RobinO ist neuer Autor auf meinTestgelände – herzlich Willkommen! In seinem ersten Text schreibt er über das Aufwachsen in einem bayrischen Dorf als Kind mit dunkler Haut. Er ist “aus zwei verschiedenen Welten, doch zu keiner wirklich dazu gehörend”. RobinO hat viel Alltagsrassismus erlebt: in Deutschland ist er “der Ausländer”, in Nigeria “der Weiße”. Wie schwierig eine Einordnung in Nationalitäten ist, beschreibt er im Beitrag.
Halb halb, aus zwei verschiedenen Welten, doch zu keiner wirklich dazu gehörend – so denke und fühle ich. Stört es mich?
Norden – Westen
Ich bin braun – schwarz – dunkel – maximalpigmentiert – farbig – Mischling oder einfach „anders“. So in einem „weißen Dorf“ aufzuwachsen, das ist schwer zu beschreiben. Rückblickend habe ich in der zweiten Klasse angefangen wirklich zu merken, dass mein Zwillingsbruder und ich anders sind, als die meisten um uns herum. In dieser Zeit trennten sich unsere Eltern und wir zogen mit unserer Mutter aus der Stadt aufs Land.
Als die ersten Kinder aus unserer neuen Umgebung begannen interessiert Fragen bezüglich meiner Haut, meinen Haaren und Herkunft zu stellen, kamen später Witze und Beleidigungen dazu, bis hin zu meiner Klassenlehrerin, die meiner Mutter erklären wollte: „Ausländerkinder gehen nicht auf eine Weiterführende – sondern auf die Hauptschule!“ (Damals war das die Bezeichnung für jene Schulen.)
Nach kurzer Zeit waren wir in der Umgebung bekannt, spielten Fußball im Verein und lebten ein quasi sorgenfreies Leben inmitten viel schöner Natur und wohlhabenden, konservativen Menschen. Ich hatte über die Jahre ein paar sehr gute Freund/innen und viele Bekannte.
Alltagsrassismus ist vor allem rückblickend allgegenwärtig gewesen: „Hey, ich darf Neger sagen. Du weißt doch wie ich es meine. Wir sagen das schon immer hier…“. Oder, dass alle schwarzen Männer große Penisse hätten und ich mich glücklich schätzen könne schwarz zu sein. Dass fremde Menschen meine Haare anfassen wollten, war schon in ganz frühen Jahren normal.
Oft fühlte ich mich verunsichert, da ich keine Feindseligkeit, sondern Interesse ohne das nötige Feingefühl spürte. Und da ich niemandem vor den Kopf stoßen, sondern gemocht werden wollte, grinste ich zumeist und ließ alles unkommentiert stehen und geschehen.
Exotisiert zu werden ist für mich einerseits das Gefühl sich begehrt zu fühlen, andererseits aber sehr oberflächlich in eine Schublade gesteckt zu werden.
„Ich wäre so gerne schwarz“ höre ich auch des Öfteren. Die sowohl gesellschaftlichen als auch rassistischen Probleme und Strukturen sind dabei nicht mal in der Peripherie des/der Sprechenden. Ganz zu schweigen von der Kolonialzeit und deren Folgen.
Es kam immer wieder zu Situationen und sich wiederholenden Szenarien, die mich irgendwann dazu bewegten, mich auf eine gewisse Art anzupassen, vorsichtig zu werden und den Leuten zu sagen was sie hören wollen.
„Woher kommst du?“ fragt mich jemand. Manchmal sage ich „aus Bayern“, ein andermal „von hier“ oder „von der Erde“, aber oft nehme ich den Leuten die nächste Frage aus dem Mund und sage: „Mum aus Deutschland – Dad aus Nigeria.“ Da Deutsch meine Muttersprache ist, haben sich weitere Fragen normalerweise erübrigt. Das passiert heute immer noch regelmäßig und ich habe noch keine generell zufriedenstellende Antwort gefunden.
Lernt man jemanden kennen wird man gefühlt erstmal gemustert und einer Probe unterzogen. Diese bestehe ich zumeist, wenn ich mit den Menschen auf Deutsch spreche. Oft werde ich gelobt, wie toll ich doch integriert sei und dass es mehr „gute Ausländer“ wie mich geben solle.
Süden:
Bis zum achten Lebensjahr waren wir einige Male in Nigeria und besuchten unsere große Familie. Ich habe noch Eindrücke von damals. Einer davon war, dass kleine Kinder in unserem Alter, als sie uns sahen zum Spaß „Oyibo pepe“ sangen und in die Hände klatschten. Das bedeutet „weißer Pfeffer“ oder „westliche weiße Leute, die kein scharfes Essen vertragen“.
Eine andere Erinnerung ist meine vielen Verwandten, die mir sagten, ich sei im Herzen Nigerianer und dies sei mein wahres Zuhause.
Mit 19 war ich nach über 10 Jahren wieder in Nigeria und mir wurde schnell bewusst, wie unterschiedlich diese beiden Welten sind. Jemand der/die nicht in Afrika war wird Schwierigkeiten haben das zu verstehen. Nun, mit „erwachsenem“ Verstand waren die Sinneseindrücke sehr viel umfangreicher. Ich spürte jeden Tag, dass mich auf der Straße viele Blicke trafen. Das lag daran, dass meine Haut heller ist als die der meisten. Somit ist das auch nicht verwunderlich.
Ich erinnere mich gut an Momente in denen mir Menschen „Ey White Man“ oder „Jesus“ (wegen meiner lange Haare?) hinterherriefen. Ich spürte dahinter kein Feindseligkeit oder verstand es nicht.
