Ob es um Kinderbetreuung geht, um die Pflege von Angehörigen, um den Haushalt, um einen Job in der Pflege oder an der Kasse im Einzelhandel – die Corona-Krise zeigt einmal mehr, dass es noch lange keine tatsächliche Geschlechtergerechtigkeit gibt. Darüber hat unser Autor Tom einen Text geschrieben. Er sagt: „Covid-19 trifft uns alle. Mal mehr, mal weniger. Ausbaden tun es aber überwiegend Frauen.“ Hier könnt ihr seine „Analyse aus Zeiten der sozialen Isolation“ lesen:
Homeoffice. Familienzeit. Innehalten. Die Coronakrise hat uns fest im Griff. Die einen können ihren Beruf nicht ausüben, den anderen fällt die Bude mit Kindern, LebenspartnerIn(nen) und Job auf den Kopf und wiederum andere leben unter menschenunwürdigen Bedingungen eingepfercht auf engstem Raum im Camp Moria, einem Flüchtlingslager in Griechenland. Weltweit verbringen die Menschen also nun erst mal ihre Lebenszeit an einem Ort. Ausgenommen die Menschen, die in Lagern festgehalten werden, leben die meisten von uns auch an einem Ort nur mit sehr wenigen Bezugspersonen. #sozialeIsolation
Umso wichtiger werden gerade in dieser Zeit soziale Kompetenzen wie Mitgefühl, Fürsorge und emotionale Arbeit.
Vermutlich jeder von uns hat Probleme, die am ehesten durch Zuhören, Verständnis zeigen und in den Arm nehmen gelöst werden können und das am besten Face to Face. Letzteres ist schon mal nicht per Skype Videocall möglich. Viel mehr sehnen wir uns jetzt in der sozialen Isolation noch ein Stückchen mehr nach Nähe, Geborgenheit und Präsenz von Personen aus dem engsten Freundes- und/oder Familienkreis. Und diese Kompetenzen werden auch im Jahr 2020 meistens von Frauen erwartet.
Bei der Entscheidung innerhalb einer heteronormativen Familienkonstellation, wer zuhause bleibt und auf die Kinder aufpasst, die jetzt nicht in der Schule sind, wenden die Eltern meist das Prinzip der Kausalität an. Dadurch, dass Männer häufig mehr Einkommen haben, oft in einer Vollzeitstelle arbeiten und weniger flexibel sind, bleiben Frauen auch in Coronazeiten ihren Teilzeit- und Minijobs fern und tragen die Carework in der Familie. Laut einer Studie der internationalen Arbeitsorganisation ILO übernehmen weltweit Frauen etwa viermal mehr sogenannte Fürsorgearbeit als Männer. Dabei arbeiten sie durchschnittlich vier Stunden unbezahlt in Pflege, Kindererziehung und im Haushalt, während Männer zu dieser Zeit Lohnarbeit verrichten. Ist das jetzt während der aktuellen Situation durch Corona anders? Vielleicht.
Vielleicht haben aber genau diejenigen Frauen in diesen Wochen noch mehr an Carearbeit zu verrichten als sonst. Zum einen, um die schulpflichtigen Kinder zu bespaßen, zum anderen aber auch den Frust ihres Mannes im Homeoffice zu besänftigen, weil seine jobtechnisch wichtige Skypekonferenz mit den anderen Homeofficemännern nicht flüssig läuft.
Alles veraltet. Die moderne, emanzipierte Frau arbeitet doch. Laut der aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sogar in einer Notstandsinfrastruktur. So liegt der Frauenanteil in systemrelevanten Berufsgruppen bei knapp 75 Prozent. Gemeint sind dabei zum Beispiel VerkäuferInnen im Einzelhandel für die Grund- und Lebensmittelversorgung, ErzieherInnen in der Kindernotbetreuung und KrankenpflegerInnen im Gesundheitswesen. Jobs, die überwiegend in Teilzeit bewältigt werden und ein geringes gesellschaftliches Ansehen außerhalb von Krisenzeiten genießen.
Gut, dass die Bundesregierung ihnen immerhin dafür dankt, dass sie laut der Rede an die Nation von Bundeskanzlerin Merkel den Laden auf dem Laufenden halten, während der Gender Pay Gap laut Statistischem Bundesamt aktuell bei ca. 20 Prozent liegt und der Mindestlohn in der Pflege ein bisschen mehr als 11 Euro pro Stunde ist. Und gut, dass die Männer der ProSiebenSat1-Media SE mit ihrem #WirsagenDanke-Spot immerhin an sie denken, während nicht einmal 20 Prozent der Frauen bei ihnen als Führungskraft arbeiten. Vielleicht sollten wir an diesen Dingen in unserer Gesellschaft noch mehr feilen, wenn wir – dank vieler Frauen – die Krisenzeit überwunden haben.
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