In „Wir Soldaten“ beschreibt Anton Dudda die traditionelle Rolle von Hetero- und Cis-Männern historisch als Soldat, Handwerker oder Jäger und vor allem auch Beschützer der Familie, die Frau ist in dieser Rollenzuweisung für die Reproduktion einer Gruppe zuständig. Im ersten Teil des Textes erklärt Anton „männliche Privilegien“ und warum diese sich stetig mannifestieren.
Hallo. Ich bin ein weißer, heterosexueller und cisgeschlechtlicher Mann. Ich mache an dieser Stelle darauf aufmerksam, weil ich das Privileg habe, dass meine Identität erstens, was diese Zugehörigkeitsattribute anbelangt, mit der Identität übereinstimmt, welche mir die meisten Menschen intuitiv zuschreiben würden, und zweitens, weil diese Identität, trotz ihrer eigentlichen Spezifität, als so etwas wie der Normalfall wahrgenommen wird. Wenn ich mich äußere, dann wird mir gemeinhin nicht unterstellt, aus einer bestimmten Position heraus zu denken und zu sprechen. Eine schwarze Person, eine weiblich gelesene Person oder eine nicht heterosexuelle Person beispielsweise, müssen im Gegensatz zu mir damit rechnen, dass ihre Identität als Ausgangspunkt ihrer Positionen verstanden, aufgenommen und diskutiert wird oder die Wahrnehmung der Rezipient*innen zumindest einer gewissen Färbung unterliegt. Zwar sind progressive Diskurse, welche diese Verzerrung aufzuheben versuchen, in den letzten Jahren zunehmend in die breite Öffentlichkeit gesickert, das Problem besteht aber nach wie vor und zementiert das Vorurteil, Menschen meiner Zugehörigkeit seien zu einer Art überideologischem Universaldenken fähig.
Nun ist es so, dass ich hier in diesem Magazin nicht nur schreibe, obwohl ich zu jener Gruppe gehöre, welche in unserem ökonomischen und gesellschaftlichen System die größten Privilegien genießt, sondern grade weil zu ihr gehöre. Ich verstehe mich als beauftragt, mit meinem Schreiben der Frage nachzugehen, was genau eigentlich abgeht bei uns average white guys™ und warum es uns als Gruppe scheinbar, trotz unserer Privilegien, so wahnsinnig schlecht zu gehen scheint.
Und ja, es geht uns ganz offenbar schlecht. Die postmoderne Welt ist beharrlich dabei, am Ast unserer wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Dominanz zu sägen und lässt uns nicht mehr einfach mit allem durchkommen, wie die letzten paar Jahrtausende. Plötzlich wird von uns erwartet, dass wir uns rechtfertigen für unser Verhalten, dass wir über unsere Gefühle sprechen, statt einfach nach ihnen zu handeln mit der fixierten Erwartungshaltung, es würde am Ende schon irgendwie nach unserer Pfeife getanzt. Während der eine, kleinere Teil von uns über jahrelange Arbeit versucht, den verinnerlichten, toxisch-maskulinen Habitus abzulegen, nicht selten mithilfe von Psychotherapie, denn bei Merlins Bart, this Shit goes deep, wählt ein anderer Teil den offensiven Weg und beginnt sein problematisches, selbst- und viel zu oft fremdschädigendes Verhalten, als Manifest einer metaphysischen Urmännlichkeit offen zur Schau zu tragen, rationalisiert die offensichtlichen Widersprüche und massiven Ungerechtigkeiten als so etwas wie eine Naturordnung oder Kulturerrungenschaft, die es zu verteidigen gilt, bis hin zur verbalen und psychischen Gewalt gegenüber jenen, denen sie die Schuld geben an ihrem Autoritätsverlust. Ein dritter und wohl größter Teil, versucht sich schadlos zu halten, benimmt sich, meckert gelegentlich (getriggerterweise) über die viel zu schnell getriggerten Snowflakes und zieht sich zurück in immer engere Kreise, in welchen er das Gefühl hat, noch ungestört zu sein. Der Kneipenabend mit „den Jungs“, der Hobbykeller mit dem Billardtisch und der Plattensammlung, das Fußballstadion.
