Schon mal von Bindern und Tucking Panties gehört? Über genderaffirmative/-neutrale Unterwäsche spricht Martha im Interview mit Isy, der Modedesigner*in von „Undrowear“
Schon seit einigen Jahren sensibilisieren Shows wie „RuPaul’s Drag Race“, „Sex Education“ und „Heart Stopper“ nicht nur für sexuelle Orientierung, sondern auch für Geschlechtsidentitäten jenseits des binären Systems. Damit sind Personen gemeint, die sich zum Beispiel als trans* oder nicht-binär identifizieren. Und auch wenn diese – unter anderem durch Repräsentation in den Medien – ins gesellschaftliche Auge gerückt sind, stellen sie sich tagtäglich unterschiedlichen Herausforderungen.
„Momentan würde ich mir wünschen, dass Menschen mich als männlich lesen und es nicht passiert, dass sie mich ‚junge Dame‘ nennen“, erzählt Flo, ein 19-jähriger Transmensch* aus Leipzig. Seit seinem Coming-out begegnen ihm verschiedene Probleme im Alltag. „Es ist ein Dauerstruggle, dass Leute deine Pronomen nicht beachten oder den falschen Namen benutzen. Sich irgendwohin zu bewerben, wenn noch ein anderer Name im Personalausweis steht, ist schwierig und auch der Toilettenstruggle, weil man sich nicht traut, auf die Männertoilette zu gehen, aber sich auch auf der Frauentoilette nicht wohlfühlt.“ Logisch also, dass Kleidung für Flo und viele andere Trans*menschen, Non-Binarys etc. ein wichtiges Werkzeug ist, um die eigene Geschlechtsidentität zu unterstützen. „Ich möchte anders gelesen werden als das Geschlecht, das mir bei der Geburt zugeordnet wurde, und das probiere ich, mit Kleidung auszudrücken“, erzählt Flo. Seitdem er sich als Trans* identifiziert, spiele bei der Auswahl seiner Outfits nicht nur der Style eine Rolle, sondern auch, wie andere Leute ihn lesen, wenn er sie trägt. So entscheidet er sich meist für weitere Kleidung wie Jeans, Hemden und Hoodies.
Ein Label, das den Bedürfnissen von Personen wie Flo gerecht wird, ist „Undrowear“, welches genderneutrale und sogenannte genderaffirmative Unterwäsche herstellt. Auf der Website des Labels gibt es Produkte wie Binder, Jockstraps, Tucking Panties, und sogar Badebekleidung von den Größen XS bis 5XL, größtenteils produziert aus GOTS-zertifizierten Naturfaser-Stoffen und zu 100 Prozent handmade.
„In Gesprächen mit Freunden habe ich gemerkt, dass da ein krasser Bedarf an Sachen ist, die es nicht gibt“, erzählt Isy, Modedesigner*in und Gründer*in von „Undrowear“. Isys erstes Produkt waren Boxershorts ohne Platz im Schrittbereich. „Es war irgendwie nicht wirklich die Idee, dass ich daraus jetzt ein Label mache, sondern eher, dass ich angefangen habe, Schnitte zu machen, Musterteile zu nähen, um die an Friends zu geben zum Probetragen. Die waren einfach für uns und zum Austauschen.“ Isys Freunde hätten schnell Gefallen an den Produkten gefunden und vorgeschlagen, die Produkte bei einem Marktstand oder bei Etsy zu verkaufen. Durch Umfragen in Facebook-Gruppen sei Isy dann auch auf weitere Produktvorschläge wie Binder und Jockstrips für Menschen mit Vulva gestoßen. „Es ist total witzig, weil alles so semiprofessionell war. Ich habe erstmal angefangen, bei Etsy zu verkaufen und habe gemerkt, dass es so richtig gut läuft. Beim Markt wurde ich dann von verschiedenen Leuten angequatscht, die das auch so ein bisschen mit professionalisiert haben und dann haben wir noch einen Online-Shop programmiert. Das war so ein bisschen Glück, weil dann hat es richtig angefangen.“
Das Label hätte ursprünglich „Androwear“ geheißen, ein Wortspiel aus androgyn und underwear. Doch nach einem gerichtlichen Streit musste es umbenannt werden: „Ich fand das mit dem U irgendwie schön und androgyn kann auch relativ binär aufgefasst werden. Das passt dann eigentlich auch nicht so richtig [zum Label] und jetzt ist es einfach ein Fantasiename, der wie Underwear klingt.“
Und mit dem Label mit dem coolen Fantasienamen hat Isy auch alle Hände voll zu tun. Wer ein Produkt bestellt, muss bis zu vier Wochen warten, weil Isy und ihr unterstützendes Team aus drei Leuten nur schwer hinterherkommen. Alles werde auf Anfrage produziert und leider sei es finanziell nicht möglich, weitere Angestellte zu engagieren.
