Genderneutrale Toiletten

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Ihren letzten Urlaub hat Martha in Schweden verbracht. Dort ist ihr aufgefallen, dass es deutlich mehr Genderneutrale Toiletten gibt, als in Deutschland. Warum das so ist und welche Fragen dazu in Deutschland diskutiert werden, hat Martha für ihren neuen Text recherchiert.

In den vergangenen Sommerferien habe ich mit zwei Freund*innen eine Zugreise per Interrail-
Ticket unternommen. Zwei Wochen lang reisten wir durch Schweden, die Niederlande, Belgien und
Frankreich. Leider hatten wir in der ersten Woche nicht immer das beste Wetter und so besuchten
wir in Stockholm einige Museen, um dem kalten Wind und den Regenschauern zu entfliehen. An
einem Nachmittag landeten wir im “Moderna Museet“. Was uns dort neben den
Ausstellungsstücken besonders gefiel, war die genderneutrale Toilette. Ihr Konzept war recht
unkompliziert: Es gab zwei Toilettenräume, doch keine Beschilderung, um das Gender zu
spezifizieren. Wir waren froh, dass es hier nicht die Schlangen vor den als „Frauentoiletten“
spezifizierten Räume gab, die wir aus Deutschland gewohnt waren.
Ich habe auch in Deutschland in der einen oder anderen öffentlichen Einrichtung eine
geschlechtsneutrale Toilette gesehen, doch in Stockholm schien es diese öfter zu geben. Das warf
bei mir mehrere Fragen auf: Warum gibt es wenige genderneutrale Toiletten in Deutschland? Wie
sieht die Rechtslage diesbezüglich aus?
Welche Argumente haben Gegner*innen und Befürworter*innen der Toiletten?
Und – gibt es eine Lösung für die Problematik, welche alle (oder
die meisten) zufriedenstellen könnte?

Die Debatte um Unisex-Toiletten ist kein neues Thema mehr. Seit Dezember 2018 können sich alle
Personen in Deutschland offiziell nicht nur als männlich oder weiblich, sondern auch als divers
eintragen lassen. Dies war eine große Errungenschaft für Nicht-Binäre, Intersexuelle, Trans-
Personen und weitere Gruppen, die sich nicht ausschließlich auf ein Gender beschränken oder auch
keinem Gender zuordnen wollen. Doch einen großen Einfluss auf den Alltag der Menschen hatte
die Gesetzesänderung nicht. „In den Kloräumen ernte ich oft schiefe Blicke oder empörte
Nachfragen – ob ich mich verlaufen hätte. Aus beiden Toiletten wurde ich schon mehr oder weniger
freundlich hinaus gebeten, auf beiden werde ich meistens angestarrt wie ein Fremdkörper.“, schreibt
Soziolog*in und Kolumnist*in Louka Maju Goetzke im Wirtschaftsmagazin „Neue Narrative“. Da
wäre eine Einführung von genderneutralen Toiletten in allen öffentlichen Räumen doch ein gutes
Mittel, um eine solche Ausgrenzung zu verhindern. Deshalb möchte ich euch einen groben
Überblick geben, welche Aspekte für und gegen ein solches Unterfangen sprechen, auch wenn die
Debatte schon seit längerem am Laufen ist. Immerhin sind genderneutrale Toiletten in Deutschland
immer noch eine Seltenheit.
Befürworter*innen sagen, dass der Verzicht auf eine Unterteilung der Toilettenräume zur besseren
Nutzung von vorhandenen Räumlichkeiten führen würde. Statt zwei getrennten Bereichen mit
jeweiligen Kabinen und Waschbecken könnten beide Räume zusammengelegt werden, wodurch
mehr Platz für weitere Kabinen entstehen würde und weniger Waschbecken notwendig wären.
Hinzu kommt der Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit: Erwiesenermaßen müssen Frauen* öfter
ihr “aufs Klo”und teilen sich bei höherem Bedarf denselben Platz, den auch die Männer zur
Verfügung haben, auch wenn dieser meistens gar nicht in vollem Umfang genutzt wird. Da auf
Toiletten für Männer meistens Urinale zur Verfügung stehen, die keine separaten Kabinen erfordern,
bleiben manche abgetrennte Bereiche zum Teil ungenutzt. Würden die Räumlichkeiten nun für alle
nutzbar gemacht werden, hätten Frauen* weitere Kabinen zur Verfügung und bei hohem Andrang
mit weniger Wartezeit zu rechnen. Doch das ist noch nicht alles. Die Professorin Mary Anne Case
kritisiert, dass auf Männertoiletten oft wichtige Networking-Prozesse stattfinden, von denen
Frauen* ausgeschlossen werden: „Gleichberechtigung wird niemals erreicht werden, solange die
geschlechtergetrennten Toiletten bestehen bleiben!“

