Zurück in die Höhle (eine Kurztopographie)

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Denken wir an Hetreo-cis-Beziehungen und daran, wie ein solches Paar seine Wohnung einrichtet, entscheidet stereotyp die Frau über Möbel und Dekoration. Als Reaktion darauf entstand in den letzten Jahren das Konzept der Mancaves, einem Rückzugsraum für Männer, in dem sie über Interior, Nutzung und Zutritt entscheiden. Anton hat sich intensiver mit diesem Phänomen beschäftigt und beschreibt, was Mancaves mit Macht, Feminismus und Gleichberechtigung zu tun haben.

Seit bereits einigen Jahren geistert durch die diskursiven Welten des Internets einschließlich ihrer Wechselwirkungen mit unserer Wahrnehmung der „realen“ Gesellschaft das Konzept der sogenannten Mancaves, welches Räume, zumeist Zimmer einer Wohnung oder eines Hauses beschreibt, deren Aufbau, Ästhetik und Zweckausstattung ganz auf die Bedürfnisse meist heterosexueller Männer ausgerichtet sind. Im Regelfall ist die Mancave zudem zugangsbeschränkt, im heteronormativen Familien- und Partnerschaftsverständnis ihrer Besitzer, dem sie offensichtlich entspringt, bildet sie einen Gegenort zu den Anforderungen an den Mann als Vater und Ehepartner und erlaubt daher keinen oder nur sehr begrenzten Zutritt für Frau und Kind, schließt aber vor allen Dingen und in jedem Fall deren Mitbestimmung über die Raumgestaltung aus. In der Mancave macht der Mann die Regeln. Wo wird was platziert, für welche Aktivitäten wird ausgestattet, was wird gegessen, was getrunken. Dem liegt eine Geste inne, welche eine klare Aussage transportiert. Der „Mann“ als solcher ist in seinem Habitus und in seiner Gestaltungsfreiheit und Deutungshoheit so weit aus der öffentlichen und sogar privaten, familiären Sphäre zurückgedrängt, dass er sich Refugien schaffen muss, die es ihm erlauben, seinen Bedürfnissen nachzugehen und gleichzeitig vor der Intervention, aber auch den wertenden Blicken der nicht-männlichen Bevölkerung geschützt zu sein.

Das Konzept der Mancaves ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Zum einen verdeutlicht es die Empfindsamkeit vieler Männer bezüglich ihrer Gefühle von Machtverlust, welche in einem ja tatsächlichen und auch beträchtlichen Weniger an gesellschaftlicher Macht und Autorität wurzeln, aber auch gleichzeitig jene Erfolge der Emanzipation deutlich größer und bedrohlicher erscheinen lassen, als sie es tatsächlich sind. Noch immer bestimmen heterosexuelle und cisgeschlechtliche Männer zu großen Teilen die Diskurse außerhalb der identitätspolitischen Debatten und vor allem konzentriert sich in ihren Händen der wesentliche Teil politischer und wirtschaftlicher Macht. Ad hoc kann man hier ein systemisches Missverständnis unterstellen. Das Gefühl des Verlustes von Selbst-und Mitbestimmung ist als valide anzuerkennen. Es ist nur in Perspektive zu setzen, dass nicht „die Frau“ oder „Die Emanzipation“ die Gestaltungsfreiheit der meisten Männer einschränkt, sondern ein Verlust an gestaltbarer Freizeit, demokratischer Partizipation und wirtschaftlicher Aufstiegschancen, grade in den USA, wo das Konzept der Mancaves (darauf weist ja auch schon der englische Name) in der Form wie unsere Diskurse es übernommen haben, seine Wurzeln hat. Leider werden die gesellschafts- und identitätspolitischen Positionen dort wie auch bei uns von konservativer und reaktionärer Seite mit diesen ökonomischen und politischen Deliberalisierungen assoziiert, was einerseits auf die hetzerische Rhetorik rechter und libertärer Demagogen zurückzuführen ist, welche die Unsicherheiten der Unter- und Mittelschicht als Vehikel für ihre Ideologien (recht erfolgreich) zu instrumentalisieren versuchen, anderseits aber auch im mitunter stark ins neoliberale tendierenden Liberalfeminismus begründet liegt, welcher nicht vielmehr zu leisten imstande ist, als eine ohnehin
bereits privilegierte Klasse (oft weißer) Frauen vor einigen Gefahren zu schützen und ihnen die letzten wirtschaftlichen Ketten zu sprengen, aber für den Rest der Bevölkerung allenfalls das Gefühl der Emanzipation erzeugt, indem es zwar Repräsentation, aber keine Befreiung schafft. Diese scheinbare Verschwörung des Feminismus mit den systemischen Entmündigungstendenzen schafft jene Gefühle der Delegitimation und Machtlosigkeit, welche offenbar stark genug sind, den Mann buchstäblich zurück in die Höhle zu treiben.