Doch dies solle sich bald ändern, verkündet „Undrowears“ Gründer*in: „Es ist gerade der Plan, dass wir zu 70% auf Außenproduktion umstellen wollen, weil es sich nicht rentiert.“ Deshalb müsse Isy sich auf weniger Designs beschränken, obwohl es eigentlich viele weitere Produkte gäbe, die „Undrowear“ aufnehmen könnte: „Eigentlich würde ich aber super gerne Panties für Menschen mit Penis machen, ich finde, das fehlt noch so richtig. Was richtig oft als Anfrage reinkommt, ist Perioden-Unterwäsche, die nicht super feminin aussieht, aber das ist nochmal eine ganz andere Technologie und das würde super viel Zeit kosten. Und Kinder- und Jugendunterwäsche wünsche ich mir.“
„Undrowear“ bietet sowohl genderneutrale als auch genderaffirmative Unterwäsche an. Doch was ist da genau der Unterschied? Isy klärt auf: „So ganz praktisch auf die Produkte bezogen, beschreibt genderneutral, dass die Sachen nicht an ein spezifisches Geschlecht beworben werden, sondern nach der Funktionalität und wem es passt. Genderaffirmative Kleidung soll das Geschlecht, das man im Inneren fühlt, nach außen transportieren. Sie ist geschlechtsbejahend und geht mit der Vorstellung einher, die man selbst hat. Das muss nicht eine binäre oder eine vorgeschriebene sein.“ Die Unterwäsche von Undrowear erfüllt somit einen wichtigen Job: Während Binder die Oberweite und Tucking Panties den Penis kaschieren, können Bralettes mit eingearbeiteten Padding Oberweite erzeugen, wo es keine gibt. Doch bei der Unterwäsche ist es dem Label auch wichtig, sie ansprechend zu gestalten. Somit muss „Undrowear“ die Waage zwischen Funktion und Design halten: „Ich habe schon oft gehört, dass die Leute bei den Bindern so waren, ‚Krass, die sind ja voll bequem‘, aber das geht ja nur zum Teil. Es ist die Idee, dass man kein Bindingtape oder keine Bandagen verwenden muss und es schöne Lingerie ist. Du sollst dich darin gut fühlen und es soll dir dienen. Manchmal kann man da nicht so richtig die Waage halten, aber ich versuche, [die Produkte] so schön wie möglich zu machen, weiß aber auch, dass es schwieriger ist, als wenn es jetzt nur so ein Spitzen-Bralette für skinny people wäre.“
Leider ist genderaffirmative Unterwäsche in herkömmlichen Läden so gut wie nie vorhanden und auch Labels wie „Undrowear“ gibt es nicht in Massen. Für Menschen mit geringem Einkommen ist der Zugang zu den Produkten zudem besonders schwer. Das ist auch Isy bewusst: „Queers haben statistisch gesehen weniger Geld und es ist mir total wichtig, dass sie sich alles leisten können. Mit dem Konzept, was wir gerade haben, ist das aber nicht ganz umsetzbar. Wir nähen alles selbst und verwenden gleichzeitig auch noch nachhaltige Stoffe in einer fairen Produktion.“
Doch das ist nicht Isys einzige Sorge: „Wenn man einen ethischen Anspruch hat in einem kapitalistischen System, funktioniert das meistens nicht so gut zusammen und dann beutet man sich entweder selber aus oder andere. Die Zielgruppe [des Labels] kann ziemlich kritisch sein, was voll schön ist, aber gleichzeitig auch heißt, dass teilweise Ansprüche gestellt werden, die für ein Label nicht umzusetzen sind. Ich glaube, viele sehen nicht, dass Einzelpersonen dahinterstecken.“
Feedback zu den Produkten wäre hingegen erwünscht: „Positives Feedback tut so richtig gut. Es kommen auch immer wieder Anregungen wie: ‚Hey, könnt ihr die Beine von den Trunks drei Zentimeter länger machen?‘ Wenn dieser Wunsch dann zehnmal kommt, ändere ich den Schnitt.“
Die Umstellung auf Außenproduktion werde mehrere Veränderungen nach sich ziehen. So sei es bald nicht mehr möglich, die Ware vor der Bestellung individuell anzupassen. Verständlich also, dass Isys größter Wunsch ist, dass der anstehende Wandel positiv verläuft und sich das Label über die nächsten Jahre weiterträgt. Gleichzeitig ist es Isy wichtig, die Idee hinter dem Label nicht zu verlieren, auch wenn mit „Undrowear“ ein Profit erzielt werden soll. Auch über die Zukunft von genderneutraler und genderaffirmativer Unterwäsche hat sich Isy schon den Kopf zerbrochen: „Ich bin für Zugänglichkeit, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, wenn Sachen im Kleinen passieren, funktionieren sie besser. Jemand meinte letztens so: ‚Dann könnt ihr ja irgendwann in der H&M Diversity Collection gelistet werden‘.“ Doch für Isy entsteht bei der Vorstellung, man könne Binder oder Tucking Panties bei Fast-Fashion Stores erwerben, ein Zwiespalt zwischen dem Pinkwashing von genderaffirmativen Produkten und der Zugänglichkeit, die nur große Unternehmen wie H&M bieten können. Auch die Massenproduktion in Ländern wie China spreche gegen ein solches Vorhaben.
„Ich glaube, ich würde mir wünschen, dass es einfach mehr kleine Unternehmen gibt, die so etwas anfangen. Dass sich einfach mehr Leute trauen, so etwas zu machen und vielleicht mehrere Ideen haben. „Undrowear“ ist auch nur die Idee von einer Person und daraus kann ja noch viel mehr entstehen.“