Anton nimmt in seiner Film-Kritik Barbie auseinander.
Der Film „Barbie“ von Regisseurin Greta Gerwig steht derzeit in einem Maße in der Öffentlichkeit, wie man es schon lange von keinem Kinofilm mehr gesehen hat. Die Vorführungen sind regelrechte Happenings, zu denen sich die Zuschauer*innen in passender Ästhetik ausstaffieren und mitunter auch sprechen. Man fühlt sich ein bisschen wie auf einer Cosplay-Convention, die Menschen verschmelzen mit dem Fandom. Ob sie es ernsthaft, ironisch, meta-ironisch oder sarkastisch tun ist am Ende unerheblich, das Zeichenspiel verdichtet zu einer poppigen Camp-Optik, die stark affirmativ wirkt und ein deutliches Bild erzeugt. Dieser Film ist ein Massenphänomen.
Für Kinofreund*innen scheint diese Bewegung grundsätzlich erstmal erbaulich, zeigt sie doch, dass das zunehmend aus der Zeit gefallen scheinende Leitmedium von einst tatsächlich noch dazu in der Lage ist, Publikum anzulocken, Schauwert zu erzeugen und vor allem, die Lust am gemeinsamen, öffentlichen Erleben von Kunst zu wecken. Die Menschen, vor allem Teile der FLINTA* und queeren Communitys, reagieren lautstark in den Sälen, lachen, jubeln. Man findet sich beinahe in einer utopischen Gegenwelt wieder, in welcher das so oft beschworene, kulturpessimistische Bild des von jeder Öffentlichkeit abgeschnittenen Subjekts, das in seiner Freizeit den Blick auf das Wertvolle vernebelt bekommt vom unendlichen Strom der kurzweiligen Unterhaltung, einem positiven Glauben an den kulturellen Geist des Menschen weicht. Es gibt in unserer Gesellschaft, so freut man sich, noch diesen Platz für die Macht des Films und seine Fähigkeit, in Zwischenräume zu dringen und Widersprüche aufzuzeigen.
Doch leider ist „Barbie“ kein solcher Film. Im Gegenteil ist er genau der Film, der beweist, dass nur, weil Menschen sie nicht an ihrem Smartphone hockend eingeträufelt bekommen, sich die Ideologie der privaten Massenmedien dennoch in alle Bereiche der Kulturindustrie einschreibt, selbst in das so geheiligte Lichtspielhaus. Und man muss festhalten, nur, weil ein Film den Menschen wenigstens „irgendwie“ den Feminismus nahebringt, ist das noch lange kein Grund, ihn nicht scharf in die Kritik zu nehmen.
„Barbie“ ist an Aufklärung, Kritik oder dem Erforschen von Widersprüchen nicht interessiert. Der Film ist sich stattdessen bewusst, dass er seinen Erfolg, das heißt, sein Publikum, nur finden kann, wenn er mit maximaler Polarisierung arbeitet und eine spezifische, identitätspolitisch aufgeladene Dynamik in der öffentlichen Auseinandersetzung erzeugt. Der erwartbare, durch Schlagworte und -bilder im Film provozierte Zorn der wie immer allzu leicht getriggerten Rechten und Konservativen wird gezielt dazu genutzt, den Nicht-Reaktionären ein Bekenntnis zu entlocken. Dieser Film muss gut sein, denn er wird von den richtigen Menschen gehasst. Dazu feuert „Barbie“ aus allen Rohren liberalfeministische Memes, das potenziell subversive, weibliche Subjekt wird durch einen zuwenderischen Gestus ruhig gestellt. Ihr werdet verstanden, ihr werdet gesehen, euer Leben ist manchmal anstrengend, aber hey, auch ihr könnt Präsidentinnen oder Ärztinnen werden. Damit kann sich jeder halbwegs fortschrittlich denkende Mensch zufrieden geben, ohne gleichzeitig das eigene Denken hinterfragen zu müssen oder gar die unangenehmen, ökonomischen Fragen an sich heran zu lassen. Lieber bedient man sich stattdessen am Ende auch noch des unendlich altbackenen Klischees des Mannes, der aus Gefühlen gekränkter Männlichkeit und sexueller Frustration (hier: romantischer Frustration, Sex gibt es in Barbieworld nicht) heraus Krieg gegen andere Männer führt. Nein, die Gründe für Krieg sind hochkomplexe, meist über Jahrhunderte gewachsene ökonomische und territoriale Konflikte, in denen Männer die Interessen von Kapital und Staat austragen müssen, völlig unabhängig von ihrer persönlichen Geschichte. Männer, die sexuell frustriert sind töten sich, wenn sie tatsächlich töten, nicht gegenseitig. Sie töten Frauen.
Doch dies alles und die vielen weiteren Punkte, die an dem Film zu kritisieren sind, prallt ab an seiner meta-ironischen Bildsprache, durch welche man hinter jeder Ecke ein Augenzwinkern vermuten muss. War da grade eins? Ist das Ganze vielleicht doch am Ende als raffinierte Kritik zu verstehen? Sind die Bilder nicht so weit drüber, dass sie sich von alleine als Klischees entlarven?
In meinen Augen sind sie es nicht. Die emotionale Ernsthaftigkeit, die der Film in bester Hollywoodtradition im letzten Akt an den Tag legt, spricht dagegen. Aber ich bin auch ehrlich gesagt müde, die unergründlichen Wege der Ironie abzurennen. Über diese Wege nämlich, lässt sich immer noch ein Hintertürchen, immer noch eine Interpretation finden, in denen sich dann letztlich alle irgendwie wohlfühlen können, außer natürlich jene, die der Film als Diskursantagonisten für sein Marketing auserkoren hat.
Dem Feminismus ist auf diese Weise kaum geholfen. Man muss dem Film im Gegenteil vorwerfen, dass er eben jene materiellen und politischen Tendenzen reproduziert, welche den Feminismus gesamtgesellschaftlich bedrohen. Somit stimmt es zwar, dass er eine kurzfristige Welle der Affirmation innerhalb des liberalen Spektrums zu erzeugen imstande ist und dass nicht jeder Film den Anspruch haben muss, die Weltrevolution auszurufen. Und doch muss es möglich sein, ihn zu kritisieren und auch scharf zu kritisieren, denn nur dann kann er als Kulturgut fruchtbar und im Sinne des Feminismus nützlich gemacht werden. Und nein, das heißt auch nicht, dass man ihn nicht trotzdem mögen und beim Schauen eine gute Zeit gehabt haben kann. Beides ist gleichzeitig möglich und bildet eben eines dieser Widerspruchsverhältnisse, die eigentlich sehr interessant sein können und von denen Hollywood, die sozialen Netzwerke und andere private Medien in der Regel nichts wissen wollen. „Barbie“ nicht bloß abzufeiern, sondern ihn gleichzeitig so hart wie möglich zu kritisieren, muss als der aufrichtige, feministische Akt betrachten werden.