“Corona, Gift für Kunst und Kultur. Gift für Dragshows und Tunten”. Fluff erzählt von einer Zeit, in der Glitzer, Pailletten, angeklebte Wimpern, Highheels und Perücken nur zu Hause zum Üben getragen wurden, von trans-Hass und von Freundschaft, die das alles ertragen lässt.
Die Wimpern flattern. Ich fluche. Der Kleber hält nicht. Eingetrockneter Wimpernkleber ist mit Abstand die lächerlichste Make-Up-Fail Variante. Hinter mir ertönt eine gelangweilt-amüsierte Stimme: „Warum fummelst du dich überhaupt auf? Sieht doch eh kein Mensch.“ Ich verziehe das Gesicht. They hat ja nicht Unrecht. „Übung.“, gebe ich knapp zurück und fummele die halb angesetzten Wimpern wieder runter. Lippenstift sitzt. Meine Augenbrauen habe ich mit Klebstoff bearbeitet und unsichtbar geschminkt. Stattdessen prangen buschige, raupenähnliche Gebilde beinahe auf meiner Stirn. Schließlich muss ja ausreichend Platz für den Lidschatten, Lidstrich, Glitzer und Pailletten sein. Aber auch Pailletten halten nicht, wenn der Kleber eingetrocknet ist.
Ich stülpe mir die Perücke auf den rasierten Kopf und schmeiße die Tube in den Mülleimer.
Corona, Gift für Kunst und Kultur. Gift für Dragshows und Tunten, die ihre Fummel seit knapp zwei Jahren nur zu Hause spazieren trugen. Auf der Straße ist es mittlerweile ebenfalls gefährlicher geworden, sichtbar queer zu sein. Gleichzeitig hat die neue Koalition, die Ampel, versprochen, das Selbstbestimmungsgesetz für trans Personen endlich in die Tat umzusetzen. Wilde Zeiten, in denen wir leben. Fortschritt im Parlament, Angst auf den Straßen.
Mein Handy vibriert. Ich seufze. Hass im Netz, den hatte ich ganz vergessen. Ich lösche, blende aus, blockiere die Menschen. Die Argumente sind immer die gleichen, es gäbe nur zwei Geschlechter, ich wäre psychotisch, psychisch krank, irre, würde mich in Frauenumkleiden schleichen wollen… (Und Frauen vergewaltigen. Immer wieder, ich würde Frauen vergewaltigen wollen.)
Ich werfe den Kopf zurück, die Perücke wippt. Ich weiß oft nicht, ob ich es zum Lachen oder zum Weinen finden soll. Mir schlägt der Hass entgegen, weil sie mich für eine trans Frau halten. Alternativ schlägt mir der Hass entgegen, weil sie mich wieder zurück ins Frau-Sein zerren wollen.
Am liebsten hätte ich gar keinen Hass, aber die Aktion scheint es nicht zu geben. Und meine bevorzugte Freizeitaktivität, Drag und Highheels, fällt auch weg.
„Da war ja was… für jede ausgefallene Drag-Show trag ich eine_n Sächs_in zum Impfzentrum.“
Ich muss grinsen. Mein_e Mitbewohner_in hat eine seltsame Art, mich zu trösten, aber sie funktioniert. They weiß genau, was in meinem Kopf vor sich geht. Gleichzeitig ist they die Person, die am wenigsten mit überdrehter Glitzerkultur etwas anfangen kann.
They fluchte früher ausgiebig (so wie ich mit eingetrocknetem Wimpernkleber), wenn ich them dazu überreden wollte „doch etwas Spaß zu haben“. Spaß und Glitzer, der noch Monate später im Bett gefunden wurde, schlossen sich für them kategorisch aus. Außerdem hasst they Highheels, kann mit Schaumwein nichts anfangen und würde sich lieber nackt auf ein Nagelbrett legen, als sich in ein grünes Paillettenkleid zu zwängen.
Zwei Tage später.
Ich komme ins Wohnzimmer, die erste Tasse Kaffee in der Hand. Auf dem Tisch liegt eine frische Packung Wimpernkleber und eine kleine Zange, um Kunstwimpern besser greifen zu können.
Daneben klebt ein Post-It. „Zum Üben.“ steht darauf.