Für viele Menschen ist der Urlaub ihr Highlight im Jahr. Einige Tage all-inclusive-Entspannung und den Alltagsstress vergessen. Was dabei oft nicht bedacht wird, sind die vielen Menschen, die für unsere Urlaubsentspannung arbeiten. Barkeeper*innen, Zimmerservice, Küchenpersonal u.v.m. Oft sind diese Menschen minderjährig und verlieren durch ihre Arbeit Zugang zu Bildung und das Recht Kind zu sein. Mit diesem Thema hat sich Lilith in ihrem neuen Text beschäftigt.
Der junge Kellner, der mir gerade das Mineralwasser gebracht hat, lächelt auch der Person am anderen Ende des Buffetraums zu, der er einen scheinbar sehr heißen Teller serviert. Die Person, die ich auf vier Mal das Alter des Kellners schätze, lacht so laut auf, dass selbst ich es noch vernehme. Ich versuche, mich auf mein Mineralwasser zu konzentrieren. Doch dann fällt mein Blick wieder hinüber an den anderen Tisch. Der Kellner bringt ein Getränk. Und noch eins. Und einen Nachtisch. Das Lachen wird bei jedem Mal lauter, die Gesten, mit der die Person den Kellner begrüßt, ausschweifender. Ich verliere den Überblick, was an dem jungen Kellner bereits alles betouched wurde. Mir wird allein bei dem Anblick dieses Verhaltens schlecht und ich bleibe bei meinem Mineralwasser. Der Appetit ist mir vergangen. „Möchten Sie noch etwas bestellen?“ Als der Kellner zu mir kommt, wage ich nicht, ihn danach zu fragen, wie es ihm mit dem Verhalten des Gasts am anderen Ende des Raumes geht. Nur eines bekomme ich über die Lippen. „Darf ich fragen, wie alt sie sind? Sie wirken sehr jung?“
13-19 Mio. das ist die Zahl Minderjähriger, die laut Internationaler Arbeitsorganisation weltweit im Jahr 2011 im Tourismussektor beschäftigt waren. Und: darin sind die Zahlen all derjenigen, die im inoffiziellen Sektor arbeiten, noch überhaupt nicht mit eingerechnet. 2 Mio. von Ihnen werden sexuell ausgebeutet. Was für die einen das Highlight des Jahres ist, auf das hingespart und hingefiebert wird, ist für andere eine traurige Lebensrealität. Hast du jemals das Alter der Barkraft geschätzt, die dich an der Cocktailbar bedient? Jemals den/die Reinigungsverantwortliche/n gesehen, der/die täglich dein Chaos im Zimmer auf Vordermann bringt? Bei einigen von ihnen handelt es sich um Personen, denen Bildung verwehrt wird, die sie gegen harte Arbeit eintauschen müssen. Die Forschungsinstitution „Equation“ beschreibt eindrücklich, wie Kinderarbeit im Tourismussektor die physische, psychische sowie soziale Entwicklung der Betroffenen behindert. Warum es trotzdem weltweit zum Einsatz von Kindern kommt? Zum einen werden Kinder mit niedrigeren Löhnen bezahlt – attraktiv für die Arbeitgebenden der Tourismusindustrie. Darüber hinaus stammen viele betroffene Minderjährige aus Familien mit niedrigem Einkommen und sind auf die Arbeitsstelle angewiesen.
Nun mögen einige denken, das Bedienen am Esstisch sei um einiges angenehmer als das Ernten von Kakaobohnen oder Baumwolle in strahlender Sonne. Tatsächlich sind jedoch die Arbeitsbedingungen an vielen Touristenorten weit mehr als beunruhigend. Durch die fluktuierenden Besucherzahlen werden meist nur Saisonverträge ausgestellt, sodass es keinerlei Planungssicherheit gibt. Darüber hinaus erfolgt in der Hochsaison dann die akkumulierte Anstrengung, um allen Ankommenden gerecht zu werden. Weshalb die Arbeit im Tourismussektor besonders gefährlich für Kinder ist, liegt neben der kommerziellen Ausbeutung, von der weit die Mehrheit betroffen ist, besonders an hinzukommenden Fällen der sexuellen Ausbeutung. Im Urlaub fühlen sich Reisende unentdeckt. Sie trauen sich eher, das Angebot von Prostituierten anzunehmen. Und selbst wenn sich Kinderarbeitenden nicht in erster Linie als Prostituierte ausgeben: in jeder Art des Kontakts zu Reisenden besteht Gefahr. Es sind stets Fremde, die bedient werden. Es muss stets bester Service geboten werden, denn der Gast ist König/in und ansonsten droht eventuell die Entlassung. Der/die Minderjährige agiert entsprechend nie auf Augenhöhe mit dem Gast, sondern ist immer unterwürfig. Ein gefährliches Machtverhältnis, das daraus automatisch erwächst. Das Gegenüber bezahlt schließlich für einen unvergesslichen Urlaub, also lässt man sich herumkommandieren und gehorcht.
Durch sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismussektor ergeben sich viele weitere negative Auswirkungen und insbesondere Gefahren für die Gesundheit. Ein höheres HIV-Infektionsrisiko ist nur eine dieser.
