Wir freuen uns, euch mit Beau einen neuen Autoren auf meinTestgelände vorstellen zu dürfen. In seinem ersten Text „Alienation“ beschreibt er das Gefühl, sich als trans* Person alleine in Cis-Räumen zu bewegen. Er lässt uns an der Anspannung teilhaben, die bereits durch die Antizipation von Diskriminierung ausgelöst wird und wie wichtig daher queere Rückzugsräume sind.
Vor kurzem war ich, relativ kurz aufeinander folgend, Gast auf zwei künstlerischen Festivals. Meine Freude über das Privileg, solche Veranstaltungen besuchen zu können – gerade in pandemischen Zeiten – trübte jedoch der Fakt, dass ich meines Wissens nach die einzige trans Person unter dutzenden bis hunderten von cis Menschen war. Im Englischen gibt es ein schönes Wort dafür: alienation. Die Übersetzung Entfremdung trifft es für mich nicht so ganz; alienation fängt das „zum Alien werden“ ein. In einem Raum voller cis Menschen war ich das Alien. Ich habe zum ersten Mal verstanden, wie dieses Gefühl einen brechen kann. Als ich mich wieder in einem Raum voller queerer Menschen aufhielt, war es wie ein Aufatmen.
Dabei könnte man einlenken: mir ist doch gar nichts passiert. Mir ist keine konkrete Gewalt widerfahren, niemand hat mich blöd angemacht – ich sollte doch froh sein. Tatsächlich ist es schwierig, in Worte zu fassen, was denn eigentlich das Problem ist, wenn nur das Potential von Diskriminierung in der Luft liegt, die Angst, jederzeit könnte ein beschissener Kommentar fallen, und niemand würde sich Mühe geben, mir zur Unterstützung beizuspringen. Das Wissen: wenn etwas passiert, bin ich allein. Die Fragen: tolerieren sie mich nur, weil ich ein weißer, transmaskuliner Mensch bin? Würden sie mit meinen Geschwistern, die andere Labels tragen, anders umspringen? Werden meine Arbeit und meine Aussagen anders behandelt als die von meinen cis Mitbürger*innen? Sind sie wirklich froh, dass ich da bin – oder sind sie froh, weil meine Anwesenheit ihnen beweist, wie tolerant sie selbst sind?
Denn gerade in linken Räumen besteht ja häufig durchaus ein Interesse, dass trans Menschen und queere Menschen mit am Tisch sitzen. Doch dieses Interesse resultiert dann nicht in konkreten Maßnahmen, die Räume für trans Menschen zugänglicher machen würden. Wie viele Orte nennen sich beispielsweise „FLINTA* Only“, begreifen „FLINTA*“ jedoch nur als „aufgeklärte“ Version des Wortes „Frauen“ und verweigern dann sowohl trans Frauen, trans femme Personen und als auch Menschen, die sie als zu butch und zu maskulin einstufen, den Zutritt? Andere wichtige Maßnahmen wären vielerorts die Schaffung von einer nicht gegenderten Toilette, die Einführung von Awareness Teams oder Diskriminierungsbeauftragen oder generell das Anbieten von Schulungen über Transphobie. Wenn es an Wissen fehlt, bestehen in unserer Zeit der Instagram-Infographik genug Möglichkeiten, sich dieses Wissen anzueignen – das Interesse muss nur da sein. Wahres Interesse, die Perspektiven von trans Menschen mit einzubeziehen, auch wenn das zusätzliche Arbeit bedeutet.
Und selbst, wenn man als Organisation all die Arbeit macht, ist es wichtig, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass es trotzdem nicht genug sein kann. Kein Ort, an dem Menschen miteinander kommunizieren, ist je perfekt, egal wie viel Anti-Diskriminierungs-Wissen in ihm steckt. Die Erkenntis der Unmöglichkeit darüber, jemals mit der Arbeit gegen Diskriminierung fertig sein zu können, sollte jedoch nicht davon abhalten, es zu versuchen. Solange ein Raum größtenteils aus nicht queeren Menschen besteht – und das sind die meisten Räume – wird es für mich eben immer einen Punkt geben, an dem ich mich wieder irgendwohin zurückziehen muss, wo ich von meiner Community umgeben bin. Ich vermute, das geht vielen queeren Menschen so.
Genau deswegen braucht es auch eine Vielzahl von queeren Räumen, welche die Bedürfnisse aus allen Ecken der Community erfüllen: sowohl offene, fehlerfreundliche Orte, in denen Menschen mit verschiedenen Erfahrungsschätzen miteinander in Diskurs treten können, als auch geschlossene safe spaces als Entspannungs- oder Unterstützungsangebot und Antwort auf diskriminierende Erfahrungen. Vielerorts bestehen bereits hervorragende Strukturen – queere Menschen haben sich vernetzt, ihre eigenen Räume geschaffen. Abseits von großen Städten stoßen derartige Initiativen jedoch oft auf Unverständnis von öffentlicher Seite, auf einen Mangel an geeigneten
Räumlichkeiten oder an finanzieller Förderung. Zum Glück schafft das Internet inzwischen Abhilfe, auch wenn Online-Communities nicht immer ein Ersatz für konkrete Hilfe vor Ort sein können.
In der ebenfalls eher provinziell veranlagten Gegend, in der ich mich gerade herumtreibe, hat sich vor ein paar Monaten ein Transmännlichkeiten-Stammtisch zusammengefunden. Zeitgleich hat eine Gruppe begonnen, zweimal pro Monat ein queeres Treffen im örtlichen linken Zentrum zu organisieren. All die Bücher von trans Autor*innen, die ich gelesen habe, die Twitteraccounts, denen ich folge, die Online-Communities – all diese Ressourcen haben mir geholfen, doch sie kommen nicht an die heilende Wirkung heran, welche diese beiden regelmäßigen online oder in Präsenz stattfindenden Treffen auf mich hatten. Ich wünsche mir für alle trans Menschen, die sich des Öfteren in cis-dominierten Räumen aufhalten, solche Rückzugsmöglichkeiten.