Süß

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Wir freuen uns sehr, mit Isa eine weitere neue Autorin hier auf meinTestgelände begrüßen zu dürfen! Isa hat das Buch „Süß“ der Journalistin Ann-Kristin Tlusty gelesen und für uns besprochen. Worum es geht? Das lest ihr hier.

Sanft. Süß. Zart. Diese Attribute werden Frauen nicht nur zu- und vorgeschrieben, sondern teilweise auch von ihnen selbst internalisiert. Wie kommt es, dass Frauen in Zeiten eines salonfähigen und weitverbreiteten Feminismus immer noch die Aufgabe zukommt, als Zuckerguss auf dem von Männern dominierten Alltag zu fungieren? Und wie haben sich solche zuckrigen Ansprüche an Weiblichkeit nahezu unbemerkt in feministische Ansätze eingewoben? Vor diesen Fragen nimmt die Streitschrift von Ann-Kristin Tlusty ihren Ausgang. Zudem stellt sie schon zu Beginn ihrer Schrift klar, dass sich ihr Weiblichkeitsbegriff auf alle Menschen bezieht, die sich als Frau fühlen und nicht bloß jene, die als solche geboren werden. Intelligent, nahbar und authentisch analysiert die Autorin die Sphären der sanften, sich stets selbst aufopfernden; der süßen, sexuell verfügbaren sowie der zarten, anmutig schwächlichen Frau und bettet sie in einen Kontext von Macht und Ohnmacht, ökonomischer Ungleichheit und fragwürdiger sexueller Mündigkeit ein. 

Die sanfte Frau geht vollkommen in ihrer Aufgabe als Pflegerin und Ernährerin auf, ohne sich dabei zu beschweren. Aus diesem Grund ist die sanfte Frau oftmals in Pflegeberufen anzutreffen, die ihrerseits innerhalb einer neoliberalen und kapitalistischen Gesellschaft vernachlässigt werden und unterbezahlt sind. Diese Sanftheit resultiert, so Tlusty, aus dem gesellschaftlichen Anspruch an Frauen, sich stets mütterlich und aufopfernd zu verhalten. 

Die süße Frau wird von anderen – aber auch von sich selbst – als eben solche empfunden. Schüchtern kichert sie, wenn sich Männer auf der Tanzfläche an sie anschmiegen, obwohl sie sich dabei eigentlich alles andere als wohl fühlt. Hauptsächlich ist die süße Frau aber eines: sexuell befreit bzw. jederzeit sexuell verfügbar. Diesen Anspruch an sexuelle Offenheit um jeden Preis verortet die Autorin in den feministischen Bewegungen der 1960er Jahre und analysiert diese Sphäre vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Lebensrealität. Um als Feministin zu gelten, scheint ein offenherziger Umgang mit Sex unumgänglich. 

Der Sphäre der zarten Frau, der in dem Buch ebenfalls Beachtung geschenkt wird, begegnet man häufig in medialen Darstellungen von Weiblichkeit. Anmutig schwächlich ziert diese Frau leicht bekleidet und dementsprechend fröstelnd die bunten Seiten diverser Modemagazine. Man trifft die zarte Frau natürlich sehr oft auf Kinoleinwänden, während sie als Schönheit darauf wartet, von einem Mann aus einer brenzligen Lage gerettet zu werden (ohne dass dabei ihr Make-Up verwischt, selbstverständlich).   

In erster Linie dient dieses Buch der Auseinandersetzung mit den antifeministischen Unterdrückungsmechanismen in unserer Gesellschaft. Tlusty stellt sich aber ebenfalls vehement gegen eine Ansammlung feministischer Strömungen, die sie unter dem Namen ‚Potenzfeminismus‘ subsumiert. Unter Potenzfeminismus versteht sie all jene feministischen Strömungen, die auf verschiedensten Social Media Plattformen Konzepte wie Female Empowerment und radikale Selbstliebe propagieren und dabei außer Acht lassen, dass sich die Kämpfe des Feminismus nicht rein auf einer individuellen Ebene ausfechten lassen. Vielmehr bedarf es grundlegender, kollektiver Bemühungen, um einen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen und dem klebrigen Stigma der süßen Frau ein Ende zu setzen.

Eine Leseempfehlung für alle, die sich sowohl mit den zeitgenössischen feministischen Strömungen als auch mit ihren eigenen Ansprüchen an Weiblichkeit kritisch auseinandersetzen wollen.

Mehr dazu:

  • Das Buch findet ihr hier.

Ich bin Isa. Irgendwann Mitte der 1990er Jahre in Wien geboren, habe ich vor einigen Jahren beschlossen, nach Griechenland zu ziehen, wo ich u.a. als Übersetzerin und Texterin tätig bin.