Kein Text über Malte C.

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Deutschland zeigte sich nach dem Tod von Malte C. auf dem CSD in Münster erschüttert, wieder einmal. Doch wie lange hält die Betroffenheit an? Und wird sie dazu führen, dass trans* Menschen zukünftig gleichwertig anerkannt und in Ruhe gelassen werden? Mare hat da so ihre Zweifel

Das ist kein Text über Malte C. Viel wurde schon über ihn geschrieben, und er verdient jedes einzelne wohlwollende Wort. Ich wollte auch über ihn schreiben, aber mit jedem Entwurf hatte ich das Gefühl, ihm und der Situation nicht gerecht zu werden. Ich konnte diesen Text hier erst schreiben, nachdem ich mich gefragt habe, wieso, und gemerkt habe, dass meine Gefühle das sind, was der Situation nicht gerecht wird. Dies ist also kein Text über Malte C. Es ist ein Text über mich.

Ich habe schon einmal hier über Trauer geschrieben. Das war 2016, nachdem ein Mann 49 Menschen in einem queeren Nachtclub während der Latino Night erschossen hatte. Dieses queerphobe und rassistische Hassverbrechen ist inzwischen mehr als sechs Jahre her.

Damals war ich aufrichtig erschüttert, in Trauer um Menschen, die ich nicht kannte. Heute? Heute sage ich „das erschüttert mich“. Ich sage „das ist ein tiefer Schock“ und „ich trauere“, wenn es um Malte geht. Ich sage all die Phrasen, die man so sagt, aber eigentlich meine ich sie nicht. Ich meine es zwar, wenn ich sage „das hätte nie passieren dürfen“ und „wir müssen unsere Gesellschaft ändern, damit sowas nie wieder geschieht“, aber das, was mir persönlich am meisten Angst macht, ist, dass ich dabei nichts fühle. Keine Erschütterung, keine Trauer, keine Wut.

Was ist geschehen, seitdem mein 20-Jähriges Ich bei einer Orlando-Mahnwache aufrichtig Tränen geweint hat, sich an eine Regenbogenflagge klammernd als könnte dieses in China genähte Stück Stoff mir und anderen queeren Menschen Schutz und Trost versprechen? Zwei Dinge: Ich habe mich verändert, und die Gesellschaft hat sich verändert. In vieler Hinsicht beides zum Positiven, viele Schritte in die richtige Richtung wurden gemacht, aber nicht nur.

Seit 2016 war ich viel in der queeren Szene aktiv, ich habe sie immer als eine Art zuhause gesehen. Eine Sache, die damit einhergeht, ist aber, dass sich über Jahre die Namen und Gesichter derer häufen, die nicht mehr hier sind. Die Gesichter und Namen derer, die fast nicht mehr hier gewesen wären. Derer, die noch hier sind, aber deren Schmerz und Trauma ein ständiger Begleiter sind. Einige flüchtige Bekannte, andere gute Freunde. Einige Gesichter für immer in das Hirn eingebrannt, andere miteinander verschwimmend.

Meistens fühle ich mich gut. Wir als Gesellschaft machen Fortschritt. Das merkt man, und das muss man feiern. Meine Freund*innen und ich sind in der Community nicht durch unser Leid verbunden, sondern durch unsere Lebensfreude und die Freude daran, so zu sein, wie wir sind.

Und dann gibt es doch immer wieder Momente, die einen erinnern, warum man hier ist. Hier in einer Community gemeinsam. „Hast du von XY gehört? XY ist jetzt im Krankenhaus“ oder „Ich bin vor fünf Jahren hier hin geflohen. Ich vertraue dir an, wieso.“ Über Jahre häufen sich die Geschichten und Tragödien. Sie häufen sich, und egal, wie sehr man sagt, dass man sich auf sich aufpasst und Selbstfürsorge betreibt, sie höhlen einen aus, stumpfen ab.

Nicht nur ich habe mich aber verändert, unsere Gesellschaft auch. Und wenn ich sage, vieles war für unsere Community positiv, dann stimmt das auch. Aber das ist die Sache daran, wenn man über Gesellschaften spricht und versucht sie zu verstehen. Ungleich der Mathematik können zwei gegenteilige Aussagen gleichzeitig wahr sein. Vieles hat sich zum Positiven verändert, vieles aber auch zum Negativen.

Trans* Menschen haben mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit als je zuvor, aber dafür hat auch Transphobie eine größere Bühne als je zuvor, denn das, was vorher implizit gedacht wurde, wird jetzt laut ausgesprochen. Feministinnen, mit denen wir Hand in Hand für unsere Rechte kämpfen sollten, wenden ihre Energie im Kampf gegen trans* Rechte ein. Ein deutscher Mann verklagt seinen Arbeitgeber wegen der Benutzung geschlechtsinklusiver Sprache. Menschen auf Twitter verkünden stolz, dass sie keine Pronomen benutzen. Was sie eigentlich damit meinen: Mann ist Mann, Frau ist Frau. Nichts, was davon abweicht, ist erlaubt. In vielen Ländern erkämpfen sich queere Menschen ihre Rechte, andernorts verlieren sie sie. Manchmal passiert beides gleichzeitig im gleichen Land.

Es ist ermüdend. Ermüdend in einer Gesellschaft zu leben, die offen und laut die Rechte von mir und meinen queeren Geschwistern angreift. Wir sollten wütend sein, Fürsorge und Mitgefühl füreinander spüren. An manchen Tagen fällt es schwer, sich über irgendwas zu empören, sich über irgendwas zu wundern.

Was mache ich aus diesem Text? Das Ende ist unbefriedigend. So wie es oft im Leben ist. So wie es oft für viele von uns ist. Ich habe nach dem CSD Münster viele Leute sagen hören, dass sie schockiert seien, dass sowas in Deutschland geschehen könne. Zu viele, auch aus der queeren Community, sind in rassistische Tiraden gegen den Angreifer übergegangen.

Vielleicht ist das der Abschluss für den Text. Das, was ich hoffe, was mitgenommen wird. Es passiert auch in Deutschland. Es passiert überall. Und wir als Gesellschaft haben noch nie Fortschritte gemacht, in dem wir uns gegenseitig unter den Bus werfen.

 

Ich bin hier, um mir Frust von der Seele zu schreiben und etwas Liebe zu verbreiten.