Die Reality-Survivalshow „7 versus Wild“ des Outdoor Youtubers Fritz Meinecke erfreut sich auch in der zweiten Staffel wieder großer Beliebtheit. Anton hat den in der Sendung transportierten Lebensstil mal genauer angeschaut und beschreibt, warum und bei welchen Menschen dieser so anschlussfähig ist.
Panama – Isla de San Jose, September 2022. Ein Mann mit Schirmmütze, dichtem Vollbart und Machete schlägt sich durch den Küstendschungel, untersucht die Umgebung auf nützliche Gegenstände (heißt: angespülten Plastikmüll), sowie Essens- und Trinkwasserquellen. Dabei referiert er über die vielfältigen Gefahren, die in diesen Gefilden lauern, darunter Schlangen und Krokodile. Wir befinden uns in der 2. Staffel der Reality-Survivalshow „7 versus Wild“ des größten deutschen Outdoor-YouTubers Fritz Meinecke, welcher, wie schon in der ersten Staffel, selbst als Kandidat antritt. Das Prinzip ist einfach. Sieben Teilnehmer*innen werden für sieben Tage in der Wildnis ausgesetzt und müssen dort „überleben“, wobei natürlich für echte Notfälle vorgesorgt ist. Durch das Lösen von Aufgaben können zudem Punkte gesammelt werden. Wer durchhält und am Ende die meisten Punkte hat, gewinnt. Durch das Format hatte sich Meineckes Kanal im Jahr 2021 in völlig neue Sphären der Popularität katapultiert. Zum Zeitpunkt da ich an diesem Text arbeite, haben die ersten drei Folgen der 2. Staffel bereits Klickzahlen von jeweils deutlich über 5 Millionen, es ist davon auszugehen, dass die Videos 10 Millionen und mehr Views erreichen werden. Das Format ist also überragend erfolgreich und zeigt damit, dass der Survivalismus offensichtlich eine Anschlussfähigkeit besitzt an den breiten Mainstream der deutschen Medienkonsument*innen. Gleichzeitig irritierte Meinecke in der Vergangenheit (unter anderem) mit Posts wie: „Glaubt mir, ich halte mich so oft extrem zurück, und wenn ich das jedes Mal aussprechen würde, was ich wirklich denke, wär ich vermutlich überall gebannt […] Mir geht diese völlig verweichlichte Gutmenschengesellschaft so auf die Eier, ja nicht anecken, niemandem auf den Schlips treten und für alles rechtfertigen. Triggerwarnungen hier und da. Immer politisch korrekt.“. Ist Meinecke eine Ausnahme und seine Aussage in Bezug auf seine Kanalinhalte insofern „zufällig“? Oder ist der Survivalismus potenzieller Nährboden für rückschrittliche Ideologien?
Den Begriff des Maskulinismus habe ich bereits zuvor in einem Text hier auf meinTestgelände verwendet und meine damit, grob gesagt, die Gesamtheit der im Geschlechterdiskurs als männlich gelesenen Eigenschaften, Lebensbereiche, Ziele, Ästhetiken und Privilegien in Kombination mit deren Festlegung als erstrebenswert, natürlich, gesund, schlicht „gut“ und damit erhaltungs- und verteidigungswürdig. Viele dieser Attribute leiten sich aus der Tradition des Mannes als Kämpfer, Arbeiter und Jäger ab, weswegen auch heute noch beispielsweise der Tod an der Kriegsfront und damit die Aufgabe des Selbst zur Pflichterfüllung als eine der Vervollständigungsformen von Männlichkeit schlechthin dasteht (man beachte den Diskurs in Deutschen Leitmedien zu ukrainischen und russischen Kriegsdienstverweigerern). Der Begriff, den wir mittlerweile für autoritäres und selbst- oder fremdschädigendes Verhalten aufgrund eines maskulinen Habitus verwenden, ist der der „toxischen Maskulinität“. Fritz Meinecke und die ihn umgebende Bubble aus Survivalisten, die nicht selten einen militärischen Hintergrund haben, scheinen das perfekte Beispiel dafür zu sein. Sie setzen sich ohne Not Situationen aus, welche sie in potenzielle (wenn auch sehr eingehegte) Lebensgefahr bringen. Dies verschafft ihnen die Position, sich von zivilisatorischen Selbstverständlichkeiten loszusagen und etwa Tiere zu jagen, um nicht zu verhungern. Der Survivalismus wirkt wie eine kulturelle Ersatzhandlung zum realen Überlebenskampf. Man bringt sich in den Zweikampf mit dem Tod als Manifestation der äußeren Natur und befriedigt damit gleichzeitig das Bedürfnis danach, jenes zu finden, was man für die eigene, innere Natur hält.
