Ika schreibt für uns über das Leben als Person, die Inter* ist. Ika möchte damit anderen, insbesondere jüngeren Menschen Halt und Hilfe geben, damit die Pubertät für sie nicht ganz so verwirrend verläuft wie für Ika selbst… wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen!
Mit den ersten feinen Haaren im Gesicht und einer zwar kleinen aber unter dem T-Shirt doch hervortretenden „weiblichen“ Brust wird schon das Straßenbahn fahren zur Herausforderung.Irgendwer fragt: „Ey, Schwanz oder Muschi“ und ich merke, dass ich nicht nur wütend werde, sondern auch keine Antwort habe.
Ich mache viel Sport, um ein besseres Körpergefühl zu bekommen. Hanteltraining mit lauter Musik. Es tut wahnsinnig gut und ich fühle mich überraschend stark. Sonst bin ich irgendwie verwirrt von dieser Welt. In die ich so gar nicht rein zu passen scheine.Ein bisschen ist es so, als hätte ich meine Sprache verloren und muss jetzt eine neue lernen. Nur dass es meine Körpersprache ist.
Aber auch beim Sprechen merke ich, dass ich in den Stimmbruch komme und trotzdem gerade am Telefon oft als Frau angesprochen werde. Ein Trans*Mann erklärt mir dann: Du musst einfach abgehackter und weniger freundlich klingen, dann klappt es besser mit dem Passing. Mit dem durchgehen als Mann.
Als Frau gelesen war mein Gang oft als zu breitbeinig aufgefallen. Jetzt immer öfter als Mann gelesen sind es schnelle, kleine Handbewegungen, die als weiblich oder schwul gelesen werden.
Es passiert irgendwann zum ersten Mal, dass ein Typ mit mir über Frauen lästern will und ich gar nicht weiss, ob ich jetzt sauer werden will, weil ein kleiner Teil sich auch freut, dass er mich offensichtlich als Mann wahrnimmt. Natürlich werde ich trotzdem sauer.
Manchmal schäme ich mich auch für den wachsenden Bart. Der mir doch eigentlich so gut steht.
Schäme mich, wenn ich plötzlich mehr Platz habe auf der Straße und in der Bahn. Weil ich ja noch weiss, wie es ohne Bart war.
Es ist eine Zeit, in der ich mich und alles um mich herum mehr und mehr hinterfrage.
Manchmal kommt es mir vor, als würde ich nur eine Rolle spielen, wenn ich versuche als Mann durchzugehen. Dann merke ich immer mehr. Eigentlich spielen alle eine Rolle. Nur dass die meisten das gar nicht merken. Weil sie sich schon so sehr daran gewöhnt haben.
Nach dem das erste Pubertätschaos sich etwas gelegt hat und auch das Hanteltraining irgendwann langweilig wird, entdecke ich den Aktivismus für mich. Ich will Sichtbarkeit schaffen für alle, die auch Inter und Trans sind.
Ich besuche Inter und Trans Selbsthilfegruppen, lerne tolle Menschen kennen und fühle mich erholt von der komischen Welt da draussen. Weil ich nicht halb so allein bin wie ich dachte. Wir sind überall. Inter* und Trans* – in den großen Städten aber auch im kleinsten Dorf am Meer oder in den Bergen. Vor allem gilt bei allen Unterschiedlichkeiten eine gewisse Grundsolidarität. Auch wenn du sonst ein Leben leben lebst was ich nicht verstehe, meine Musik nicht fühlst, andere Gewohnheiten hast. Wir sind beide Inter*. Wir sind beide Trans*. Wir halten zusammen.
Leider merke ich irgendwann auch hier manchmal etwas zwischen den Stühlen zu sitzen. Teilweise ist es schade, dass viele Trans und Queers gar nichts von Inter* wissen, andererseits bin ich überrascht wie wenig queer einige Inter sind*.
Trotz allem klappt es Bündnisse zu schmieden, mich selber stärker und weniger allein zu fühlen. Ich will lernen mich nicht zu verstecken sondern selbstbewusst sichtbat sein.
