Ordinäres oder modernes Grundgesetz?

70 Jahre Grundgesetz, Transparente am St. Ursula Gymnasium in Freiburg
Andreas Schwarzkopf  70 Jahre Grundgesetz, Transparente am St. Ursula Gymnasium in Freiburg  CC BY-SA 4.0

Es ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und mittlerweile 72 Jahre alt: Das Grundgesetz. In wenigen Tagen findet die Bundestagswahl statt, unsere Autorin Ann Katrin hat das zum Anlass genommen, sich nochmal intensiv mit dem GG zu beschäftigen. Welche Aspekte zu Gender im Grundgesetz zu finden sind und ob das GG überhaupt inklusiv ist, erfahrt ihr in ihrer Analyse. Viel Spaß beim Lesen!

2021 ist ein Jahr voller Landtagswahlen und der Bundestagswahl im September. Diese Zeit bietet für die Wähler eine gute Chance, die politischen Kenntnisse aufzufrischen. Ich habe mir das Grundgesetz nochmal genauer angesehen und besonders auf die Inklusion, hinsichtlich der vielen Orientierungsgruppen, geachtet. Sie kommen nicht vor! Das deutsche Grundgesetzt (GG) gilt für alle in Deutschland geborenen Menschen, Gruppen mit Flüchtlings-und Asylhintergrund sowie Personen mit deutschem Pass. Außerdem regelt das GG deutlich mehr als nur das soziale Zusammenleben, sondern auch wie Deutschland aufgebaut ist, inklusive der Eigentümer der Bundesrepublik und den Ablauf eventueller Veränderungen der staatlichen Struktur. Aber das Gesetz stellt neben der rechtlichen und politischen Aufstellung auch eine Richtlinie für das gesellschaftliche Zusammenleben dar. Es sind unterschwellige Leitlinien, wie Menschen miteinander umgehen und sich gegenseitig positionieren sollten. Dies ist besonders durch Artikel 1 gewährleistet, welcher die Würde des Menschen über allem anderen schützt. Gleichzeitig ist der Artikel auch durch die Ewigkeitsklausel geschützt und kann so nicht verändert werden. Betrachten wir das GG allerdings als maßgebendes Dokument, wie die Personen der deutschen Gesellschaft betrachtet werden, stoßen wir auf einige Hürden bezüglich der Einbindung der Gruppen mit diversen Orientierungen und Identifizierungen. Im Jahr 2021 kategorisieren wir Personen nicht nur als Mann oder Frau, sondern berücksichtigen auch die persönliche Wahrnehmung bezüglich des eigenen Körpers und der sexuellen Orientierung. Viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind schon dabei sich anzupassen und für Gleichberechtigung sowie für Inklusion zu sorgen. Ein nächster großer Schritt sollte eine drastische Überarbeitung des GG sein, welche eine deutliche Inklusion der diversen Gruppen nach sich ziehen kann. Das seit 1949 bestehen GG umfasst aktuell 202 Artikel und wurde seit seinem Bestehen schon 60 Mal geändert, einige Artikel wurden neu formuliert oder ganz entfernt. Aber die Formulierungen der angesprochenen Personen haben sich nicht verändert. Hauptsächlich wird im GG vom “Deutschen Volk” und explizit von Männern und Frauen gesprochen. Die am meisten verwendete Formulierung ist immer noch “Personen” und “jedermann”. Diese Formulierungen sind grob gesehen sehr allgemein und inklusiv und natürlich kann nicht jeder Artikel in korrekter Gendersprache überarbeitet werden, besonders, da mehr als die Hälfte des GG das politische und rechtliche System, sowie die Zuständigkeiten und das Eigentum der Bundesrepublik erläutern. Aber einige Artikel sind in ihrer aktuellen Formulierung sehr explizit ausgrenzend und leider nicht durch Gleichberechtigung geprägt. So besagt Artikel 3 die explizite Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Aber gerade in diesem Artikel sollten dann auch alle Gruppen eingeschlossen werden, wie die LGBTQ, Transgender oder Personen mit Nicht-binärer Orientierung (divers). Bisher werden Personen, die sich als divers oder Trans identifizieren, ausgeschlossen, falls sie weder explizit Mann noch Frau sind