Sabylonica ist queer, muslimisch sozialisiert, ihre*seine Familienmitglieder sind People of Color und nach Deutschland eingewandert. Sie*er hat Queerfeindlichkeit, Rassismus und antimuslimischen Rassismus erlebt. Über ihren*seinen Wunsch deutsch zu sein und dem eigenen Identitätenkonflikt erzählt Sabylonica in ihrem*seinem Text.
Das Augenmerk meines heutigen Artikels liegt in meiner eignen Sozialisation. Um präziser zu sein als nicht-binärer, queerer Mensch in einer mulimischen Sozialisation.
Mein Bewusstsein dafür, dass ich weiß, ich bin queer und ebenso muslimisch, war schon von klein auf da, auch, wenn das Bewusstsein für mein Queersein schon eher eine Rolle in meinem Leben gespielt hat als der Islam. Mein Bewusstsein über meine Geschlechtsidentität dagegen tauchte viel später auf und genauso wie das Denken nicht muslimisch, sondern muslimisch sozialisiert zu sein.
Zu sagen, ich sei muslimisch, würde eine direkte und vor allem aktive Verbundenheit zur Religion deuten, aber muslimisch sozialisiert zu sein, kann sowohl direkt als auch indirekt, genauso wie aktiv als auch passiv zur Religion verbunden zu sein bedeuten. Das heißt, dass ich mir meine Freiheit darüber nehme selbst zu entscheiden, was ich mit dieser Sozialisation mache oder eben nicht. Ich bin muslimisch sozialisiert, ob ich nun gläubig oder religiös oder weder noch bin, spielt dabei keine Rolle.
Was ich aus meiner muslimischen Sozialisation als Kind verstand, war die queerfeindliche Haltung, was mich als Kind abschreckte. Es hieß immer, andere sind es und können es sein, aber wir Muslim*innen könnten es nicht sein. Ja genau, es. Schon allein die Wortwahl machte mich zum Fremden. Und der komplette Satz verfremdete mich aus der Community. Obgleich ich schon immer wusste, dass ich queer bin, wusste ich sogleich auch immer, dass ich mich nicht outen darf. Weil ich sonst wortwörtlich verfremdet werde. So behalte ich mein Empfinden bis heute für mich. Kurz angemerkt, Queerfeindlichkeit habe ich leider in vielen religiösen und kulturellen Sozialisationen erleben müssen.
Jetzt kommt es zur nächsten Etappe. Meine Familie ist nicht nur muslimisch sozialisiert, sondern auch People of Color, also wir sind nicht Weiß, und zusätzlich sind sie aus einem anderen Land nach Deutschland eingewandert. Aufgrund dessen habe ich, extern zur Queerfeindlichkeit, Rassismus und antimuslimischen Rassismus erleben müssen. Mit der Grundschulzeit wurde mir immer mehr klar, dass ich nicht deutsch sein könne, ich es aber sein wollte. Der queere Aspekt verschwand in den Hintergrund, da ich ohnehin nichts an der Tatsache hätte ändern können, und widmete mich meinem Identitätskonflikt deutsch sein zu wollen. Als Kind tat ich alles dafür, als deutsch gelesen zu werden, begriff aber im Jugendalter, dass es in erster Linie nicht darum gehe, deutsch zu sein oder nicht, sondern Weiß zu sein oder nicht. Also begriff ich, ich bin nicht Weiß, sondern eine Person of Color. Aber das Problem, nicht deutsch sein zu können, besteht weiterhin. Nach vielerlei Bemühungen, als deutsche Person anerkannt zu werden, gab ich den Identitätskampf auf und akzeptierte für mich, dass ich als PoC nicht deutsch sein kann.
Nun, alles in allem: Innerhalb meiner queerfeindlichen Familie of Color, die muslimisch sozialisiert ist, verhalte ich mich dennoch sehr deutsch, weil es nicht nur ein Akt des Bruches für mich mit ihrer Tradition darstellt, sondern weil sie das auch annehmen. Meine Familie würde mich niemals als queere Person akzeptieren, tut es aber als deutsche Person. Und die Weiß-deutsche Mehrheitsgesellschaft würde mich als Deutschen nicht akzeptieren. Auch was meine queere Identität angeht, würden nicht alle aus der Weiß-deutschen Mehrheitsgesellschaft akzeptieren, aber die wenigen, die mich als queere Person akzeptieren würden, sind in der Mehrheit als meine Familie, was das Thema angeht.
Der jahrzehntelange Austausch über Interkulturalität, dass Menschen mit zwei kulturellen Sozialisationen einen Spagat zwischen beiden machen müssen, hat für mich eine tiefergehende Bedeutung. Abgesehen von den Kulturen kann es ein Spagat zwischen Mehrheitsgesellschaft und Community sein. Oder ein Spagat zwischen Queersein-Können und Nicht-Queersein-Können. Vielleicht aber auch zwischen Deutschsein-Können und Nicht-Deutsch-Sein-Können.
Dieser Artikel sollte einen Einblick hinter meiner Person geben und ein Beispiel an Intersektionalität, also eine Mehrfachdiskriminierung.