It´s a shame - von Liebe und Scham 

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(c) Steve Snodgrass:  LOVE  (CC BY 2.0)

Ika bespricht in diesem neuen Text etwas sehr, sehr Wichtiges und gleichzeitig unglaublich Kompliziertes: Scham und Liebe. Zwei Gefühle, die manchmal bloß schwer auszuhalten sind, die für Verwirrung sorgen können — und die viel mehr zusammenhängen, als wir vielleicht glauben. Wie immer fließen auch Ikas eigene Erfahrungen in puncto Verliebtheit und Scham sowie die spezielle Bedeutung für Ika als Inter* Person mit in den Text ein. Viel Spaß beim Lesen!

Die erste Person, in die ich so richtig verliebt war – war meine beste Freundin. Im Grunde haben wir eine über vier Jahre lange Beziehung geführt. Wir haben uns jeden Tag gesehen und sie war die einzige Person, der ich einigermaßen vertraut habe zu der Zeit.

Nur hatten wir keinen Sex oder haben uns geküsst. Für manche nennt sich das dann „nur befreundet“.  Für mich war es schwierig, als dann wer anders da war – den sie küssen und kuscheln und mit dem sie Sex haben wollte, und ich mich plötzlich nur noch als Nummer zwei gefühlt hab.

Meine ersten sexuellen Erfahrungen hatte ich dann mit einer Person, in die ich gar nicht verliebt war. Aber ich wollte dazugehören und auch mal Liebe, Sex und Zärtlichkeit.  Leider habe ich irgendwie mehr Druck als Lust gefühlt und es hat alles nicht sonderlich gut funktioniert.

Schon bevor ich wusste was das heißt, wurde mir gesagt, ich sei lesbisch. Ich hab das dann auch erst mal geglaubt. Erst als ich selber immer mehr als männlich gelesen wurde, habe ich gemerkt, dass ich auch Männer*  attraktiv finden kann. Immer mehr merke ich – nicht nur Geschlechtergrenzen sind fließend.  Auch die Grenzen zwischen Freundschaft und romantischer Liebe.

Klingt alles ganz schön kompliziert ? Ist es leider auch. Und trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – ist es auch wahnsinnig schön.

Heute kann ich sagen – ich habe viele verschiedene Formen der Liebe – für ganz unterschiedliche Menschen. Mit manchen kann ich mich gut über Gefühle austauschen – weil da irgendwas in uns ähnlich ist. Mein Herz kann dann Luftsprünge machen – wenn ich mich verstanden fühle. Wenn andere Worte finden für etwas, wofür ich nach Worten gesucht habe. Manche Menschen sehe ich sehr lange nicht – aber weil wir vor Jahren viel zusammen durchgemacht haben, sind sie ein bisschen wie Geschwister geworden – und sehr schnell ist da ganz viel Nähe, wenn wir uns wiedersehen.

Für mich ist das nicht mehr oder weniger wertvoll als Beziehungen, in denen ich auch kuscheln, küssen oder anderen Körperkontakt mag. Wenn es etwas gibt was ich heute mag an meinem Inter* sein – dann ist es wohl genau das. Wer schon nicht Mann oder Frau ist – warum sollte der*die dann irgendwelchen Beziehungsidealen von vor 100 Jahren hinterher rennen? Ich muss zugeben, dass ich da nicht immer so entspannt war. Ich habe lange gebraucht mich davon zu lösen. Von dem was mir jede Werbung, jede romantische Komödie immer wieder erzählt.

Dass es die eine Richtige gibt – und wenn du die findest, dann wird alles gut. Dass zu zweit gegen den Rest der Welt die beste Strategie ist. Surprise – die Realität ist etwas komplexer.

Heute glaube ich, dass es vielleicht gar nicht am wichtigsten ist, ob ich jetzt in einer romantischen Zweierbeziehung bin, mehrere Polybeziehungen habe oder viele enge Freundschaften. Ich glaube Liebe ist gar nicht etwas abstraktes, das plötzlich und auf einmal – dann aber  für immer – da ist. Natürlich gibt es Verliebheitsgefühle. Aber ich glaube Liebe ist etwas, das wir tun. Wenn wir ehrlich und liebevoll miteinander umgehen. Dann lieben wir. Das ist manchmal schwer. Oder anstrengend. Oder beängstigend. Aber auch schön. Weil wir nicht auf das Schicksal oder Amor warten brauchen.

