Inter*aktiv - Zusammen ist Mensch weniger allein

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(c) dritte-option.de

Unser*e Autor*in Ika kann wirklich stolz auf sich sein – denn es ist unter anderem Ika zu verdanken, dass es jetzt eine dritte Option beim Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumenten gibt. Wie es dazu kam, wie so ein Gerichtsweg abläuft und weshalb es so, so wichtig ist, sich mit anderen Menschen zu verbünden, das erzählt euch Ika im heutigen Text.

Ich war Teil der Gruppe die auf eine dritte Option beim Geschlechtseintrag geklagt hat – und mit dafür verantwortlich ist –
dass es in offiziellen Dokumenten jetzt möglich ist, sich als inter*/divers einzutragen.

Aber wie ist es dazu gekommen?
In diesem Text möchte ich meine persönliche und politische Motivation Teil dieser Klagegruppe zu werden ein bisschen erklären.

Je mehr ich mich mit der Geschichte von Inter und Trans beschäftigt habe, je mehr andere Trans und Inter ich traf. Umso mehr wurde mir klar.
Ich will das nicht mehr. Mich wieder verstecken. So tun als wäre ich Mann nur damit die anderen sich nicht in ihrer Zwei Geschlechter Matrix gestört fühlen.
Ich will, dass die Leute endlich akzeptieren, dass wir da sind. Als Inter und Trans.
Und dass wir okay sind, wie wir sind.
Ich will, dass es aufhört, dass wir angepasst und unsichtbar gemacht werden.

Da war viel Trotz und Stolz in mir drin.
Auch ein zunehmendes Bewusstsein, dass nicht mein Körper und meine Identität hier das eigentliche Problem sind.
Sondern eine Gesellschaft, die mich an eine weibliche Norm anpassen wollte. Eine Gesellschaft die sogar schon kleine Kinder ungefragt, ohne medizinische Notwendigkeit an den Genitalien operiert. Weil Narben und Schmerzen angeblich immer noch besser seien, als einen Körper zu haben, der offensichtlich nicht männlich oder weiblich sondern Intergeschlechtlich ist.

Vor allem aber war ich zum ersten Mal nicht mehr alleine mit diesen Gefühlen. In Queerfeministischen Gruppen, in Trans* Gruppen, bei Inter Treffen, immer mehr und mehr habe ich andere gefunden, die auch unzufrieden waren mit engen Geschlechterrollen und dem Anpassungsdruck.

An dieser Stelle war klar: ich möchte Veränderungen bewirken. Nicht nur für mich, sondern auch und vor allem für die Inter* und Trans* die nach mir kommen.
Mit dem Wissen endlich auch Leute zu kennen die ein ähnliches Interesse haben fühlte ich mich stark genug dafür.

Jetzt blieb die Frage wie. Bei einer Gesellschaft in der so vieles nach Geschlechtern getrennt ist, wo fange ich da an?
Bei der Medizin, deren Umgang mit Inter* immer noch davon geprägt ist, an eine männliche oder weibliche Norm anzupassen?
Bei den Toiletten, die jetzt im Zuge der dritten Option plötzlich so viel diskutiert werden? Obwohl die Bahn schon seit Jahren Unisextoiletten hat.
Fange ich an beim Sport, der noch immer nach Geschlechtern trennt und Inter* wie Caster Semenya ausschließt? Bei den Formularen im Amt, beim Onlineticket überall wo ich m oder w ankreuzen muss?
Fange ich an in Kindergarten und Schule, wo schon die Kleinsten oft beigebracht bekommen, in geschlechtergetrennten Gruppen zu spielen?
Fange ich an bei den Läden, die Kleidung, ja sogar Socken nach Geschlechtern sortieren?

Eine angebliche Normalität von Mann* und Frau* wird erst mit Gewalt hergestellt: durch Selektion, durch OPs, durch Anpassungsdruck.

Für mich war klar, die Veränderung muss radikal sein. Radikal heißt an der Wurzel. Ich wollte nicht nur einen Teil der Auswüchse von diesem Zwei-Geschlechter-System verändern, sondern dahin gehen, wo alles angefangen hat.

Logischerweise war der Anfang für mich die Geburtsurkunde. Irgendwann hatte irgendwer ohne mich zu kennen, ohne dass ich selber was dazu sagen konnte, eingetragen, dass ich weiblich sei. Wenn ich will, dass die Leute verstehen, akzeptieren dass ich Inter* bin, muss ich also genau hier anfangen. Ich wollte nicht als Mann oder Frau sondern als Inter* anerkannt werden. Ganz offiziell.

Denn von da aus lassen sich hoffentlich auch die anderen oben genannten Punkte verändern. Zumindest ist das die Hoffnung. Wenn es einen dritten Eintrag gibt lässt sich schwerer begründen, dass es medizinische Anpassungen an eine weibliche oder männliche Norm braucht.

Aber natürlich war es nicht mit einem einfachen Besuch beim Standesamt getan. Offiziell war es ja gar nicht möglich einen Eintrag als Inter*/Trans*/divers zu haben. Letztendlich haben wir als Gruppe über fünf Jahre weiter daran gearbeitet und uns bis vor das Bundesverfassungsgericht geklagt.
Auch hier war es kein Zufall, sondern eine strategische Überlegung, dass wir den Gerichtsweg gegangen sind.

