Hört auf zu schweigen

Hört auf zu schweigen
Ehimetalor Akhere Unuabona

Herzlich willkommen auf meinTestgelände, Ulascan. In seinem ersten Text geht es um Belästigung in Form von hupen, rufen oder pfeifen, die er aus der Täterperspektive in einer Gruppe Jungs erlebt hat. Er beschreibt, was dies in ihm ausgelöst hat und wie er nun innerhalb der Gruppe dagegen vorgehen würde.

Ich möchte ehrlich sein. In meinem Freundeskreis kam es früher öfter dazu, dass man Frauen hinterhergerufen hat. Was hätte daran denn schlimm sein können?
Ist es denn nicht eigentlich ein Kompliment?
Auch ich hatte persönlich kein Problem damit, es war ja „normal“.
So dachte ich über das „Cat Calling“ in meinen Jugendjahren.
Als ich mich intensiver mit den Themen toxische Männlichkeit, Sexismus und Feminismus auseinandergesetzt habe, wurde mir bewusst, wie falsch ich diese Situationen eingeschätzt habe.
Trotzdem habe ich zunächst geschwiegen. Obwohl ich wusste, dass meine Freunde falsch handeln, habe ich mich nicht getraut, dazwischen zu gehen.
Diese Erfahrung teile ich bestimmt mit vielen anderen Männern. Ich will euch jetzt aber zeigen, warum es an der Zeit ist, dazwischen zu gehen. „Cat Calling“- Dieser fast schon harmlose Begriff bezeichnet nichts geringeres als die verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum.
Hinterherrufen, Hinterherpfeifen, aus dem Auto heraus an hupen…
Ihr wisst, was ich meine. Über die Angst, die Gedanken und das Unwohlsein in diesen Situationen möchte ich nicht schreiben. Dazu gibt es im Netz und in den Sozialen Medien genug Texte und Artikel, welche von betroffenen Personen verfasst sind.

Mir geht es um die Täter in dieser Situation.

Als aller erstes möchte ich die Frage klären, warum ich mich nicht getraut habe, dazwischen zu gehen.
Freundeskreise sind für viele Menschen ein sicherer Ort. Ich kenne die Menschen, die ich zu meinen engen Freunden zähle, besser als alle anderen und sie mich auch.
Daher wurde es umso schwieriger für mich, die Tat von den Tätern, also meinen engen Freunden, zu unterscheiden.
„Der meint das doch nicht negativ“ „Ich kenne ihn doch, er ist der liebste Mensch dieser Welt“ „Er hat ja keine bösen Absichten, es ist ein ehrliches Kompliment“, „Das war eine einmalige Sache, bestimmt macht er das nicht wieder“.
Das sind Beispiele von Gedanken, welche ich in diesen Situationen hatte.
Doch ich habe mich immer wieder selbst belogen und so getan, als ob meine Freunde fehlerfrei seien.
Doch kein Mensch ist fehlerfrei.
Die Aufgaben eines Freundes sind es auf die Fehler des jeweils anderen hinzuweisen, sie aufzuklären und bei ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Eine schlechte Tat von einem guten Menschen bleibt eine schlechte Tat. Punkt. Doch ich wollte kein Spielverderber sein. Ich wollte nicht als „Uncool“ abgestempelt werden. Ich wollte nicht die Laune der anderen runterziehen, kein Besserwisser sein.
Heute weiß ich, dass es quatsch war, doch das waren damals ernsthaft meine Gründe, weswegen ich lieber geschwiegen habe, als dazwischen zu gehen.

Doch merkt euch eins: Keine Diskriminierung auf dieser Erde wird verschwinden, wenn man über sie schweigt.
Also möchte ich euch dazu ermutigen, die direkte Konfrontation zu suchen.
Wie habe ich das gemacht?

Ich habe recherchiert, Artikel und Bücher gelesen, mit Freundinnen geredet und Videos zum Thema geguckt. Ihr müsst kein Experte werden, es reicht, wenn ihr versteht, dass es eine diskriminierende und somit falsche Sache ist. Dann habe ich das Thema in meinem Freundeskreis angesprochen und sie in Gespräche verwickelt. Nicht als eine Reaktion auf ein hinterherrufen, sondern vorher in einer entspannten Runde, in der wir wieder mal über Gott und die Welt geredet haben.
Ich musste keine wissenschaftliche Debatte führen, es ging mir nur darum, dass sie verstehen, dass „Cat Calling“ nichts anderes als sexuelle Belästigung ist. Das hat dazu geführt, dass beim nächsten Ausgehen in die Innenstadt ein Bewusstsein geschaffen worden war, welches in jedem einzelnen von uns schlummerte.
Doch damit war die Sache nicht aus der Welt geschaffen. Jetzt war es aber viel leichter in die direkte Konfrontation zu gehen in der direkten Folge auf ein Hinterherrufen, da der Person bewusst war, dass sie etwas schlechtes macht.
Die Aufklärungsarbeit hat also nicht nur meinen Freunden geholfen, sondern auch mir, denn es wurde deutlich leichter über die Situation zu reden. Meine größte Angst, „Uncool“ zu wirken, war verflogen, denn die Person, die mit dem vollen Bewusstsein in dieser Situation die Tat begeht, die war Uncool. Ganz einfach.

Ab dann war ich auch nicht mehr allein, auch untereinander wurde auf die Thematik aufmerksam gemacht und Diskussionen wurden geführt, so dass heute keiner meiner Freunde, wie auch ich, andere Frauen verbal belästigt.

Ich bin mir sicher, dass viele Männer da draußen ganz genau verstehen, welche Situationen gemeint sind. Ich bin mir sicher, ihr seid vertraut mit dem beklemmenden Gefühl, dass etwas schlimmes passiert und man nicht eingreift, obwohl man könnte.
Dieser Text ist für euch. Ihr seht, dass es möglich ist die eigenen Freunde aufzuklären. Ihr allein habt die Möglichkeit, euren gesamten Freundeskreis ins Positive zu bewegen.
Macht es. Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern jetzt. Falls bestimmte „Freunde“ von euch aber aktiv dagegen sind sich zu ändern, falls sie aufgeklärt wurden und sich trotzdem dazu entscheiden, Frauen weiterhin zu belästigen, dann überdenkt eure Freundschaft. Einen schlechten Freund zu verlieren ist kein Verlust.
Es ist eine Bereicherung.

Zum Schluss möchte ich sagen, dass ihr dadurch nicht plötzlich zu fehlerfreien Menschen werdet. „Cat Calling“ ist eine von vielen Arten von sexueller Belästigung. Sexismus verschwindet nicht einfach, weil ihr ein Stückchen aufgeklärter seid. Es ist ein langer Weg zu einer besseren Gesellschaft, und jede persönliche Auseinandersetzung mit eigenen sexistischen und auch zum Beispiel rassistischen Gedanken und Taten ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Mein Name ist Ulascan und ich bin 22 Jahre alt. Ich bin geboren und aufgewachsen in Köln, wo ich zurzeit „Sprachen und Kulturen der islamischen Welt“ studiere. Daneben bin ich politischer Aktivist im Bereich Antirassismus und Antikolonialismus. Meine Texte und Gedichte sind einfach geschrieben, kritisch, persönlich und ehrlich, denn ich möchte die Herzen der Menschen erreichen, die im öffentlichen Diskurs oftmals übersehen werden.