Isaak Eden schreibt über Geschlechterrollen, Hass, schädliche Erwartungen und Normen in unserer Gesellschaft, die nicht nur Frauen, sondern alle Geschlechter und damit auch Männer betreffen. Er plädiert für eine zarte Männlichkeit. Volle Zustimmung! Mit diesem Text hat er den 3. Platz bei unserem Jungen*Wettbewerb belegt. Wir gratulieren herzlich und wünschen euch viel Freude beim Lesen.
Männer sollen in Deutschland 180cm groß sein, aber ich werde immer kompakte 170cm bleiben. Männer sollen einen Bart und stark behaarte Beine haben, aber mein Körper produziert eher wenig Haare. Sie sollen eine (also nicht mehrere oder keine) Frau heiraten, aber ich habe kein Interesse an Frauen, was über Freundschaft hinausgeht. Und zu guter Letzt sollen sie auch noch einen mittelgroßen Penis und zwei Hoden haben. Die cissexistische, patriarchale, deutsche Gesellschaft stellt eine Bandweite an Anforderungen an mich (und alle anderen Männer), bei deren Erfüllung jedoch ein angenehmes, sorgenfreies Leben wartet… oder? Oder?
Ich konnte und kann nur wenige Männlichkeits-Erwartungen erfüllen, was mich vor allem während meiner Schulzeit sehr deprimierte. Wie viele andere Jungs und Männer vor mir, dachte auch ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt, dass ich unmännlich sei, ein Mann zweiter Klasse, ein Mensch zweiter Klasse. Ich war wirklich fest davon überzeugt, dass ich eine schlechte Person sei, weil ich z.B. schon seit dem Kindergarten gerne pink trage, „obwohl“ ich doch ein Junge (bzw. jetzt Mann) bin.
Nachdem ich einige Menschen, Bücher und Dokumentationen im Internet kennengelernt hatte, wurde mir zum Glück bewusst, wie arbiträr und vor allem sinnlos und gewalttätig diese ganzen Männlichkeits-Ideale sind – warum zur Hölle gilt Queerness als unmännlich? Was sagt es über uns als Gesellschaft aus, wenn wir nur Personen mit Bartwuchs als Männer akzeptieren und somit (oftmals) trans* und inter* Männer abwerten?
Für feministische, gesunde, zarte Männlichkeit gibt es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft einfach keine Grundlage, ganz im Gegenteil: Jungs, Kleinkindern und sogar Neugeborenen wird von den meisten (!) Eltern leider immer noch u. A. gesagt: „nein du darfst nicht damit spielen, weil das nur für Mädchen ist und ich keine trans* Frau als Kind haben möchte, wenn du dich im Laufe deines Lebens als trans* outen solltest, enterbe ich dich sofort :)“, „wein mal nicht lol“, „zieh das nicht an, sonst wirst du schwul und ich hasse Schwule“ etc.
Natürlich sprechen Leute selten so explizit queerfeindlich, sondern verpacken ihren Hass als „wohlgemeinte Ratschläge“, aber am Ende des Tages ist es doch genau das – Geschwister, Cousins, Eltern wollen nicht, dass ihre Söhne z.B. schwul sind, weil sie selbst schwule, trans*, bisexuelle, pansexuelle, queere Männer hassen.
Ähnlich verhält es sich mit allen Dingen, die mit Frauen oder Weiblichkeit assoziiert werden: weil unsere Gesellschaft eben Frauen hasst, sind z.B. Tätigkeiten wie Nähen, Kinderbetreeung, Pflege, nett sein, Make Up tragen eine Schande für Männer. Das liegt nicht daran, dass z.B. Kinderbetreuung besonders schlecht für die Umwelt wäre, sondern einzig und allein daran, dass es angeblich eine „Frauensache“ ist, was schon ausreicht.
Wenn wir die Situation für Männer verbessern (also sie nicht mehr verachten wollen, wenn sie z.B. Nagellack tragen) wollen, dann kommen wir nicht drum herum, unseren Frauenhass abzubauen. Sobald etwas nämlich nicht (mehr) als „Frauensache“ gilt, werden Männer auch nicht dafür verurteilt, diesem Hobby nachzugehen.
