Von einer Fehlgeburt zum Mysterium

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(c) Richard Ha:  Sky  (CC BY 2.0)

Trigger-Warnung: Fehlgeburt. Ein Baby zu verlieren, noch bevor es überhaupt geboren wurde – was für eine schreckliche Erfahrung. Unsere Autorin Marie musste sie gleich zweimal machen. Dieses Jahr wurde sie dann erneut schwanger – was für ein Glück! Und mit was für einer Angst verbunden… und dann passierte etwas wirklich Unglaubliches. Aber lest selbst!

Nachdem ich im Jahr 2017 meine Fehlgeburten hatte, hatte ich immer mehr Angst, weitere Kinder zu bekommen. Nach einer Fehlgeburt geht man erstmal nicht davon aus, dass es einen nochmal trifft. Wie hoch kann diese Wahrscheinlichkeit bitte sein? Meiner Meinung nach nicht so hoch. Wenn es aber nochmal passiert, hat man oft nur noch Angst vor weiteren Schwangerschaften.
Dieses Gefühl, zu wissen, dass ein Baby im Bauch heranwächst, diese Freude, diese Hoffnung und dann dieser Schlag ins Gesicht, diese Angst, wenn man an einem Tag plötzlich anfängt zu bluten und einfach weiß, dass es vorbei ist. 

Das Baby ist gestorben. Und in meinem Fall nicht nur einmal.

Wir befinden uns im Jahr 2020 und ich hielt meinen positiven Schwangerschaftstest mit so einer Euphorie in den Händen, dass ich nicht anders konnte, als es direkt jedem mitzuteilen. Die Freude war stärker, als die Angst und das ist erstmal nichts Schlechtes.
Es sind 3 Jahre vergangen seit der letzten Fehlgeburt.
Warum hatte ich überhaupt Fehlgeburten?
Lag es an mir? Oder an meinem damaligen Partner?
Ich werde es eventuell wissen, wenn dieses Baby bleibt und mich nicht verlässt. Ein bisschen Angst hatte ich schon. Warum sollte ich diesmal Glück haben?

Ich war mir die letzten Jahre so sicher, dass es an mir lag und bei allem Respekt, aber mein damaliger Partner hat mir dieses Gefühl auch gegeben.

Die Wochen vergingen, die Arzttermine vergingen und es war alles gut. Sogar den Herzschlag hat man gesehen. Ich konnte vom Kinderwunsch-Arzt zu meiner richtigen Gynäkologin wechseln, die die Schwangerschaft betreuen sollte. Schon einen Tag, nachdem ich den Herzschlag sehen durfte, sollte ich zu ihr gehen, da es, nach den vergangenen Fehlgeburten, eine Risikoschwangerschaft ist und mehr betreut werden sollte, gerade am Anfang.
Zwei Tage hintereinander durfte ich nun also mein Baby sehen, dieses Privileg haben nicht viele, das wusste ich zu schätzen.

Am nächsten Tag ging ich voller Vorfreude zu meiner Frauenärztin und war schon auf ihre Reaktion gespannt, denn sie kannte meine Vergangenheit und meinen aktuellen Kinderwunsch. Leider war sie nicht da, aber auch die andere Ärztin im Haus kannte ich schon. Ich erzählte ihr, dass man den Herzschlag schon sah und alles gut entwickelt war, nahm auf dem gynäkologischen Stuhl Platz und schaute gespannt auf den Bildschirm.

Sie schallte und schallte. „Tut mir leid Frau M., ich kann keinen Embryo finden.“

So ein Quatsch. Natürlich ist da ein Embryo, ich habe ihn doch vor wenigen Stunden noch mit schlagendem Herzen selbst gesehen. Sie schallt weiter. „Es tut mir wirklich leid, aber da ist nichts mehr. Ich kann erahnen, dass da ein Embryo dicht an der Fruchthülle ist, aber ich finde keinen Herzschlag. Es tut mir leid.“