Der zweite interessante Aspekt betrifft nun die Ausgestaltung der Mancave, ihre Ornamentik, wenn man so will. Denn so sehr wahrscheinlich die meisten Männer, welche sich eine solche Rückzugshöhle zulegen, damit einhergehend der Überzeugung sein werden, es handele sich um so etwas wie eine natürliche und intuitive Ästhetik innerhalb derer Männer eben so sein können „wie sie sind“, muss man selbstverständlich genauer hinschauen. Zufällig ist nichts daran und kann es auch garnicht sein. Im Gegenteil, die Objekte und Ornamente, die Aktivitäten und Regeln der Mancave sind nach sehr feinen Regeln gegliedert und miteinander ins Verhältnis gesetzt, welche so tief in die Intuition ihrer Gestalter gewandert sind, dass sie das Gefühl bekommen, es läge ihnen in der Natur. Erstens muss festgehalten werden, dass die Mancave, wenn man über sie redet, grade so wie ich, wie ich grade beim Formulieren über sie nachdenke, uns als ein realer Ort vor Augen tritt, ein Zimmer, in das man gehen, sich aufhalten und das man verlassen kann. Doch dies ist schon eine Interpretation des Konzeptes und damit ein spannendes Missverständnis. Denn die Mancave ist zuallererst ein gedachter Raum, man könnte sagen, eine Utopie. In der Fantasievorstellung ordnen sich in der Mancave die Dinge, die Menschen und Tätigkeiten zu einem Orchester wohltemperierter Männlichkeit, wobei die Temperatur beliebig austariert werden kann. Der eine wünscht sich den schlichten, modernen Stil eines Businessapartments, der andere Romantik aus rauen Naturwerkstoffen, ein dritter den hemmungslosen Materialismus, das ästhetische Thema kann sich dabei auf alles fokussieren, was dem Besitzer als potenzieller Hort maskuliner Dominanz ins Bewusstsein kommt und was ihm als durch das Vorrücken vermeintlich femininer Zugriffe bedroht erscheint. Gaming, Sport, Sex, Handwerk sind Beispiele, die einem sofort in den Sinn kommen, aber das Unbehagen des Machtverlustes kann sich auf so ziemlich jedes Hobby, jeden Aspekt des öffentlichen Lebens, jeden körperlichen Genuss beziehen. Dies unterscheidet die Mancave auch von dem für einen Vergleich naheliegenden Konzept des Hobbyraumes, welcher ganz auf eine Aktivität ausgerichtet und in unterschiedlichem Maße für sie optimiert ist. Der Hobbyraum ist ein genuin praktisches Konzept, die Mancave ist hingegen ein sinnliches, welches Gefühle und Assoziationen einhegt und wie ein Zerrspiegel die reale Welt und ihre durch verschiedene Kräfte gewachsenen Verhältnisse zu einem Artefakt derealisiert. Faszinierenderweise, so wird in einem Zeit-Online Artikel von 2020 der Soziologe Tristan Bridges zitiert, scheitert die Mancave nur allzu häufig an ihrer tatsächlichen Entstehung. Oft sind einfach Kellerräume, Garagen oder Kammern als potenzielle Mancave auserkoren, bleiben aber stecken im Stadium der virtuellen Ausgestaltung, realisiert nur durch rudimentäre Andeutungen wie einer Bar aus zwei Kunststoffässern und einem Holzbrett. Tatsächlich realisierte Mancaves, wie man sie in Blogs, Videos oder Männermagazinen bewundern kann, haben dann stets etwas merkwürdig Irreales und nicht-örtliches an sich, sind oft völlig menschenleer, unangenehm aufgeräumt und sauber. Sie vermitteln wie alle Nicht-Orte das Gefühl, ein Schatten der Realität zu sein, ein gestaltetes Objekt, dem der Hauch des Lebens fehlt, wie ein blutleerer Körper oder ein Wald ohne Vogelgesang. Sie entlarven in ihrem Versuch, sie zu rekonstituieren, unfreiwillig die Leere, welche hinter der aufgeblasenen Hülle der Maskulinität klafft und verweisen auf eine der größten unbewussten Triebfedern des modernen Antifeminismus: der existenziellen Angst vor dem Nichts.

 

Ich bin Anton, studiere Szenisches Schreiben an der UdK in Berlin und habe in meinen früheren Twenties einen Bachelor in Philosophie gemacht. Hier versuche ich, über das Teilen von Erfahrungen und spekulatives Erzählen, an so etwas wie einer positiven Vision von Maskulinität zu forschen.