Ausgebrannt und hobbylos fühlt sich Johanna, als sie, auf der Suche nach einer neuen, ausfüllenden Sportart, Pole Dance für sich entdeckt. Was diesen Sport für sie so besonders macht und warum das Tanzen an Stangen mit wenig Kleidung nicht umfeministisch ist, erzählt Johanna in ihrem neuen Text.
Liquid Chalk, Reiniger für die Chromstange, Handtuch, kurze Hose, Top. Equipment für das Pole Dance Training am Wochenende. Bei meiner ersten Probestunde war mir das Unwohlsein ins Gesicht geschrieben. Ganz schön knappe Höschen und bauchfreie Oberteile. Aber das stand auch bereits auf der Website, hätte ich wissen müssen. Kurz überlege ich, zu gehen. Alle 18 Jahre alt und älter. Dann ich, Schülerin, ziemlich schüchtern, mit dem Ziel, eine neue Erfahrung im Bereich der Sportarten zu machen und wieder mit meinem Körper, meinem Sein, in Einklang zu kommen.
Ich habe viel ausprobiert. Ballett, Fußball, Badminton, Tischtennis, Schwimmen und zuletzt rhythmische Sportgymnastik. Musik war immer Teil meines Lebens, aber als mir die Sportgymnastik zu viel wurde – ausgeführt als Leistungssport mit gesundheitlichen Folgen – musste ich aufhören. Ausgebrannt und hobbylos.
Den Rhythmus wollte ich nicht verlieren. Nach Recherche also Pole Dance als kleines Experiment für mich entdeckt und dann stand ich da. Und habe es nach dem ersten Probetraining so sehr geliebt. Denn es ist alles, was ich gern tue: Zum Beat tanzen, Kraft aufbauen und den Trainingsfortschritt spüren (blaue Flecken und Schürfwunden sind ein überwältigendes Gefühl, wenn sie bedeuten, dass man Fortschritte macht). Auch die Eleganz und Perfektion der Elemente, der Drehungen, Figuren und der Zusammenhalt in der Gruppe. Ich habe die Erfahrungen gemacht, dass die Studios einem sehr viel Sicherheit geben. Vor Ort trifft man Menschen mit ähnlichen Interessen, alle noch etwas unsicher mit dem Spiegel vor sich, bei dem man sich während jeder Bewegung sieht. Unrasierte Achseln, offen Tampons auf der Toilette in allen bisherigen Studios, in denen ich war.
Eine Möglichkeit, über seinen Schatten zu springen, denn die leichte Kleidung dient nicht dem optischen Reiz, sondern vor allem dem Halt an der Stange. Wobei die Outfits wirklich unglaublich toll aussehen und alles an Ort und Stelle halten. Mit Verzierungen. Hübsch und praktisch.
Aber ich musste auch lernen, vorsichtig zu sein. Die Gefahr, sich für sein Hobby zu schämen, ist enorm, denn der Sport ist leider immer noch nicht als solcher bekannt. Zu Beginn meiner Trainingsphase habe ich im Studio auch Druck gespürt, mir für die Choreografien High Heels kaufen zu müssen. Für den Anfang und mein Alter wäre das zu viel gewesen. Ich hätte sie wirklich gern getragen, aber da ich aus zeitlichen Gründen am Abend zum Training gehe, habe ich doch zu viel Respekt vor wiederholten anzüglichen Blicken in der Bahn, die ich schon erleben musste. Es kommt, wie bei allem, darauf an, wen man um sich hat.
Der Sport ist meines Erachtens nicht antifeministisch. Und, bitte, warum wird darüber überhaupt diskutiert? Ich, als Frau* mache, worauf ich Bock habe. Der Sport ist genau so wenig sexistisch, wie die Frage ,,Woher kommst du?‘‘ per se rassistisch sein muss. Aber sie wird doch in einem Land mit rassistischer Historie gestellt, was die Problematik anheizt.
Ich habe das bedrückende Gefühl, dass unsere Gesellschaft stetig Antworten verlangt, die Eventualitäten ausschließen. Ein eindeutiges Ja oder Nein muss es sein, mit allem anderen kommen wir nicht mehr klar. Dabei geht es doch um genau das: Um Feingefühl, ein aufmerksames Beobachten und Handeln. Um das Denken auch in und für Ausnahmesituationen.
Gerade wenn man Pole Dance jung beitritt, ist das Umfeld doch vergleichsweise älter, alles neu, aber man wächst daran, weil man sich gemeinsam unterstützt und gemeinsam die Erfahrung teilt, dass man den Sport noch verteidigen muss. Aber wenn man das weiß, Kontakte knüpft und auf sein Gefühl hört, kann es der schönste Sport für einen selbst sein. Also falls du noch zweifelst, trau dich.
Aber lasst mich ehrlich sein, die fehlende Diversität in Tanzsportarten stimmt mich traurig. Ich kenne Jungen und Männer, die mal getanzt haben, aber aufgehört haben. Was viele nicht wissen ist, dass Schriften über die Anfänge des Pole Dance bis ins Jahr 1135 zurückreichen, als Männer*(!) in Asien an Pfählen akrobatische Übungen ausführten. Es galt damals als indische Sportart mit dem Namen ,,Mallakhamb‘‘ und war sehr populär.
Ja, Pole Dance hat mich stärker gemacht. In Gedanken an die Kraft, die ich entwickle, wenn ich mich um die Stange wirble, wie meine Haare sich eindrehen, meine Hände schwitzen, ich alle Körperteile durchstrecke, diese Körperspannung ist unbeschreiblich. Ich weiß meinen Körper einzusetzen, in Kombination aus Eleganz und Koordination. Ich muss der Schwerkraft in einem nie gekannten Ausmaß trotzen. Als olympische Sportart wäre Pole Dance auch mal dran, wird Zeit, nur so am Rande.
Meine Hände sehen seit dem Sport aus wie beim Bouldern oder Klettern. Zu Beginn bedeckten Schwielen die Handinnenflächen. Hornhautbildung und blutige Stellen. Dafür könnte ich jetzt, hätte ich Lust dazu, an Laternen hochklettern und die Aussicht genießen. Vielleicht irgendwann eine Human Flag am Klettergerüst machen. Oder einfach die Zeit, die ich mit meinem Hobby habe, aufnehmen, nutzen und mich darüber freuen. Und auf die Meinung anderer darüber scheißen.
Und das solltet ihr auch, was immer es ist.