Nein. Das kann einfach nicht sein. Ich schaute selbst, ich suchte und suchte…ich sah auch etwas, ganz dicht am Rand der Fruchthülle, wieso pocht denn da kein Herz???
Sie schaute mich traurig an und sagte: „Ich werde noch mit dem Doppler raufschauen, ob eine Versorgung da ist, das wäre die letzte Möglichkeit.“
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich war sprachlos.
„Schauen Sie selbst, da ist absolut keine Blut- oder Sauerstoffversorgung erkennbar. Hier müsste man rote Linien und blaue Linien auf dem Bildschirm erkennen, das wäre die Versorgung von Blut und Saugerstoff von Ihnen zum Embryo. Es ist nichts zu sehen. Es tut mir leid…aber es ist eine Fehlgeburt. Ich würde Sie jetzt gerne aufklären, wie es mit einer eventuellen Ausschabung im Krankenhaus abläuft.“

Ich verstehe das alles nicht, das KANN nicht sein. Vor nicht mal 24 Stunden lag mein Baby friedlich in der Fruchthülle und das Herz schlug einwandfrei! Das Schwangerschaftshormon HCG war einwandfrei, alles war gut! Es KANN nicht sein.
Sprachlos saß ich ihr inzwischen wieder am Tisch gegenüber und wusste einfach nicht, was los ist. Ich fragte sie, wie das sein kann und wo der Embryo war, er kann ja nicht einfach verschwunden sein. 

Sie erklärte mir, dass tote Embryos oft mit der Fruchthülle „verschmelzen“.
Diese Situation war wie ein Schlag ins Gesicht, so plötzlich aus dem Nichts heraus.
Mir wurde klar, dass die vergangenen Fehlgeburten an mir lagen. Ich kann einfach keine Kinder mehr kriegen…

Die Ärztin schlug mir vor, am Abend nochmal vorbei zu kommen, weil dann meine reguläre Frauenärztin da sei und dass mir jetzt nochmal Blut abgenommen werden sollte, um das HCG zu checken. Erst im Laborzimmer liefen mir die Tränen herunter, als ich realisiert habe, was passiert ist. 

Weinend fiel ich meinem Freund in die Arme. Unser Sohn war verwirrt. Wir entschieden uns für einen Ausflug in einen großen Playmobil-Laden, um unseren Sohn abzulenken und ihm eine Freude zu machen, er sollte sich alles aussuchen dürfen, was er wollte.
Die ganze Fahrt über weinten wir und ich überlegte, wie das nur passieren konnte.
Ich konnte einfach keine Kinder mehr bekommen, wie sollte ich das akzeptieren?
Ich wollte abends nichts nochmal zur Frauenärztin, ich wollte damit nicht nochmal konfrontiert werden, dieser Schmerz war unbeschreiblich. 

Ich habe es einfach nicht verstanden.

Um 17 Uhr fuhr ich los, ohne jegliche Motivation. Der Morgen, an dem ich so viel Freude verspürt hatte, kam mir so unwirklich vor.
„Guten Tag Frau M., ich habe schon gehört, dass kein Embryo und kein Herzschlag mehr zu erkennen ist. Ich schaue mir das im Ultraschall auch nochmal an.“

Wie ferngesteuert setzte ich mich auf den gynäkologischen Stuhl und schaute nicht mal mehr auf den Bildschirm. Ich wollte es nicht sehen. Es tut so weh.

„Frau M., also ich sehe hier einen Embryo, ein schlagendes Herz, super entwickelt für die 7. Schwangerschaftswoche. Ihr HCG-Wert ist bei 57.000 und ideal für diese Woche.“

Bitte was?

„Ich weiß nicht, was Frau J. heute morgen gesehen hat, das ist wirklich ein Mysterium. Es ist alles da und sehr gut entwickelt. Ich stelle Ihnen jetzt Ihren Mutterpass aus.“

Träume ich? Mein Baby ist noch da und es lebt? Ich war genauso sprachlos wie am Vormittag. Ich verstand die Welt nicht mehr. Mein Baby war am Leben, es war alles gut. Und heute bin ich im 6. Monat, mit meinem gesunden „mysteriösen“ Baby im Bauch, das mich Tag und Nacht mit Tritten auf Trab hält. Ich bin so dankbar, aber werde diesen schrecklichen Tag nie verstehen und nie vergessen.

Mehr dazu:

Mein Name ist Marie (26), ich lebe mit meinem Sohn in Berlin - Blogge, lese, schreibe gerne und beschäftige mich so intensiv mit den Bedürfnissen des Menschen, der Vielseitigkeit unserer Persönlichkeit und Lebensqualität, dass ich ganze Bücher verfassen könnte!