Ihhh, Mädchen!

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June via Pexels

Jeder hat schon mal mitbekommen, dass Mädchen als Beleidigung genannt wurde: “Ich bin doch kein Mädchen” oder “Ist dir kalt? Bist du ein Mädchen oder was?”. Genau so eine Situation hat unserer Autorin Martha auf der Rückfahrt einer Hochzeit mitbekommen und betroen gemacht. Dabei sollte es doch Teil der Erziehung sein, Sexismus nicht zu verbreiten und gar nicht erst an junge Menschen weiterzutragen. Wie Martha reagiert hat lest ihr im Text.

Es ist Samstagabend. Die Hochzeitsfeier eines Familienmitgliedes von meinem Freund neigt sich dem Ende zu. Es wird diskutiert, wer wie und mit wem nach Hause kommt. Im Auto des Hochzeitspaars ist kein Platz mehr, deswegen fahren wir – mein Freund, sein kleiner Stiefbruder und ich – bei den Nachbarn mit: Ein unsympathisch wirkender Mann und seine Frau – beide ungefähr 40 Jahre alt und ihr Sohn im Grundschulalter, der nach der langen Veranstaltung völlig übermüdet ist. Er ist mit dem Stiefbruder befreundet, der ebenfalls schon viel zu lange wach ist und die beiden kabbeln sich auf dem Rücksitz. Die Mutter versucht halbherzig, sie zur Ruhe zu bringen, doch gibt nach kurzem auf. Stattdessen merkt sie an, dass ihr kalt sei. Es ist immerhin Mitte Oktober und das Auto ist nicht geheizt. Ich stimme ihr leise zu. Daraufhin meldet sich der Vater genervt zu Wort: „Ja, ihr seid ja auch Mädchen.“ Ich kann es kaum fassen. Hat er das gerade wirklich gesagt? Mal abgesehen davon, dass ich fast 18 und die Frau schon lange kein Mädchen mehr ist, was soll dieser Kommentar denn bezwecken? Ich bin fassungslos vor Wut, aber traue mich nicht, irgendetwas zu kontern. Leider bleibt es nicht bei dieser Bemerkung. Der Stiefbruder trägt nur ein Hemd und eine Weste und fängt deshalb an zu zittern. Seinem Kumpel entgeht das natürlich nicht: „Haha, bist du etwa auch ein Mädchen?“ „Nein, natürlich nicht – ihhh, ich will doch kein Mädchen sein!“ antwortet dieser wie aus der Pistole geschossen. Der Vater lacht. In mir brodelt es. Am liebsten würde ich ihm hier, auf der Stelle, sofort meine Meinung geigen. Ich bezweifel jedoch, dass dies einen Sinn hätte. Er wirkt weder besonders einsichtig, noch wie jemand, der sich gerne von einer Siebzehnjährigen, die er vor 10 Minuten kennengelernt hat, belehren zu lassen würde. Zum Glück muss ich diese Situation nicht viel länger ertragen. Wir sind am Haus meines Freundes angekommen und verabschieden uns.

Doch meine angestaute Wut verlässt mich noch nicht. Drinnen fange ich sofort an, mich über den sexistischen Nachbarn zu beschweren und nehme mir dann den Stiefbruder zur Seite, der das Geschehene wahrscheinlich gar nicht so richtig verstanden hat. Zwar habe ich mich nicht getraut, dem Vater zu widersprechen, doch ist mir ziemlich klar, dass ich trotzdem ihm reden und erklären sollte, was bei der Situation im Auto falsch gelaufen ist. „Was der Vater da gesagt hat, war nicht okay. Kannst du verstehen, warum man niemanden als Mädchen beleidigen sollte?“ „Hä, warum?“ „Das impliziert, dass Mädchen schwächer sind als Jungs und nicht ihren Respekt verdienen. Aber nur weil man kein Junge ist, sollte das auf keinen Fall heißen, dass man weniger wert ist. Und nur weil du manchmal Streit mit deiner Schwester hast, ist sie trotzdem genauso wertvoll wie du, richtig?“ Er nickt – natürlich hat er seine Schwester lieb. Mein Freund klinkt sich in das Gespräch ein: „Außerdem beleidigst du damit gleichzeitig etwa die Hälfte der ganzen Weltbevölkerung. So ist jeder zweite Mensch nach deiner Logik doof.“ Das macht ihn stutzig. Er steht da ohne etwas zu erwidern.

Ich hoffe wirklich, dass dieses Gespräch etwas gebracht hat und der Stiefbruder in Zukunft andere – oder im besten Fall – gar keine Beleidigungen wählt. Vielleicht macht er auch seine Kumpels darauf aufmerksam, wenn sie Mädchen* in ihrem Umfeld nicht gerecht behandeln. In der Situation hat er sich zwar nur an den Worten des Nachbarn orientiert, doch wenn die sexistische Perspektive, welche der Vater eingenommen hat, der festen Bestandteil einer Erziehung ist, werden Jungen* der nächsten Generation diesen Sexismus weitertragen und verbreiten.

Denn wenn schon Jungen* im Grundschulalter beigebracht wird, dass Mädchen* nicht ihren Respekt verdienen – was soll nur aus ihnen werden, wenn sie erwachsen sind?

Hi, ich bin Martha (17) und lebe in Leipzig. Schon seit ein paar Jahren interessiere ich mich für Feminismus, genderspezifische Themen und Künstler*innen, die sich mit diesen Aspekten beschäftigen. Ich liebe es Texte zu schreiben, vor allem Erfahrungsberichte, in denen ich alle meine Gefühle rauslassen kann. In meiner Freizeit treffe ich mich gerne mit Freunden, spiele Bass, gehe zum Thaiboxen und engagiere mich bei der Schüler*innenzeitung meiner Schule in der Chefredaktion.