Einige Regierungen agieren. So erließ beispielsweise Indien im Oktober 2006 ein Verbot gegen den Einsatz von Kinderarbeit in gastronomischen Betrieben angefangen bei Restaurants über Cafés bin hin zu Hotels. Auch hiergegen jedoch wenden sich einige Organisationen. Die Kinderarbeit würde so lediglich in den informellen Sektor rutschen und den offiziellen Regulationsmechanismen entzogen werden. Einige Ansätze liegen im Aufbau von Rehabilitationszentren, in denen ehemalige Kinderarbeiter Unterstützung erhalten können, um sich dagegen zu wappnen, in diese Jobs zurückzufallen. Besonders effektiv sind stets tiefgreifende Maßnahmen: Nicht einfach eine Altersbeschränkung einführen, sondern die Wurzeln der Kinderarbeit analysieren und diese bearbeiten. Weitere Beispiele hierfür sind kostenlose Schulen, im besten Fall mit einer warmen Mahlzeit, sowie die Unterstützung von Familien mit niedrigem Einkommen, sodass sie nicht auf ihre Kinder als Einnahmequelle angewiesen sind.
Nicht nur in Indien ist Kinderarbeit verboten und doch eine nicht zu leugnende Realität. In vielen Ländern besonders in Asien sowie Afrika tritt dieses Phänomen häufig auf. Kinder, die im Tourismussektor angestellt sind, werden also weltweit nicht nur ihrer Bildung beraubt und können das ihnen zustehenden Recht, einfach nur Kind zu sein und zu spielen, nicht ausleben, sondern sind auch direkten Gefahren für ihr psychisches sowie physisches Wohlbefinden ausgesetzt.
Was noch dagegen helfen kann, neben den genannten staatlichen Aktivitäten? Maßnahmen von verschiedensten Stakeholdern. Darunter zum einen Unternehmen im Tourismussektor selbst. Egal ob Hotelbesitzende/r oder Anbietende/r von Touren: durch die Stärkung von Arbeitnehmerrechten und das Angebot von Trainings sowie Weiterbildungsmöglichkeiten für Angestellte können sich die Mitarbeitenden gegenseitig unterstützen und jungen Servicekräften Hilfe leisten. Auch du als einzelne/r Reisende/r kannst beitragen. Achte während der Buchung darauf, dass die Unterkünfte nachhaltig sind. Um Kinderarbeit zu vermeiden kannst du besonders darauf Wert legen, Informationen im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit zu finden. Und nicht nur Unterkünfte sondern auch Aktivitäten können versteckte Kinderarbeit beinhalten. Derartige Nachweise gibt es beispielsweise in Angeboten des „Volontourism“, ihm Rahmen derer Reisende ihren Urlaub beispielsweise in Kinderheimen verbringen, um formal angepriesen, zu „helfen“. In der Realität handelt es sich teilweise um Kinder, die von ihren Familien entrissen wurden und dafür bezahlt werden, den oder die „Weise zu spielen“.
Selbst wenn du gebucht hast und vor Ort bist, kannst du Weiteres unternehmen: Hinterfrage Situationen, leiste akute Hilfe, wenn dir auffällt, dass jemand belästigt oder respektlos behandelt wird und kontaktiere im Zweifel Hilfsorganisationen wie z.B. TourismWatch (https://www.tourism-watch.de/de/tag/kinderarbeit), bei denen du beobachtete Auffälligkeiten und Ungerechtigkeiten melden kannst. Bei diesen Organisationen kannst du dich zudem über deinen eigenen Urlaub hinaus engagieren und gegen Kinderarbeit im Tourismussektor einsetzen.
Auch wenn meine Frage ernst gemeint war – ich hätte den Kellner auf gerade einmal 15 geschätzt – war es vielleicht nicht der richtige Ansatz. Er zuckt leicht zusammen, räuspert sich und antwortet „18“. Dann beeilt er sich, an einen anderen Tisch zu kommen. Sein Verhalten kann meiner Interpretation nach auf zwei Hintergünde zurückgeführt werden. Entweder, er ist wirklich minderjährig und hat von seinen Arbeitgebern eingetrichtert bekommen, davon bloß niemandem Wind bekommen zu lassen, oder aber ihm wird diese Frage gerade von den Personen gestellt, die es als besonders attraktiv empfinden, einen kleinen Jungen als Bedienung bei sich zu. Ob der Gast, der am anderen Ende des Saals gerade den letzten Schluck aus seinem Weinglas nimmt, die gleiche Frage gestellt hat? Nach einer letzten, fast einseitig intim wirkenden Unterredung mit dem jungen Kellner, steht er auf. Ich zögere einen Moment. Das Einzige was ich jetzt noch tun kann, außer mich am nächsten Morgen an der Hotellobby über den sozialen Nachhaltigkeitsstandard der Unterkunft und dementsprechenden Arbeitnehmerrechten zu informieren und eventuell entsprechende NGOs oder Regierungsentitäten einzusetzen, ist, den Gast selbst auf sein Verhalten anzusprechen. Ich kippe die letzten 100 ml meines Sprudels den Hals hinunter und gehe ihm schnellen Schrittes nach.