Inter* Geschichte

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Sharon McCutcheon/Unsplash

Wir freuen uns sehr über einen neuen Text von Ika. Heute geht es um die Geschichte von Inter* Personen — und was wir aus ihr lernen können. Wie immer zugänglich reflektiert Ika die Gründe, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen festzuhalten und darüber zu schreiben — und weshalb kaum etwas so ermächtigend und mutmachend ist wie die Geschichten anderer Queers.

Schon im Jahr 1907 wurde das erste mal in deutscher Sprache über Intersexualität geschrieben.
Unter dem Pseudonym N.O. Body veröffentlichte Karl M Baer seine Autobiographie „Aus eines Mannes Mädchenjahren“. Das Buch erlebt schnell mehrere Neuauflagen und wurde im Jahr 1919 sogar als Stummfilm verfilmt.

Das Buch schildert das aufwachsen einer Intergeschlechtlichen Person, der* zunächst als Mädchen erzogen wird und später als Mann lebt.
Es gibt ein Nachwort vom berühmten Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld.
Die Kindheit und Jugend als intergeschlechtliche Person sind schwer zu der Zeit.
Es gibt Verletzungen und Einsamkeit.
Trotzdem ist es ein Buch das erzählt, wie Karl M Baer seinen Weg geht und findet.

Obwohl ich mich mit Intersexualität als Thema jetzt schon etwas länger beschäftige habe ich erst vor kurzem von dem Buch erfahren. Das ist kein Zufall.
1938 musste Karl M Baer Deutschland verlassen. Als Jude und Inter* musste er vor den Nazis fliehen.
Am 6 Mai 1933 wurde das Institut für Sexualwissenschaften von Magnus Hirschfeld von Nazis zerstört und die dortigen Bücher – also auch das von Karl M Baer – verbrannt.

Es hat bis 1993 gedauert bis es eine Neuauflage dieser ersten Interbiographie gab. Als ich das alles zum ersten mal gehört habe , war ich unglaublich traurig.

Ich hab dieses Buch nur gesehen. Hatte noch gar nicht darin gelesen und musste weinen.
Weil es sich anfühlt als wäre mir ein Teil meiner Geschichte geklaut worden.
Weil ich darüber nachgedacht habe – wie es anders hätte laufen können.

Wenn die Nazis nicht an die Macht gekommen wären. Wenn „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ weiter verbreitet worden wäre, wenn das Institut für Sexualwissenschaften weiter hätte forschen können. In was für einer anderen Welt hätte ich als Inter* groß werden können?
Mit Vorbildern. Mit einer Geschichte.

Aber neben der Trauer ist da auch Wut und Trotz.
Ich denke mir – es wurde alles gemacht, um diese Geschichte auszulöschen.
Und es hat lange gedauert. Aber sie ist verdammt nochmal trotzdem da.

Auch wenn ich die Sprache von 1907 manchmal schwer zu lesen finde – kann ich heute hier sitzen und davon lesen dass es andere vor mir gab.
Diese Worte sind immer noch da.
Und können mir Kraft und Bestätigung geben.
Oder zumindest die Versicherung – nicht allein zu sein.

Aber nicht nur früher gab es Menschen die uns als Inter* unsichtbar machen wollten.
Darum ist für mich klar , dass ich als Inter* gar nicht anders kann als gegen Faschismus zu sein.
Darum denke ich dass es wichtig ist, sich alten und neuen Nazis in den Weg zu stellen.

In Deutschland ist es aktuell die Afd, die von Gender Gaga spricht und sich über uns lustig macht oder uns bedroht. Es sind Corona-Leugner, die in Wien Regenbogenfahnen verbrannt haben.

In Ungarn hat Orban ein neues Gesetz erlassen, dass es Trans* und Inter* unmöglich macht, ein bei Geburt festgelegtes Geschlecht später auch offiziel anzupassen.
In Polen gibt es Regionen die sich als „LGBT Ideologie freie Zonen“ bezeichnen.

Aber dieses Wissen über die Geschichte vom Buch „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ ist auch ein starker Antrieb. Zu schreiben. Weil ich mir wünsche, dass andere Inter* irgendwann groß werden und Vorbilder und eine Geschichte haben können.

Für mich war es eine der Sachen die mir am meisten Kraft gegeben haben:
Geschichten von anderen mutigen Queers zu lesen.
Darum möchte ich an dieser Stelle gerne allen Inter*
und allen die sich selbst selten oder nie irgendwo wieder erkannt haben –
in den Büchern und Geschichten des Mainstreams – sagen:
lasst uns schreiben.

Gegen die Ignoranz. Gegen das Vergessen. Haben wir Worte. Und Gefühle.
Und sogar wenn man Bücher verbrennt
Sind die Worte und Gefühle
stärker.

Mehr dazu:

Ich bin Ika Elvau. Weil ich selber keine Geschichten kannte von Leuten die so sind wie ich, nämlich Inter*, habe ich einfach angefangen welche zu schreiben. Ich freue mich hier auf meinTestgelände eine Plattform zu bekommen damit die Pubertät für andere, jüngere Inter* vielleicht nicht ganz so verwirrend und überfordernd wird wie für mich.