Ich kenne das auch von mir selbst. Ich habe zwar keine Tendenz mich übermäßig in Lebensgefahr zu bringen, aber wie oft habe ich mich schon auf langen Radtouren gequält und dabei meiner eigentlichen Überzeugung, mindestens auf billiges Fleisch zu verzichten, zuwidergehandelt, weil ich ja „die Energie brauchte“? Oder beim Campingurlaub eine fast masochistische Freude dabei empfunden, in einem Gewittersturm nachts Gräben auszuheben um das Wasser abzuleiten, das von der Düne hinab aufs Zelt zufloss? Und dies ist ja keineswegs ein bloß männliches Phänomen. Diese Freude am Gefühl das entsteht, wenn die Zivilisation auch nur für einen Augenblick ihren schützenden Zugriff lockert, kenne ich von vielen Freund*innen, unabhängig vom Geschlecht und es wäre ungenau, hier von Ausnahmen zu sprechen. Auch in der 2. Staffel von „7 versus Wild“ nehmen zwei Frauen teil. Es scheint sich vielmehr um ein Bedürfnis zu handeln, der Heteronomie unseres (Selbst-)Bewusstseins in der Gesellschaft und der erdrückenden Last der Widersprüchlichkeiten des Kapitalismus zu entfliehen und zumindest für einen begrenzten, abgesicherten Zeitraum mit den unmittelbaren und damit einfachen Notwendigkeiten konfrontiert zu sein.
Nun geht es mir aber nicht um den spezifischen Lebensstil einzelner, sondern um das Entstehen von Werten und Leitmotiven durch die mediale Reproduktion dieses Lebensstils. Es geht darum, wo aus dem Hobby des „Surviveln“ der Survivalismus wird. Der Survivalismus als Ideologie entsteht genau dort, wo den Zuschauer*innen eine Influencer-Performance als Lebensentwurf vorgelebt wird, der assoziiert ist mit Naturnähe, Spaß und gesunder Herausforderung, was identifiziert wird als Widerspruch zum Leben in der realen Gesellschaft. Dieses ist bekanntlich gekennzeichnet von Entfremdung und dem Gefühl der Wirk- und Machtlosigkeit, verlangt Ambiguitätstoleranz und politische Auseinandersetzung zwischen konträren Positionen und Interessen. Dagegen steht die Grundformel der survivalistischen Simulation: Problem -> Lösung. Wasser suchen, weil ich Durst habe. Essen suchen, weil ich Hunger habe. Ein Bett bauen, damit ich schlafen kann. Ein Dach, damit ich nicht nass werde. Survivalist*innen sprechen von Freiheit, sie meinen die Freiheit vor den Ketten des habituierten Selbst.
Ist das jetzt schlimm?
Die meisten Menschen, unabhängig vom Geschlecht, werden Survivalformate wie „7 versus Wild“ wohl einfach als Unterhaltungsspektakel abfeiern und sich vielleicht sogar ganz bewusst an der Survivalfantasie, sowie gleichzeitig an ihrer warmen Couch erfreuen. Aber grade dadurch, wie sich die transportierte Ideologie im aufgewirbelten Zirkusstaub verschleiert, entfaltet sie mehr Wirkung, als man denken könnte. Die Sehnsucht nach Narrativen, welche das Subjekt befreien von dem Druck, sich mit seiner ambivalenten Realität befassen zu müssen, ist groß. Grade weißen Cis-Männern, deren Identitätskonzept schon lange in einer Legitimationskrise steckt, bietet der Survivalismus eine antiintellektualistische Utopie. Dazu passt Meineckes Aussage, die ich eingangs zitierte. Was haben all die postmodernen Theorien, hat all das, was der Fortschritt den Männern an Zugeständnissen und Machtabgaben abverlangt noch zu bedeuten, wenn das wahre Mensch- und damit auch Mannsein doch dort stattfindet, wo es ums Überleben geht? Man sollte nicht aus einem Post auf eine ganze Person und man darf nicht von der Person auf die Gruppe schließen. Aber ich denke gezeigt zu haben, wie sich Meineckes Aussage in die Ideologie des Survivalismus einfügt. Und das sie seinem Erfolg nicht geschadet hat, sollte Beweis sein für ihre Anschlussfähigkeit. Der Survivalismus ist ein eskapistisches Treibhaus, welches das von der Welt überforderte Individuum zu wärmen imstande ist (und das hat es verdient), in welchem aber auch Maskulinismus und antiprogressive Ideologien unterschwellig gedeihen können.