oder sich so sehen. Dies stellt auch die Frage, ob das GG sich nur auf eine rein biologische Kategorisierung der Geschlechter bezieht und wie die Definition Mann und Frau hergeleitet wird. Gleichzeitig besagt Artikel 3, dass keine Person benachteiligt werden darf. Wie also werden hier Menschen mit einer anderen Orientierung als die im GG festgelegte beachtet und geschützt? Ein weiterer Streitpunkt kommt mit Artikel 12. Dieser Artikel bezieht sich auf die Verpflichtung zum Zivildienst. Ersterer Absatz besagt deutlich, dass Männer verpflichtet werden dürfen, sollte die Not bestehen. Ein weiterer Absatz besagt, dass Frauen ebenso verpflichtet werden können, wenn die freiwillige Besetzung durch Männer nicht ausreicht und auch, dass Frauen vom Dienst mit der Waffe ausgeschlossen werden: “Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.” So viel zu voller Gleichberechtigung. Abgesehen vom expliziten Ausschluss weiblicher Personen vom Waffendienst, werden hier auch wieder nur Männer und Frauen angesprochen. Wenn sich eine Person also „anders“ identifiziert, anstatt klar als Frau oder Mann, entfällt diese Person im Artikel 12 dann komplett? Darüber hinaus könnte eine freiwillige Bereitstellung zum Zivildienst zu der Frage führen, für welche Aufgaben die Person gemeldet werden würde. Gilt diese Person dann für die weibliche Gruppe oder die männliche? Wird sie aufgrund der physischen Attribute eingeordnet oder nach der sexuellen Orientierung oder der persönlichen Identifikation? In den restlichen Artikeln des GG kommt es nicht zu solch starken Auffälligkeiten aber zusammengefasst ist das GG leider sehr einseitig formuliert. Es klingt sehr einfach, die Anpassung des GG zu fordern und Vorschläge zu machen. Allerdings muss auch abgewogen werden, wie diese Veränderungen durchgeführt werden würden und welche Schwierigkeiten aber auch Vorteile entstehen könnten. Die positiven Aspekte lassen sich einfach zusammenfassen: transparente Inklusion und Gleichberechtigung aller gesellschaftlichen Gruppen mit diversen Orientierungen und Identifizierungen. Eine Aufnahme im GG würde zu mehr Akzeptanz führen und zu mehr Beachtung durch die Politik. Außerdem setzt die Veränderung ein klares Zeichen für eine wirklich transparente und moderne Politik in Deutschland. Bisher blieb es nur bei Veranstaltungen, sozialen Bewegungen und gelegentlichen Statements durch einzelne Politiker. Die Hürden auf der anderen Seite sind etwas komplizierter. Zum einen wäre es ein sehr aufwendiger Prozess zwischen Politikern und Sozialwissenschaftlern, sich darauf zu einigen, welche Formulierungen untergebracht werden sollten, um die verschiedenen Personengruppen korrekt zu integrieren. Ein weiterer Punkt wäre der fortlaufende Prozess. Wenn diese erste Unterbringung erst einmal beginnt, dann kann argumentiert werden, dass mit jeder neuen Identifikationsgruppe auch eine erneute Anpassung des GG notwendig wird. Es wäre also ein sich wiederholender Prozess, den sicherlich nicht viele Politiker begrüßen würden. Zuletzt stellt sich die Frage, wann eine eindeutige Aufnahme in das GG notwendig wird oder ob vielleicht eine klare Definition der Personengruppen eine schnelle Lösung wäre. Dies könnte nur eine Aufnahme bzw. Ergänzung benötigen mit klarer Formulierung, dass die neue Bezeichnung für die restlichen Artikel gelten wird.

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Als geborene Hamburgerin habe ich schon etwas von der Welt gesehen und auch einiges erlebt. Bei MeinTestgelände kann ich über diese Erlebnisse und Unterschiede in den verschiedenen Kulturen berichten und auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Besonders die Gleichberechtigung diverser Geschlechter liegt mir am Herzen, nicht nur in der Berufswelt, sondern besonders im Alltag.