Wir freuen uns, mit Tom einen neuen Autor auf meinTestgelände zu begrüßen. In seinem ersten Text erzählt er, wie sein Umzug nach Leipzig ihn herausforderte, sich mit vielfältigsten Geschlechterfragen zu beschäftigen und aus voller Überzeugung ein Ally zu werden.
Ich bin ziemlich behütet in einer Kleinstadt in Baden-Württemberg aufgewachsen. Ich mache gerne Witze darüber, wie heil meine kleine Welt war. Einfamilienhäuser, frisch geteerte Straßen, perfekt zum Longboard fahren, hübsche Parks und alle Probleme waren irgendwie kleiner als sonst wo. Den meisten Menschen dort geht es ziemlich gut, ich bin mir aber nicht sicher, ob ihnen das klar ist.
Als meine Eltern noch zusammen waren, waren die Rollen ziemlich geschlechterspezifisch aufgeteilt: Mom zu Hause, Dad viel am arbeiten. Ich hatte trotzdem das Gefühl, dass die beiden zumindest in Erziehungsfragen relativ gleichberechtigt agiert haben. Als ich 8 war, haben sich die beiden getrennt. Erstmal war das ein Schock aber die beiden haben es geschafft nicht zu kämpfen, sondern aufeinander zu achten und auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren.
Mit 20 habe ich mich dazu entschieden nach Leipzig zu ziehen, vor allem wegen meines Bruders aber natürlich auch wegen der Gastro-Szene und der Raves.
Als ich hier her zog war Winter. Alles war ein bisschen kaputter als zu Hause und die Leute im Osten kamen mir weniger redseelig vor als in der Heimat, dafür wurde über andere Sachen geredet.
Mir war nicht bewusst, in welche politischen Diskurse ich reingezogen werden würde, von denen ich bis dato keinen oder wenig Plan hatte.
Das Geschlechterdiskurse Teil der Identität einer ganzen Stadt sein können hat mich überrascht.
Ich musste erstmal anfangen Akronyme zu googlen. Das fing bei der Suche nach einem WG Zimmer an: „Wir sind eine FLINTA WG“ oder „LGBTIQ friendly“. Zum Glück wusste ich wenigstens was ein „cis-Mann“ ist.
Am Anfang musste ich ziemlich oft nachfragen und mittlerweile weiß ich was Intersektionalität ist.
Ich bin kein politisch aktiver Mensch, ich gehe nicht häufig auf Veranstaltungen, Plena oder auf Demos aber ich bin politisch interessiert.
Zunächst habe ich in dieser Stadt, die ständig um irgendetwas zu kämpfen scheint, nach meinem eigenen Kampf gesucht, nur um festzustellen, dass ich keinen habe.
Es geht mir gut, ich bin ein mittelgroßer, heterosexueller, weißer, ganz gut aussehender, cis-Mann der ein freundschaftliches und familiäres Support-System hat. Ich habe keine Kämpfe auszutragen.
Aber ich habe jede Menge Energie, die ich weitergeben kann. Weitergeben an die, die nicht das Glück haben, nicht kämpfen zu müssen.
Ich kann ein Vokabular lernen, das Menschen respektiert und an meiner Achtsamkeit und meinen Kommunikationsskills arbeiten, um Menschen auf Augenhöhe begegnen zu können. Ich kann zuhören und aktiv nachfragen, wenn ich unsicher bin. Ich hatte oft Angst vor dem Nachfragen. Da ich selbst nicht in der queeren Szene unterwegs bin, will ich natürlich nicht der komische cis-Typ sein, der Leuten die Laune mit seinen Nachfragen verdirbt. Hier kann ich allen, die gerade noch so planlos sind, wie ich es mal war, nur raten, dass sie sich vor dem Nachfragen genau überlegen, ob die Situation dafür gerade angemessen ist.
Was mir viel comfort gegeben hat, war herauszufinden, dass es okay ist, wenn man nicht in allen Bereichen informiert ist aber vor allem tat es gut zu verstehen, dass man nicht bei jedem Thema eine vollendete, ausgefeilte Meinung haben muss.
Man kann sich in politische Kreise begeben, ohne betroffen zu sein. Man muss nicht über alles Bescheid wissen und man muss auch nicht jede Position sofort annehmen aber man kann zuhören und Respekt zeigen, das habe ich von meinen Eltern gelernt. Man kann sich bemühen, einfach kein Arschloch zu sein.