„Wäre ich nicht queer, wäre alles so viel erträglicher. Das habe ich mir lange genug gedacht und vorgeworfen“, schreibt Sabylonica über die Ablehnung der eigenen Eltern und die Auswirkungen auf sein*ihr Leben.
Der Begriff Queersein ist mir schon seitdem ich denken kann bekannt. Es waren meine Eltern, die mir diesen Begriff beibrachten. In dem Zusammenhang habe ich stets vorgegaukelt bekommen, dass es was Schlechtes sei queer zu sein und ich nicht mehr deren Kind sein könnte, wenn ich selbst queer sei. Das ist ein immenser Druck, dem ich ausgesetzt war und noch immer bin. Dass ich queer bin, wusste ich, ehe ich noch denken konnte, umso schwerer trafen mich die vermeintlich fürsorglichen Worte meiner Eltern. Diese Worte durchstochen meinen Leib und meine Seele. Dieses Ultimatum trage ich heute noch immer mit mir. Die Frage, ob ich nach der abhängigen Liebe meiner Eltern nachgehen soll oder selbstbestimmt lieben kann, wen ich möchte, versetzt mich in eine Schockstarre, aus der ich nicht entfliehen kann.
Mich bedrückt der Gedanke, dass ich mich niemals auf eine Person komplett einlassen kann, dass ich nie eine Person innigst lieben werde oder dass ich nicht zulassen kann geliebt zu werden. Es gab wenige und kurze Momente in meinem Leben, in denen ich vollkommen mich einer Person geben konnte. Ich wünsche mir so sehr diese Momente in eine Ewigkeit sprühen, mein Leben nach dem Herzschlag der Person richten und die Person fest an meinem Körper drücken zu können. Ich möchte eins werden mit der Person, aber ich weiß, dass ich all das nicht tun kann. Ob ich nun meine Eltern liebe, kann ich ebenso wenig sagen, ich weiß nur, dass ich eine starke Abhängigkeit durch die jahrelange Gewohnheit entwickelt habe und diese mir sehr fehlen würde, wenn ich selbstbestimmt liebe. Wie ich beide Wege gleichzeitig einschlagen kann, weiß ich nicht, ich denke sogar eher, dass es gar nicht möglich ist und ich mich entscheiden müsste. Aber diese Entscheidung erscheint mir so ungerecht. Warum sollte ich zwischen mir selbst und meiner Familie eine Entscheidung treffen? Wäre ich nicht queer, wäre alles so viel erträglicher. Das habe ich mir lange genug gedacht und vorgeworfen. Heute jedoch denke ich mir, warum meine Familie nicht queerfreundlicher sein kann. Der Gedankenweg, ich müsste mich meiner Familie Willen verändern und mich nach deren Idealen anpassen, beengt meine Atemwege enorm. Ob es zu viel verlangt wäre, wenn meine Familie mich so akzeptiert wie ich bin.
Prinzipiell fällt es mir nicht sonderlich schwer etwas vorzuspielen. Immerhin spiele ich das Doppelleben, seit ich denken kann. Das Einzige, was es erschwert, ist meine Begierde und die Sehnsucht mich ausleben zu können und eine Person zu haben, die ich lieben kann und von der ich ebenso geliebt werde. Das Doppellebenspiel ist mir nicht unbekannt. Neben meiner Familie tauche ich in eine Rolle ein, die mir an und für sich nicht fremd ist, dennoch unlieb erscheint. Daraus resultiere ich, dass alle Menschen fähig sind, auf der Bühne zu stehen und in Rollen hineinzuschlüpfen. Ich bin der Meinung, dass wir alle Situationen kennen, in denen wir uns anpassen oder verstellen und somit von der eigenen Rolle in eine fremde Rolle schlüpfen. Bezogen auf das Problem ist es eine Frage der Geduld. Es bedarf viel Geduld die Rolle auszuhalten. In die Rolle werde ich ohnehin reingedrängt, nun kommt es darauf an, wie ich mit der Rolle umgehe. Es lässt sich erschließen, dass es mir lieber wäre, die Rolle nicht annehmen zu müssen, aber der Druck ist immens, dem Druck könnte der Mut entgegenstehen. Weiter gedacht bin ich mir ebenso dessen bewusst, dass selbst meine Eltern in einer toxischen Rolle seit jeher gefangen sind und das Leben nicht außerhalb ihrer zugeschriebenen Rollen kennen. Nichtsdestotrotz können sie sich nicht das Recht nehmen anderen eine Rolle einzuzwängen. So leicht es sich auch sagen lässt, es ist sehr schwierig, aber alle sollten doch selbst entscheiden, ob, wann, wo und wie sie in eine Rolle schlüpfen oder sie aus einer Rolle herauswollen. Und ich für meine Person muss es ebenso tun. Es ist ein Prozess und ich entscheide, wann ich aus der Rolle, die von meiner Familie zugeschrieben wurde, herausbrechen möchte. Immerhin geht es um mein Wohlbefinden und ebenso um Gefahren- und Risikenabschätzung.