Weil ich genervt bin, immer dieselben Reaktionen auf ein Outing zu bekommen, die gleichen Fragen zu beantworten, schreibe ich Geschichten, in denen sich viele Fragen aber hoffentlich auch ein paar Antworten finden. Wie aufräumen im Kopf. Manchmal anstrengend, aber die Belohnung ist eine neue Klarheit. Am Anfang lakiere ich mir oft die Nägel. Trage viel Lila oder Pink. Weil ich denke jetzt mit Bart geht das endlich. Dabei fühle ich mich wie eine glamouröse Drag Queen.
Ich will ein Inter*Mann werden, der zu seinen weiblichen Seiten steht. Aber irgendwann habe ich keine Lust mehr aufzufallen. Ich bin auch enttäuscht, wenn manche immer noch „sie“ zu mir sagen. Also fange ich an, mich etwas mehr an die Regeln zu halten.
Und tatsächlich falle ich irgendwann kaum noch auf. Gehe unter in der Männlichkeit.
Ein Teil von mir ist traurig über die verlorene Queerness. Es tut weh, als ein Kollege in der Bahn mit mir homophobe Witze machen will. Ich stelle mir vor, dass ich wie ein Undercover Agent bin. Eingeschleust in die Hetero Matrix, um sie von innen heraus besser analysieren und angreifen zu können. Ein anderer Teil von mir will einfach nur diesen Urlaub vom Anderssein genießen. Aber wie das so ist mit dem Urlaub, ist er nur von kurzer Dauer.
Plötzlich fallen mir andere Sachen auf. Manchmal Kleinigkeiten. Aber sie sind da.
Mein Deutsch wird gelobt. Ich werde gefragt, wo ich denn wirklich herkomme.
Je mehr ich als männlich gelesen werde, desto mehr werde ich als nicht Deutsch wahrgenommen. Am Anfang bin ich nur verwirrt. Manchmal merke ich erst später, dass Leute gerade rassistisch zu mir waren, weil ich gar nicht davon ausgehe, gemeint sein zu können.
Dann tut es weh. Dann muss ich lachen.
Für einen Mann bin ich sehr klein und dann dunkle Haare, dunkler Bart. Das ist wohl für manche nicht arisch genug.
Es ist ein clash von Erwartungen, der mich ziemlich überfordert. Vorher niedlich und darum aber auch nicht ernst zu nehmen.
Jetzt plötzlich habe ich das Gefühl von manchen als gefährlich wahrgenommen zu werden. Manchmal denke ich dann kurz: Hah. Jetzt habt ihr also Angst vor mir. Und das kleine Mädchen in mir drin, das nicht ernst genommen wurde, freut sich ein bisschen.
Aber eigentlich bin ich traurig. Weil ich mich darin verliere. In den Erwartungen und Projektionen von Anderen. Vor allem bin ich müde. Müde von mir selbst und müde von diesen ganzen Blicken.
Ich habe also Jahre mit mir gekämpft, doch irgendwie einen Weg zu finden, mit mir als Inter* cool zu sein und trotzdem vom Geschlecht her nicht mehr immer aufzufallen.
Nur damit Leute plötzlich nicht über die Größe der Brüste, sondern die Farbe der Haare reden?
Wann, frage ich mich, wann kommt denn jetzt endlich dieser Punkt, wo ich einfach sein kann. Ohne Fragen. Ohne Erklärung. Ohne Rechtfertigung. Eine Antwort habe ich bis heute nicht.
Doch auch die zweite Pubertät findet irgendwann ein Ende.
Wisst ihr, bin schon Kampflesbe, Transe, Zwitter und Schwuchtel gewesen. Bin irgendwo innen drin immer noch ne halbe Kartoffel und doch manchmal Ausländer.
Was auch immer also nach dieser zweiten Pubertät auf mich wartet.
Ich glaube nicht, das es viel gibt, was mich jetzt noch überraschen kann.
Zum Glück habe ich auch immer wieder und immer noch einiges an Trotz und Stolz in mir drin.
Das heißt leider nicht, dass nach Pubertät 2 alles gut ist.
Aber ich lerne zu entspannen und denke – lass sie reden – sollen sie sehen in mir und denken von mir was auch immer sie wollen. Hauptsache ist – ich bin immer noch da.
Es gilt: The show must go on!
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