Avatar 2 und die dreckige Leinwand

2023-06-22_mT_Web_Beitragsbild_Anton_Avatar2

Anton analysiert in seinem Kommentar den Sexismus und den Rassismus in dem Film Avatar 2.

An „Avatar – The way of water“ gibt es eine Menge zu kritisieren. Drehbuch zum Beispiel. Das fühlt sich an, als hätte jemand zu Marktforschungszwecken ausprobiert, wie viele Klischees man in einen Blockbuster einbauen und trotzdem für einen Oscar als bester Film nominiert werden kann. Hätte ich eine Parodie schreiben wollen, ich hätte fast nichts anders gemacht.
Hier möchte ich allerdings kurz auf einen Aspekt des Films eingehen, den ich als besonders perfide empfinde. Es ist nicht neu, dass Hollywood in Zeiten amerikanischer, wie auch internationaler Aufrüstung die dafür wohlfeile Heroisierung des Soldatentums und Idealisierung des Krieges verbildlicht und festigt. Dem muss man keine finstere Absicht einzelner unterstellen, kulturindustrielle Massenprodukte sind schwankende Rohre im Wind und können sich meist eine allzu offene Opposition nicht leisten, da sie möglichst Weltweit geschaut werden müssen, um ihre exorbitanten Produktionsbudgets wieder einspielen zu können. Dennoch haben viele amerikanische Filme der jüngeren Vergangenheit zumindest oberflächlich gewisse identitätspolitische Zugeständnisse gemacht und – wenn auch zumeist sehr zaghaft – an bestehenden Geschlechter- und Familienbildern gerüttelt oder auf schwarze und indigene Geschichte fokussiert und die Rolle des Rassismus in der „westlichen“ Geschichte in Ansätzen reflektiert.
An den Verantwortlichen für „Avatar – The way of Water“, wobei man James Cameron als Regisseur, Co-Autor und Co-Produzent wohl hervorheben muss, scheinen von diesen Diskursverschiebungen allerdings nichts mitbekommen zu haben oder haben sich bewusst dazu entschlossen, sie zu ignorieren. Die als Opfer menschlicher Kolonisation inszenierten Na’vi sind Aliens. Als solche könnten sie wunderbar als Leinwand für die fantastischsten und fantasievollsten gesellschaftlichen Gegenentwürfe und Utopien herhalten, man könnte sie zeichnen als Wesen ohne Geschlecht, ohne tribalistische Zugehörigkeiten, ohne gewaltvolle Machtstrukturen, doch der Film entscheidet sich in einem fast schon unverschämten Mangel an Originalität für das exakte Gegenteil. Bei den Na’vi gibt es Männer und Frauen. Die gezeigten Stämme sind strikt patriarchal organisiert, die Männer sind Krieger, die Frauen werden als Ernährerinnen mit zum Teil übersinnlicher Verbindung zur Natur dargestellt.

Die Frau als das naturnahe Geschlecht ist ein so unfassbar altes Klischee, dass es sich eigentlich für die Leinwand verbieten sollte, aber wie schon gesagt, diesbezüglich ist sich „Avatar- The way of Water“ für nichts zu schade.
Generell weidet sich der Film an der doch arg von westlicher Esoterik gefärbten Vorstellung der indigenen Völker, für welche die Na’vi ganz offensichtlich stellvertretend sind. Sie sind naturnah, bescheiden und erfüllt von übersinnlicher Weisheit, der Mensch hingegen ist gierig, brutal und übergriffig. Der Konflikt und damit auch die Notwendigkeit des Krieges wird so naturalisiert, für systemische Kritik oder gar Kritik am Kapitalismus interessiert sich der Film nicht.
Das schlimmste ist aber, dass der Film auf eine Art und Weise soldatische und reaktionäre Propaganda betreibt und dies mit einer Rhetorik der indigenen Emanzipation verschleiert. Es ist wohl selbst derzeit dem bürgerlich-liberalen Teil des Publikums kein Film mehr zu verkaufen, in welchem im Stile des amerikanischen Realismus und all seinem gewohnten Pathos, ein patriarchaler Familienvater von der Notwendigkeit spricht, sein Land und seine Familie zu verteidigen und seine Söhne unverhohlen zu Kriegern erzieht. Ein Vertreter „der Menschen“ oder „der Amerikaner“ müsste in irgendeiner Art in dieser Überzeugung gebrochen werden, er müsste lernen, dass diese Ideologie eine schadhafte, eine gewaltvolle, eine tödliche ist (siehe z.B. Oscarkandidat „Im Westen Nichts Neues“). Ansonsten wäre der Film vermutlich in reaktionären und rechten Kreisen erfolgreich, aber nicht mehr in dem Sinne massentauglich wie noch vor 10 oder 20 Jahren. „Avatar – The way of Water“ exemplifiziert diese Familien- und Gesellschaftsideologie aber nun anhand der Figuren, die als emanzipatorische Sympathieträger*innen gezeichnet sind und – man erinnere sich – als Naturvolk. Der Mensch, dessen inhärente Bosheit allzu vulgäre Liberale akzeptiert zu haben scheinen, ist böse auch als Patriarch. Ein indigener Patriarch kann stattdessen als Beispiel dienen, dass das gute und schützenswerte, der Mensch in seiner naturvölkischen Form nämlich, sich automatisch und auf zwanglose Weise patriarchal und soldatisch organisiert.
Die leere Leinwand, von der ich zuvor sprach, welche hier gewoben ist aus den traumatischen und unbeschreiblich gewaltvollen Erfahrungen indigener Völker, wird beschmiert mit den reaktionären Gesellschaftsbildern eines neoliberalen Bürgertums, welches nur allzu bereit scheint, die Errungenschaften der offenen Gesellschaft mitsamt ihren Söhnen jederzeit von Bord zu werfen, wenn der politische Zeitgeist dies vermeintlich erfordert. Dies ist schon deshalb besonders widerlich, weil nicht-patriarchale Formen des Zusammenlebens grade in indigenen Kulturen nicht selten sind, welche durch diesen Film aber bloß ausgenutzt und als Zugpferde vor die Marketingmaschine gespannt werden.
Aber die Landschaftsaufnahmen sind wirklich schön. Man kann sich richtig verlieren.

Ich bin Anton, studiere Szenisches Schreiben an der UdK in Berlin und habe in meinen früheren Twenties einen Bachelor in Philosophie gemacht. Hier versuche ich, über das Teilen von Erfahrungen und spekulatives Erzählen, an so etwas wie einer positiven Vision von Maskulinität zu forschen.