Wir müssen uns nur trauen. Das ist nicht immer leicht in einer Welt, in der Bilder beim Daten oft wichtiger sind als eine ähnliche Einstellung. Sowieso ist es schwer mit der Ehrlichkeit, wenn gleichzeitig an so vielen Stellen Erwartungen zu erfüllen sind. Viele wollen dann nur  bestimmte Seiten von sich zeigen. Ecken und Kanten werden glatt gebügelt. Oder verdrängt.

Bei mir hat das nie so richtig funktioniert. Mit 17 Jahren war ich im Urlaub ziemlich verliebt. Für meine beste Freundin hatte ich wie oben im Text erwähnt auch Gefühle, aber die waren mittlerweile mehr wie eine feste starke Verbundenheit. Diese Urlaubsbekanntschaft fühlte sich dagegen wie ein Feuerwerk an. Unbekannter. Gefährlicher. Aufregender. Was habe ich also getan – mit diesen Gefühlen umzugehen? Mich betrunken. Und dann kotzend alles ausgepackt was ich an Trauma und Neurosen so anzubieten hatte.

Ich war auch an anderen Stellen ziemlich gut im anti-flirten. Wenn du wen gut findest, nicht die schönsten, nettesten Seiten von sich zeigen. Sondern die abstoßendsten. Ich glaube ich hab es mir selber gar nicht gegönnt. Zu lieben. Geliebt zu werden. Das wiederum hat viel mit Scham zu tun. Schon in der Grundschule fingen die ersten an, sich über mich lustig zu machen. War „es“ ein Zwitter? Ein Mädchen, das ein Junge sein wollte? In jedem Fall irgendwie komisch. Da ich nie besonders groß, stark oder mutig war, brauchte ich andere Strategien um mich gegen Anfeindungen zu verteidigen. Wenn die Jungs also hinter mir herliefen, um zu versuchen, mich zu schlagen, habe ich ihnen einfach Küsschen zugeworfen mit meiner Hand. Das reichte manchmal schon aus, um sie in die Flucht zu schlagen. Wenn sie doch mal zu nahe kamen habe ich sie frech auf den Arm geküsst. Spätestens dann waren alle sehr schnell weg. Liebesbekundungen sind für kleine Jungs ziemlich uncool und eklig. Wenn sie dann noch von einem Zwitter kommen, gilt beides wahrscheinlich doppelt. Für den Moment war das eine gute Strategie. Sie sind schreiend weggerannt und ich hatte meine Ruhe.

Kill them with kindness – nennt sich das wohl. Irgendwann hat sich niemand mehr getraut, mich zu ärgern. Aber ohne dass ich es verstanden habe, ist da auch noch etwas ganz anderes passiert. Ich habe mich immer mehr geschämt. Ich habe verinnerlicht, dass mein Körper so anormal ist, dass es die einzige legitime Reaktion auf Berührung mit meinem Körper ist, wegzulaufen.

Scham ist glaube ich für viele Inter* ein Thema. Hier ein Zitat aus der Apothekenumschau zum Thema Scham: „Für Daniel Fessler von der University of California ist Scham seit der Frühgeschichte des Menschen der „entscheidende Mechanismus, um die Zusammenarbeit in Gruppen zu etablieren und aufrechtzuerhalten.“ Die peinigende Emotion treibt dazu an, die geltenden Normen einzuhalten. Dies sichert den Verbleib in der Gruppe – und somit das Überleben. Nach innen wirkt Scham wie eine Alarmglocke, nach außen beschwichtigt sie: Seht her, ich habe eine Regel verletzt, und mir geht es nicht gut damit. Mehr Bestrafung ist nicht nötig.“  (Ingrid Kupzik, Apothekenumschau , 06.05.2014)

Das Fiese dabei ist: Wir als Inter* haben noch nicht mal irgendwas Aufregendes, Verbotenes getan. Wir hatten nicht einmal den kurzen Moment, uns beim Regelbruch erst mutig und stark zu fühlen, bevor dann die Scham kommt. Schon allein unsere Existenz scheint die Regeln des Zusammenlebens so sehr zu stören, dass wir als erstes lernen uns zu schämen. Aber mir reichts.

Und ich hoffe und glaube,  anderen auch. Sollen die sich doch schämen, die mich ärgern wollten – nur weil ich nicht Junge oder Mädchen bin. Sollen sich die schämen, die meinen, dass es eklig wäre, von mir geküsst zu werden.

Mehr dazu:

Ich bin Ika Elvau. Weil ich selber keine Geschichten kannte von Leuten die so sind wie ich, nämlich Inter*, habe ich einfach angefangen welche zu schreiben. Ich freue mich hier auf meinTestgelände eine Plattform zu bekommen damit die Pubertät für andere, jüngere Inter* vielleicht nicht ganz so verwirrend und überfordernd wird wie für mich.