Dieses Bild moderner average white guys™ entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit. Und zugegeben, es ist wohl auch ein stückweit lächerlich. Nur wird man nicht umhinkommen, möchte man die Probleme möglichst aller Gruppen zu einer guten und gerechten Lösung führen, auch die verhältnismäßig kleinen Probleme der Privilegiertesten ernst zu nehmen. Denn sonst wachsen auf der einen Seite die Ressentiments und führen mitunter zu noch mehr und noch heftigerer Radikalisierung und steigt auf der anderen Seite die Angst, sich zu den eigenen Gefühlen und Ängsten vor Abwertung und Geringschätzung zu bekennen, selbst wenn emanzipatorische Diskurse verstanden werden und sich mit den betroffenen Gruppen solidarisiert wird.
Bei der Analyse dieses Problemfeldes muss man sich zunächst bewusst machen, wie unscharf der Begriff „Privileg“ ist, wenn man nicht die durchschnittliche Verteilung von Zugang zu Chancen, Geld, Wohnraum, oder auch schlicht individuelle Freiheit auf gesamtgesellschaftlichem oder sogar globalem Niveau bespricht, sondern auf eine individuelle, mikroökonomische Ebene schaut. Global betrachtet, ist das System so verfasst, dass es weiße, cismännliche Personen in den genannten und weiteren Bereichen massiv bevorzugt, im alltäglichen Leben der Menschen äußert es sich aber als permanenter Brandherd von härtester Konkurrenz zwischen Einzelsubjekten um jene Ressourcen, die durch die Ungleichverteilung in viel zu wenigen Händen liegen und für den Rest grade so viel übriglassen, wie absolut notwendig ist. Auch der hieraus zwangsläufig entstehende Mangel betrifft marginalisierte Gruppen im Durchschnitt deutlich härter als die average white guys™, aber dennoch sollte es einen nicht wundern, wenn ein Familienvater mit zwei Jobs, ein entlassener Braunkohlebergbauer oder ein alleinstehender Sozialhilfeempfänger sich nicht mit dem Narrativ des male privilege identifizieren können. In meinen Augen muss eine gute feministische Theorie und Praxis immer berücksichtigen, dass sich Privilegien nicht allein aufgrund von Identitäten ungerecht verteilen, sondern vor allem durch ökonomische Ausbeutungsverhältnisse.
So weit so grundlegend.
Nun leben wir allerdings in einer Gesellschaft, die es aus den verschiedensten Gründen nicht schafft, sich nachhaltig von diesen Verhältnissen zu lösen, welche die Privilegien so auffallend ungerecht verteilen. Es muss etwas geben, was unter den average white guys™ eine Einheit stiftet, welche stärker ist als der immense Druck der ökonomischen Ungleichheit, etwas, womit sich sowohl die absolut Obersten, als auch die absolut Untersten von ihnen identifizieren und was ihnen ein „Weiter-So“ oder sogar ein Abgleiten in Autoritäre, Rückschrittliche Ideologien attraktiver erscheinen lässt, als eine fundamentale Änderung der Gesellschaft. Der ganz individuelle Vorteil dieser Ideologie, die man Maskulinismus nennen kann, liegt auf der Hand. Auch wenn das Individuum unter unerreichbaren Idealen und ökonomischer Ausbeutung leidet, kann es doch innerhalb seiner Mikrosphäre eine Dominanz für sich beanspruchen. Es hat fast sadomasochistische Züge. Ich weiß, nach „Oben“ muss ich gehorchen und mich unterordnen und bin dadurch legitimiert, nach „Unten“ Gewalt auszuüben, in welcher Form auch immer. Der sehr heteronormative Trope des Familienvaters, der das Geld verdient, in den Krieg zieht oder in anderer Form die Familie nach „Außen“ vertritt, indem er sich in ein hierarchisches System eingliedert um das Überleben und/oder den Lebensstandard zu sichern, der aber dann zuhause seine Entfremdung, Überforderung oder seine Traumata gewaltvoll an seiner Frau oder seinen Kindern auslebt, ist in unseren Kulturprodukten vielfach wiedergegeben und kritisiert, aber auch schon reproduziert und legitimiert worden, falls die moralische Grenze zur physischen Gewalt nicht überschritten wurde.
Speaking of.
Fortsetzung folgt.