Lina nahm sich mit 16 vor, feministische Essays zu lesen. Sie nahm sich vor, das Kapital zu lesen, die Bibel und das dritte Geschlecht von Simone de Beauvoir. Sich zu bilden, ja das wollte sie. Jetzt ist sie 21, hat absolut nichts davon gelesen und verbringt ihre Tage mit ihrem wahren Interesse – Jugendbüchern.
Rückblickend betrachtet, war jede meiner Interessen voll Scham besetzt. Als ich 12 war, begann meine One Direction Phase. Mein Zimmer mit Postern zu bedecken war natürlich mega peinlich. Wenn mein Cousin jetzt sein Zimmer mit Fußballerplakaten bedeckt, ist das natürlich mega cool. Meine Musik war immer peinlich, meine Bücher waren immer peinlich und meine ganze Existenz natürlich auch. Doch Gendervergleiche bezogen auf sozial akzeptierte Interessen sind ein Thema für einen anderen Tag.
Ich verspürte lange Scham, dass, anstelle mich weiterzubilden mit klassischen, feministischen Büchern, ich immer wieder zu den Büchern mit dem moralischen grauen dunklen Typen griff, der nicht nur eine Grenze überschritt. Die Wahrheit ist, dass ich keine Energie hatte auf schwere Literatur. Ja es ist ein Privileg, sich nicht damit beschäftigen zu müssen, was in anderen Ländern mit Frauen* rechten abgeht oder eben gar nicht geht. Ich hatte das Privileg ignorant zu sein. Ich hatte das Privileg mich zu entscheiden, mich nicht von anderen Lebensrealitäten herunterziehen zu lassen.
Ich kam schon so kaum durch meinen Tag. Tagelang im Bett trauernd über einen Teil von mir, der nie ganz sein würde. Jetzt weiß ich, dass es komplett okay ist, psychische Krankheiten zu haben und manchmal nicht zu können. Früher war es die Scham nicht leistungsfähig zu sein. Nicht mal leistungsfähig zu sein ein Buch zu lesen, von dem ich annahm Ideale zu teilen.
Ich sollte mich mehr mit Erfahrungsberichten von Frauen* beschäftigen, ich sollte, ich sollte, ich sollte.
Wenn man in einer akademischen Laufbahn (fest)steckt, wird einem oft suggeriert, dass den Nachttisch bedeutende Romane schmücken sollten. Ich möchte meinem Leben entfliehen. Nicht rein gesogen werden mit Fachbegriffen die nie erklärt werden.
Worum genau handeln diese Jugendbücher? Von Menschen, die auf ihre Stiefbrüder stehen, die in jemanden aus ihrer Gastfamilie in ihrem Au Pair Jahr verliebt sind oder den Schul Bad Boy. Es ist flach, banal und schnell durchgelesen. Kein tieferes Problem der Hauptcharaktere, als dass ihr Geliebter vielleicht zu böse ist. Oft das Motiv ihn ‚retten‘ zu können. Es ist furchtbar. Es ist furchtbar amüsant.
Neben meinem Bett ist ein kleiner Stapel Klebezettel. Lila beutet ‚wtf ist los bei bei euch‘ oder anders ‚wie könnt ihr nur so klischeehaft sein‘ oder gar ‚sexistisch`. Das Buch ist meistens voll davon. Die Klebezettel nutze ich, um mich mit den Idealen auseinanderzusetzen und auf Instagram Content darüber zu machen, dass so etwas nicht in Ordnung ist im echten Leben oder dass es nun mal nie die eigene Aufgabe sein sollte jemand anders zu retten.
Dieser Text soll nichts weiter aussagen, als dass es okay ist zu lesen was man möchte. Ich lese gerne Teenie Romane. Rege mich gerne in der kleinen Welt meines Schlafzimmers mit mir selbst darüber auf und verdrehe die Augen, wenn man alles regeln könnte in dem man drüber spricht. Es ist nichts literarisch Gutes oder Hohes aber ich mag es. Es ist nichts, was meine Augen öffnet und mich in geistige Höhen befördert. Aber neben Plenum und Diskussionen muss ich abschalten. Ich lese für mein Pleasure. Ohne Guilty. Sollen andere die Scham verspüren über das, was in meinem Schlafzimmer los ist.
‚Ja ich bin es. Ich privilegierte weiße Frau, die über Bad Boy Ryan liest. Ich schäme mich nicht.‘
Mehr Texte von Lina findet ihr in ihrem Buch „Liebe und das Gegenteil“.