Mir wird von meiner Familie in Lagos schwer davon abgeraten alleine auf die Straße zu gehen. Einmal schlich ich mich raus und merkte schnell, dass zwei Onkel mir unauffällig folgten. „Es ist nicht sicher für dich alleine, aber du bist hier Zuhause!“
Getränke und Essen solle ich auf keinen Fall annehmen, wenn nicht jemand aus dem engen Kreis der Familie anwesend ist.
Einer meiner Cousins formulierte es so: „Wenn die Menschen dich sehen, sehen ein paar von Ihnen Dollars, und da ein großer Teil der Bevölkerung in Armut lebt, könnte es passieren, dass jemand etwas versucht.“ „Hellhäutige Menschen werden oft als etwas besseres wahrgenommen. Hollywood hat dahingehend gute Arbeit geleistet, dass weiße Menschen, vor allem blond- und blauäugig, für einige Menschen mit dunkler Haut wie Engel erscheinen.“
Einmal sagte meine Tante zu ihrer kleinen Tochter: „Je weißer deine Haut ist, desto besser wird dein Leben sein.“ Paradox, dass weiße Menschen dunkler, und manche dunkle Menschen heller sein möchten. Der Verkauf von „Weißungscreme“ steigt ebenso rasant wie Besuche im Solarium und dem damit verbundenen Hautkrebsrisiko. Eine leichte, schöne Strandbräune scheint für die meisten weißen Menschen ausreichend. Schwarze Haut ist, meiner Meinung, nach in einigen Teilen der „entwickelten“ Welt, neben leckerem Essen und heißblütiger Musik, eher und vor allem mit Gefahr und Armut verbunden.
Das Bild des „weißen, privilegierten Europäers“, als der ich manchmal in Nigeria gesehen werde, verstärkt mein Gefühl von Heimatlosigkeit, und ich verliere mich zwischen Individualität und Anpassung. Trotzdem liebe ich die Farben und Gerüche, die Musik und das Chaos, die Stimmen und die Wärme der Menschen, und spüre eine Verbundenheit zu diesem Teil der Welt.
Global:
Manchmal sehe ich mich als „Eufrikaner“, ein anderes mal als Deutscher, dann als Nigerianer, dann aber am liebsten nur als Mensch, unabhängig von einer Nationalität. Das nennt man wohl Identitätskrise…
Wenn ich in der westlichen Welt bin und mit Menschen zu tun habe, die aus Afrika kommen, mache ich verschiedene Erfahrungen. Einerseits fühle ich mich nicht zugehörig. Sei es die Art wie ich mich bewege oder spreche, für viele bin ich halt ein „Bounty – außen schwarz – innen weiß“, privilegiert und ohne wirkliche Probleme im reichen Teil der Welt aufgewachsen. Diese Abneigung kann ich spüren und das fühlt sich natürlich nicht schön an.
Andererseits erlebe ich sehr viel positives. Menschen behandeln mich liebevoll und möchten viel über meine Person und mein Leben wissen. Ich komme schnell mit verschiedensten Leuten ins Gespräch und mir gefällt, dass sich oft auf der Straße unter Fremden gegrüßt oder zumindest kurz zugenickt wird. Ein kurzes Wahrnehmen und Wertschätzen des anderen.
Ich hatte die Möglichkeit einige Jahre lang durch die Welt zu reisen und verschiedene Kontinente und Kulturen kennenzulernen. Dies war neben großer Neugier auch eine Flucht ins Ungewisse auf der Suche nach… nach was eigentlich? Einer Identität?
Schnell kam die Erkenntnis, dass ich überall der „bunte Hund“ bin und Menschen aller Länder ähnliche Vorurteile haben. Dies öffnete mir, trotz anfänglicher Ernüchterung, viele Türen und ließ mich großartige Eindrücke in anderen Lebenswelten machen.
Kuba war der erste Ort, an dem ich nicht durch meine äußerlichen Merkmale auffiel. Das war in den ersten Tagen merkwürdig, bis ich bemerkte, wie gut es tut sich durch die Straßen zu bewegen und nicht aufzufallen. Anfangs hatte ich mit meinem Selbstbewusstsein zu kämpfen, da mir die Aufmerksamkeit fehlte. Nach kurzer Zeit fand ich Gefallen daran, einer von vielen zu sein und Gefühle von Heimat, Fremde, Individualität und Anpassung begannen zu verschmelzen und ein wohliges Gefühl auszulösen. Sobald ich zu sprechen begann, hörten die Menschen natürlich, dass ich nicht aus Kuba komme, und altbekannte Muster wurden sichtbar.
Trotzdem war es sehr schön ein wenig in der Illusion zu schwelgen und es half mir auf meinem Weg, mich mehr zu akzeptieren und meine Position zwischen den Stühlen immer wieder aufs Neue wertzuschätzen und zu lieben.
Im Leben suche ich Balance. Das verlangt manchmal viel von mir ab und ich merke, dass ich es nicht allen recht machen kann und muss. Wut, Verzweiflung und Einsamkeit sind somit auch Begleiter auf meiner emotionalen/irdischen Reise.
Gesunde, empathische Beziehungen, Respekt und Zuversicht lassen mich mittlerweile recht unbeschwert meinen Weg gehen. Dabei versuche ich Negatives nicht auszublenden oder zu vergessen, sondern anzunehmen und zu transformieren.
Mir ist bewusst, dass jeder Mensch auf seiner individuellen Reise eigene Hürden zu überwinden hat und viele Schicksale im Strudel der Welt untergehen.
Ich kann nur über meine Erfahrungen sprechen, und hoffen, ähnlich Gesinnte und Interessierte auf einer verständnisvollen Ebene zu erreichen und von deren Erkenntnissen zu lernen.
Awoso* ( heißt danke auf Igarra )