Es wird oft argumentiert, dass es in öffentlichen Verkehrsmitteln, die längere Strecken zurücklegen,
schon immer Unisex-Toiletten gegeben hat: In Zügen oder Flugzeugen ist der verfügbare Platz für
Sanitäranlagen gering, also gibt es ausschließlich einzelne Kabinen mit einer Toilette und ohne
Urinal, was eine Trennung nach Geschlecht sowieso überflüssig macht. Auch manche kleinen Cafés
haben eben nur Platz für einen Toilettenraum und dieser kann oder muss von allen genutzt werden.
In solchen Fällen scheint Gender für Gegner*innen keine Rolle zu spielen, während die Idee von
geschlechtsneutralen Gemeinschaftstoiletten in größeren Sphären zu einem Aufschrei führt.
Und wie so oft lohnt es sich auch bei dieser Debatte in die Vergangenheit zu reisen und den
Ursprung von geschlechtergetrennten Toiletten zu erforschen. Es gibt diese nämlich erst seit der
viktorianischen Epoche. Ausgehend von der sozialen Moral fand eine klare Rollenteilung zwischen
Männern – welche die Öffentlichkeit (z.B. den Arbeitsplatz) besetzten – und Frauen, die
zurückgezogen in der Privatsphäre (dem Heim) beschäftigt waren, statt. Mit der industriellen
Revolution stieg jedoch die Anzahl von Frauen, die arbeiten gingen und somit in die Öffentlichkeit
gelangten. Somit nutzten sie auch öffentliche Toiletten (zum Beispiel am Arbeitsplatz), die zuvor
bloß von den arbeitenden Männern benutzt worden waren. Doch in „Sorge“ um die Moral, Reinheit
und die Privatsphäre der Frau führte man im Laufe des 19. Jahrhunderts geschlechtergetrennte
Toilettenräume ein – auf genauem Blick also aus einer sexistischen Haltung heraus.
Diese viktorianische Moral scheint sich teils bis heute gehalten zu haben, denn viele Gegner*innen
von genderneutralen Toiletten bezeichnen diese als unsittlich und unangenehm. Zudem wird
argumentiert, dass sich vor allem junge Frauen* in der Anwesenheit von Männern auf Toiletten
unwohl fühlen, zum Beispiel wenn sie ihre Tage haben. In den Augen von Louka Maju Goetzke ist
dies jedoch reine Gewohnheitssache. Denn aktuell haben Menschen, die nicht in die Kategorien
„Mann“ oder „Frau“ passen, gar keinen Ort für ihr Geschäft. Gleichzeitig wird argumentiert, dass
auf die Schutzbedürfnisse von Frauen* geachtet werden sollte, für die Toiletten oft ein Safe Space
sind. Schließlich gibt es leider auch mehrere Quellen, die zeigen, dass Fälle von sexueller
Belästigung und sexuellen Übergriffen vermehrt in Einrichtungen stattfinden, die
geschlechtsneutrale Räumlichkeiten vorweisen. Nichtsdestotrotz erscheint es etwas weit gegriffen,
ausgerechnet bei Toiletten auf Safe Spaces zu beharren, vor allem wenn diese im Umkehrschluss zu
Ausgrenzung führen.
Doch einige Argumente lassen sich schwerer entkräften. Allen voran natürlich der Kostenfaktor:
bereits vorhandene Toiletten abzuändern, würde zu Umbaukosten führen, die in den Augen vieler
als unnötig angesehen werden. Dabei gibt es tolle Vorschläge der Umgestaltung. Der Architekt und
Nachwuchs-Kolumnist Fabian Dahinten stellt in einem Artikel des Deutschen Architektenblattes
verschiedene Konzepte für genderneutrale Toiletten vor. Doch um diese realisieren zu können,
braucht es Ressourcen, die auch von jemandem bezahlt werden müssen. Bei der aktuellen Inflation
möchten wahrscheinlich die wenigsten in den Umbau von Toiletten investieren. Zudem legt die
deutsche Versammlungsstättenverordnung folgendes fest: „Versammlungsstätten müssen getrennte
Toilettenräume für Damen und Herren haben.” (§ 12 Abs. 1 Satz 1 VstättVO). Somit ist eine
Trennung also per Gesetz vorgeschrieben und die Umwandlung zu Unisex-Toiletten eigentlich
illegal.
Trotzdem gibt es immer mehr geschlechtsneutrale Klos in Deutschland, vor allem an Universitäten
und nach und nach auch an Schulen. Dort sind diese hilfreich, um Kindern und Jugendlichen zu
vermitteln, dass es normal ist, wenn sie sich nicht (nur) zu einem Geschlecht zugehörig fühlen. In
Zürich werden an den Schulen zurzeit Urinale durch genderneutrale Kabinen ersetzt – sehr zum
Empören von erwachsenen Männern, die nicht auf ihr Recht verzichten wollen, im Stehen zu
pinkeln. Dabei sind sie ja gar nicht diejenigen, die die Toiletten benutzen!