Während in der Politik Inter und Trans als vermeintliches Minderheitenthema oft hintenan steht, muss ein Gericht den Einzelfall betrachten.
Für uns war klar, dass es auch deswegen eine realistische Perspektive auf einen erfolgreichen Prozess gab weil auch die letzten Verbesserungen des TSG nicht von der Politik ausgingen, sondern durch Einzelpersonen eingeklagt wurden.

Eine andere politische Frage ist da etwas komplizierter gewesen doch auch hier ist uns allen die Entscheidung eigentlich sehr leicht gefallen.
Natürlich wäre eine Welt am besten, in der niemand mehr ein Geschlecht angeben muss. Aber wir leben nun mal immer noch in einer Welt, in der Geschlecht eine große Rolle spielt.
Solange das so ist, fanden wir es wichtiger und realistischer erst mal Sichtbarkeit und Akzeptanz zu schaffen für Inter* und Trans*, durch einen expliziten dritten Geschlechtseintrag, anstatt zu versuchen, dass der Geschlechtseintrag für alle gestrichen wird. Gerade für Antidiskriminierungsarbeit kann so ein dritter Eintrag sehr viel mehr Möglichkeiten bieten.

Juristisch war es auch gar nicht möglich, auf eine Abschaffung des Geschlechtseintrages für alle zu klagen. Es wäre möglich gewesen meinen Geschlechtseintrag streichen zu lassen beziehungsweise darauf zu klagen.
Aber das schien mir nie wie eine gleichberechtigte Option. Männer und Frauen hätten dann weiter einen Geschlechtseintrag nur wir als Inter* und Trans* hätten stattdessen eine Leerstelle und würden wieder unsichtbar bleiben.

Aber auch politisch glauben ich dass ein Erfolg der Klage eben nicht nur darin liegt dass es jetzt einen dritten Eintrag gibt, sondern auch darin das besonders in der Zeit nach dem Urteil so viel über Inter* und Trans* in den Medien berichtet wurde, wie wir es vorher nicht erlebt haben.
Vor allem in den ersten Jahren der Klage haben wir als Kampagnengruppe in vielen verschiedenen Städten Infoveranstaltungen organisiert und erklärt was das überhaupt heißt Inter* und Trans*.
Wir haben über Chromosome, Identität und Hormone gesprochen.

Manchmal ist es immer noch unglaublich für mich zu merken, dass jetzt 8 Jahre später so viele Fragen die uns damals gestellt wurden auch von anderen Medien beantwortet werden. Wir konnten quasi dabei zugucken wie von Jahr zu Jahr mehr wissen zu Trans* und auch Inter* vorhanden war.

Insgesamt war es auch einfach eine tolle Erfahrung in einer zwar kleinen aber feinen Gruppe, sehr strukturiert und beständig an diesem Prozess und der Kampagne drumherum zu arbeiten. „True focus lies somewhere between rage and serenity“ (Professor X , X-Men First Class) Ich habe bis heute keine Gruppe getroffen die so fokussiert zusammengearbeitet hat.
Nochmal ein großes danke an dieser Stelle.

Das erhoffte Gesetz zum Verbot von ungefragten OPs an Inter* Kindern ist leider noch nicht da.
Immer noch muss dafür geklagt werden dass eine dritte Option nicht an irgendwelche Gutachten geknüpft sein darf.
Dabei ist es doch logisch das nur ich selber mein Geschlecht am besten kenne.

Aber es gibt schon eine nicht-binäre person – die nicht Inter* ist – die sich auch bis vor das Verfassungsgericht geklagt hat – und hoffentlich bald klären kann das ein dritte Geschlechtseintrag – allen offen stehen sollte die nicht Mann oder Frau sind -egal ob Inter* oder Trans*. Mehr aktuelles dazu findet ihr hier.

Warum ich das alles erzähle – weil es zeigt – das Veränderung manchmal doch möglich ist.
Weil es zeigt – dass es gar nicht immer riesige viele Menschen braucht – manchmal reicht eine kleine aber engagierte Gruppe – und viel Hartnäckigkeit.

Vielleicht hat die*der eine oder andere ja auch Lust auf Aktivismus bekommen?

Wenn ihr Inter seid und denkt – es wird Zeit mal andere zu treffen, könnt ihr zum Beispiel hier nachschauen: Intersexuelle Menschen e.V. – heißt der Verein und bietet in verschiedenen Städten regelmäßig Treffen von und für Inter*, um sich zusammen auszutauschen und zu unterstützen.

Das hier ist eine Organisation die sich mit Inter* aus aller Welt vernetzt und auf politische Fordrrungen von Inter* aufmerksam macht, vor allem in Berlin aktiv.

Das ist ein Verein der Beratung für Inter* und Trans* anbietet außerdem gibt es Gruppentreffen mit verschiedenen Themen . Auch in Berlin.

Falls ihr jetzt denkt – hier ist irgendwie noch nicht das richtige für mich dabei – dann gilt vielleicht der alte Spruch-
alles muss Mensch selber machen. Niemand hält euch davon ab, einfach eine Gruppe neu zu gründen 🙂

Mehr dazu:

Ich bin Ika Elvau. Weil ich selber keine Geschichten kannte von Leuten die so sind wie ich, nämlich Inter*, habe ich einfach angefangen welche zu schreiben. Ich freue mich hier auf meinTestgelände eine Plattform zu bekommen damit die Pubertät für andere, jüngere Inter* vielleicht nicht ganz so verwirrend und überfordernd wird wie für mich.