Briefmarken sammeln? Klar, warum nicht. Schwimmen gehen? Sure, go for it. Röcke tragen? Nee sorry Mann, das machen in Deutschland nur Frauen und Frauen werden hier gehasst, weißte doch selber.
Um zum Anfang zurück zu kommen: Dass Männer wie ich, welche die Ideale nicht erfüllen, deshalb ausgeschlossen werden und unangebrachte Kommentare abbekommen, ist leider nicht verwunderlich. Aber was passiert mit den Leuten, die das Glück haben, perfekt in diese willkürlichen Standards reinzupassen?
Nun ja, der Witz ist, dass Männer, selbst wenn sie alle Ideale erfüllen, groß, durchtrainiert und normschön sind, es sie trotzdem nicht vor Trans*feindlichkeit und Frauenhass bewahrt. Heute bist du vielleicht Kfz-Mechatroniker, aber morgen hast du einen Arbeitsunfall, kannst deshalb nicht weiter arbeiten und musst zu Hause bleiben, während deine Ehefrau weiterhin Anwältin ist: tja, tut mir Leid, aber für deine Freund*innen bist du jetzt leider „die Hausfrau“ und wirst deshalb belächelt und beleidigt weil -und das kann man nicht oft genug betonen-, unsere Gesellschaft alles, was mit Frauen zu tun hat, hasst.
Oder okay, du hast vielleicht heute zwei Hoden, aber was ist, wenn bei dir nächstes Jahr Hodenkrebs entdeckt wirst und ein (oder sogar zwei) Hoden entfernt werden muss? Ich sage, dass du immer noch ein Mann bist, aber deine Arbeitskolleg*innen, Freund*innen und wahrscheinlich sogar deine eigene Familie wird mir da leider widersprechen, weil sie Männer ohne Hoden (was vor allem trans* und inter* Männer sind) eben hasst. Und da ist es egal, dass du ein cis Mann bist und dich nie als trans* Mann outen musstest, von Geburt bis heute als Mann gelebt und so wahrgenommen und akzeptiert wurdest – in unserer trans*feindlichen Gesellschaft gilt das Motto: kein Hoden, kein Mann.
Und wenn du cis Mann ohne 2 Hoden auch ausgeschlossen, ausgelacht, ausgegrenzt, diskriminiert wirst, ist das den Leuten in deinem Umfeld wahrscheinlich egal.
Ein paar werden (wenn du Glück hast) vereinzelt sagen, dass du ihnen furchtbar leid tust und sie dich natürlich immer noch als Mann sehen, aber wie sehr kannst du ihnen das glauben?
Wie sehr möchtest du ihnen das glauben, wenn dieselben Leute auch meinten, dass sie deine Bekannte Maria, eine trans* Frau, selbstverständlich als Frau sehen würden, aber sie trotzdem regelmäßig als „er“ ansprechen, mit der Begründung, „er habe ja noch nicht mal eine Vagina“?
In unserer cissexistischen Mülltonne von Gesellschaft heißt es „cis oder stirb“, „Frauen sind weniger wert als Männer“ und von Rassismus und Nazis bei der Polizei muss ich gar nicht erst anfangen.
Natürlich will ich bei sowas nicht mitmachen. Ich weiß, dass ich ein Mann bin, egal, was mir besagte Mülltonne durch Arbeitskolleg*innen und Medien vermitteln will. Außerdem muss ich im Gegensatz zu den allermeisten Männern nicht betonen, wie sehr ich Frauen und/ oder Queers hasse, da meine Männlichkeit weder von Misogynie noch Queerfeindlichkeit abhängt. Let that sink in.
Ich hab überhaupt keinen Bock mehr auf diesen Hass gegen queere Menschen. Ich habe gar keinen Bock mehr darauf, jeden Tag meine Menschlichkeit mit Leuten, „die es ja nur nett meinen“, verhandeln zu müssen. Queere Männer leben – ich lebe und ich verdiene denselben Respekt wie cishetero Männer. Ich verdiene dasselbe Adoptionsrecht, dasselbe Blutspendegesetz, denselben Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz, dieselbe Lebensqualität. Respect our existence or expect resistance.
Mehr dazu:
- Hier kommt ihr zum Text, der den 2. Platz belegt hat, und hier zum Gewinner-Beitrag.