Apropos Urinale – Architekt Dahinten, den ich bereits erwähnte, hat einen Kompromiss: Statt
komplett auf diese zu verzichten, gibt es Konzepte, in denen Urinale in einem separaten Raum
innerhalb der Räumlichkeiten untergebracht sind. So muss nicht komplett auf sie verzichtet werden,
aber gleichzeitig fühlt sich der Klogang für alle Toilettenbenutzer*innen, die keine Urinale
benutzen, wesentlich angenehmer an. Zudem setzt der Architekt auf einen offenen und einladenden
Vorraum mit einem zweiten Eingang oder Glasscheiben, um diesen einsichtiger zu gestalten, was
sich positiv auf die Sicherheitsbedürfnisse vieler FLINTA*-Personen auswirkt. Was in den
vorgestellten Konzepte auch nicht schlecht ist: Es soll Türen geben, die sich bis zur Decke und bis
zum Boden erstrecken. So ist man erstens nicht gezwungen, alles zu hören, was sich in den
Nachbarkabinen tut und der Toilettengang fühlt sich zudem privater an.
Leider wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis genderneutrale Toiletten zum Mainstream
werden. Schließlich hängt viel davon ab, welche Werte und Moralvorstellungen in unserer
Gesellschaft vorherrschend sind und leider ist für viele eine gemeinsame Toilette auch heutzutage
noch obszön oder unangebracht. Doch Ähnliches bekamen auch Mitglieder der LGBTQ+-
Community allzu oft zu hören und dennoch setzten sie und viele Initiativen sich in vielen Ländern
auf der ganzen Welt für ihre Rechte ein. Das wohl prominenteste Beispiel dafür ist die Ehe für Alle,
die bereits in 30 Ländern eingeführt wurde (Stand Oktober 2022). Deshalb möchte ich allen
Menschen, die tagtäglich mit der Thematik konfrontiert werden, Mut zusprechen. Gebt niemals auf,
macht auf euch aufmerksam und lasst euch nicht entmutigen.
Hoffentlich führt in naher Zukunft eine höhere Akzeptanz und Inklusion von Nicht-Binären,
Intersexuellen, Trans-Personen und allen weiteren Gruppen dazu, dass jede*r auf dieselbe Toilette
gehen kann, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen. Integration statt Ausgrenzung – und das nur durch
Toiletten.

Quellen:
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/rauchverbot-in-deutschen-gaststaetten-was-hat-
es-gebracht-14601236.html


https://de.wikipedia.org/wiki/Unisex-Toilette#Gegenw%C3%A4rtige_Verbreitung
https://www.law.uchicago.edu/news/pacific-standard-cites-mary-anne-cases-research-sex-
segregated-bathrooms


https://www.neuenarrative.de/magazin/kolumne-geschlechtergefuhle-warum-wir-mehr-unisex-
toiletten-brauchen/


https://www.dabonline.de/2022/08/03/kolumne-114-unisex-toiletten-grundriss-beispiele-planung-
genderneutral-geschlechtsneutral-wc/

Hi, ich bin Martha (17) und lebe in Leipzig. Schon seit ein paar Jahren interessiere ich mich für Feminismus, genderspezifische Themen und Künstler*innen, die sich mit diesen Aspekten beschäftigen. Ich liebe es Texte zu schreiben, vor allem Erfahrungsberichte, in denen ich alle meine Gefühle rauslassen kann. In meiner Freizeit treffe ich mich gerne mit Freunden, spiele Bass, gehe zum Thaiboxen und engagiere mich bei der Schüler*innenzeitung meiner Schule in der Chefredaktion.