederzeit bereit aufeinander loszugehen. Nur ich hatte dummerweise den Anschluss verpasst und stand dazwischen. Nicht sehr bequem, kann ich euch sagen! Aber ich habe auch viel gelernt und bin heute immer noch super darin, weiße Fahnen zu schwenken und den Papierkügelchen, die aus allen Richtungen geflogen kommen, in ebenso viele verschiedene Richtungen auszuweichen.

Während andere sich also Zettel schrieben auf denen stand: „Willst du mit mir gehen – Ja-Nein-Vielleicht“ stand auf den ersten Zettelchen, die mir zugeworfen wurden: „Du siehst aus wie ein  Zwita.“ Ich hatte keine Ahnung was das heißt. Die schreibende Person wahrscheinlich auch nicht. Aber wehgetan hat es trotzdem. Später dann wurde ich ‚Kampflesbe‘. Weil von Inter* und Trans* nie die Rede war, hat das zumindest schon mal besser zu mir gepasst als der Versuch, eine Hetero-Frau zu sein.

Aber ich will hier nicht nur jammern, ehrlich gesagt – es hatte auch seine Vorteile. Im Grunde hatte ich auch eine gewisse Narrenfreiheit. Wenn der Körper sowieso schon auffällig anders ist, dann haben die bunt gefärbten Haare auch keinen Unterschied mehr gemacht. Ich weiß noch, wie sich eine Mitschülerin bei mir beschwerte: Es ist alles so anstrengend mit dem überall immer alles rasieren müssen. Und ich völlig verwirrt meinte: Ja, dann lass es doch. Und sie daraufhin sagte: Nein, also das geht ja jetzt auch nicht. Immer noch verwirrt entgegnete ich: Aber ich rasier mir auch nicht die Beine. Das klappt super. Dieses nicht rasieren. Hab mich noch nie geschnitten dabei. Ihre Antwort hat meinen Status im Positiven wie Negativen wohl ganz gut zusammengefasst: „Du zählst ja auch sowieso nicht.“

Mit 16 kam ich dann doch verspätet in die Pubertät durch das Östrogen, das mir verschrieben wurde. Ich stand vorm Spiegel, sah, was sich alles verändert hatte, und wollte den Spiegel einfach nur zerschlagen. Irgendwas war hier eindeutig falsch. Aber weil ich noch nicht wusste, was Inter* oder Trans* heißt, blieb mir nicht viel anderes übrig, als den ungeliebten Körper unter möglichst weiten Hosen und Pullovern zu verstecken, und mich ansonsten mit Büchern, Musik oder Gras in andere Welten zu flüchten. Ein halbes Jahr gab es nur böse Blicke für den Spiegel – die aber komischerweise nichts an dem unpassenden Bild, was dieser Spiegel zeigte, änderten.

Dann gab es noch einen kurzen letzten Versuch, weiblich zu werden. Ja, ich war wirklich bemüht. Habe sogar die Haare etwas länger wachsen lassen, seit Langem mal wieder ein paar Sachen aus der Frauenabteilung getragen. Und schnell wieder damit aufgehört. Immerhin aber konnte ich da langsam in die nächste größere Stadt fahren. Hier habe ich tatsächlich ein paar Menschen getroffen, die etwas besser zu mir passten als die aus der Schule. Sogar ein paar queere Erwachsene als erste Vorbilder.

Aber so richtig gepasst hat es trotzdem oft nicht. Auf meiner ersten queeren Party hatte ich mir extra meine grüne Punk-Frisur schick gemacht. Nach zwei nervösen Runden um den Block traute ich mich in den Raum. Alle waren 20 Jahre älter. Die meisten schwul und schick. Und es lief Madonna. Da bin ich als 17-jährige Punk-Kampflesbe, die heimlich Inter* und Trans* war, fast genauso aufgefallen wie auf den Dorfpartys.

Mit meiner besten Freundin zusammen haben ich dann versucht eine lesbische Bar zu besuchen. In der queeren Großstadt gab es genau eine davon und dank dem Internet haben wir sie nach etwas Verlaufen sogar gefunden. „Ihr seid früh. Erstes Mal hier?“, war die freundliche Begrüßung von der Türsteherin. Wir gingen trotzdem rein und standen zu zweit verloren auf dieser Tanzfläche. Als Kleinstadtkinder wussten wir ja gar nicht, dass es erst um 12 so langsam los geht. Es hätte uns aber auch wenig gebracht, das zu wissen, wo doch unser letzter Zug sowieso spätestens um halb 1 gefahren ist. Als endlich Leute kamen, mussten wir also wieder los und irgendwie hatte ich auch schon wieder das Gefühl, dass es hier einen Dresscode gab – den mir keiner verraten hatte.

Es dauert also noch ein paar Jahre, bis ich dann selber in der Großstadt wohne und mir auf einer sehr netten Party zum ersten Mal einen Bart anklebe. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Ich fing betrunken an, allen ungefragt zu erzählen, dass und warum ich unbedingt einen Bart brauche. Wer nicht schnell genug weg geht – kriegt dazu noch erklärt, warum ich keine Lust mehr auf diese komischen Brüste habe, die doch durch Östrogen erst gewachsen sind. Ich versprach mir selber feierlich, die blöden Östrogen Tabletten jetzt wegzuwerfen und habe mindestens einer Person fast die Feierstimmung verdorben. „Ich geh jetzt mal wieder tanzen – aber M kann da bestimmt helfen,“ meinte sie. M arbeitet gerade an dem Aufbau einer Beratungsstelle für Trans*.

Ich kann also endlich irgendwo über meinen Gender-Trouble reden. Weil es für Inter* noch keine Regelung gibt, erkläre ich einer anstrengenden Psychologin, schon von Kind an Macho gewesen zu sein und jetzt unbedingt Testosteron zu brauchen. Ich darf mich daraufhin offiziell geschlechtsidentitätsgestört nennen und freue mich zum ersten Mal im Leben auf eine Spritze. Die ist nämlich voll mit dem, was mir einen dauerhaften Bart schenken wird. Testosteron.

An einem verregneten Dienstag ist es soweit. Als wäre die erste nicht schon peinlich genug gewesen, beginnt meine zweite Pubertät. Diesmal immerhin selbstbestimmt. Wie das abläuft -darum geht es dann im nächsten Text.

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Ich bin Ika Elvau. Weil ich selber keine Geschichten kannte von Leuten die so sind wie ich, nämlich Inter*, habe ich einfach angefangen welche zu schreiben. Ich freue mich hier auf meinTestgelände eine Plattform zu bekommen damit die Pubertät für andere, jüngere Inter* vielleicht nicht ganz so verwirrend und überfordernd wird wie für mich.