Über das generische Maskulinum

2023-09-12_mT_Beitragsbild_Tom_Gendern

Tom reagiert auf Harald Martensteins Auslassungen bei radioeins mit einer Replik, die wirkt wie ein Tritt ins Gemächt, der einen Sternchen sehen lässt.

Erst vor einer Weile habe ich zum ersten Mal eine Person in dieser Männers-Sprache so richtig reden hören. Damit mein ich in einer privaten Situation. Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass manche Leute so etwas auch im Alltag tun. In meiner neu-hippen Lübecker Bubble habe ich Männers-Sprache für ein Phänomen der Boomergeneration, auf konservativen Wahlplakaten oder Medienformaten wie „Markus Lanz“ gehalten. Überall dort halt, wo ein Cis-Dude ein politisches Bekenntnis ablegen soll oder will. Ich kenne keinen einzigen bekennenden Menschen in meiner Nachbar:innenschaft.
Es war auf einer Fete, meine Gesprächsperson war Kolumnist bei der „ZEIT“ und dem „Tagesspiegel“. Sowie beim Radiosender „Radio Eins“ vom RBB und dem NDR. Frisch im Kiez.
Der Mensch erzählte von seinen ersten Berührungspunkten mit Journalist:innen. Dabei sprach er stets von Medienmännern und den Kameramännern. Dort, wo in gendersensibler Sprache ein Glottisschlag steht, fügte er einfach ein „Mann“ hinzu. Mann – klingt nach einem populistischen Menschen, der sich aufregt über sogenanntes „Gendergaga“. Es ist aber ein Teil des gesellschaftlich und zwar nur gesellschaftlich konstruierten binären Geschlechtersystems. Letzteres unterscheidet zwischen Mann und Frau.
Wir befanden uns in einem Zwiegespräch. Keine einzige Person stand in unmittelbarer Nähe. Das machte die Situation so sonderbar. Kein Mensch war Zeug:in unseres Dialoges, der Kolumnist hätte natürlich „Zeuge“ gesagt. Es gab keinen vom Patriarchat ermächtigten Mann, der sich hätte herabgesetzt, nicht repräsentiert, umgekehrt diskriminiert (was unmöglich ist und wissenschaftlich belegt ist), nicht mit gemeint oder auf welche Weise auch immer hätte ungut fühlen können.
Außerdem redete ich in der normalen entgenderten Sprache, die alle mit meint, ohne generisches und damit gegendertes Masukulinum. Es fühlte sich ein bisschen so an, als ob zwei deutsche Muttersprachler:innen sich auf einer einsamen Waldlichtung treffen, von denen einer konsequent männlisch spricht, damit keine Person auf der Welt sich ausgeschlossen fühlt, die nicht verstehen will, dass Sprache wandelbar ist, einen großen Teil dazu beiträgt, Diskriminerungen abzubauen. Zum Beispiel: Harald Martenstein und Jan Fleischauer.
Aber weil weit und breit kein Mensch mithört, hat die andere Person, die inklusiv sprechende, das Gefühl, das hier vielleicht eine versteckte Kamera im Spiel ist, um ihre Reaktion zu testen. Oder dass die andere Person ein ignoranter, unreflektierter, hassender Cis-Dude ist, den Mensch aus Angst vor seiner Gehässigkeit besser nicht anspricht.
Ja, das Aussterben der Paradigmen durch den demographischen Wandel nimmt mir hier zum Glück einiges ab. Sonst könnten wir den generationenübergreifenden Prozess der Sprache wohl gar nicht so schnell machen. Der Abschied von den wütenden Autofahrern und Pegida Opas fällt uns schwer, wissen wir ja.
Die Leser:innen freuen sich bestimmt nicht, wenn sie die Kolumne „Über das Gendersprechen“ mal zu lesen bekommen. Nur, wenn sie dann noch erfahren, dass NDR, RBB, ZEIT und TAGESSPIEGEL diesem Dude eine Stimme geben, wird ihnen die Kinnlade herunterfallen, stimmts? „Das Sprechen über Vielfalt in Sprache haben wir übrigens einem einfältigen Mann angeboten, gibt ja sonst keine Menschen, die über dieses Thema sprechen könnten. Ja und wenn er nicht gestorben ist, dann schreibt und spricht er noch heute für uns.“ Und so weiter.
Den Dialog der sich im Kreis drehenden Dudes in bekannten deutschen Medienhäusern gerade eben hab ich erfunden. Aber es war so ähnlich. Ich konnte mich gar nicht auf den Inhalt dieses Dudes konzentrieren, weil mein Gehirn mit der Entschlüsselung des Subtextes dieser Situation vollkommen ausgelastet war. Sollte ich aus Höflichkeit anfangen, ihn ernst zu nehmen? Neiiin, das wäre eine Art Kapitulation gewesen.
Was hier stattfand war eindeutig „Mansplaining“, also das Zeichen: „Ich erklär dir als Mann mal meine Welt und gehe davon aus, dass deine genauso aussieht. Ich lasse dich gar nicht zu Wort kommen. Oder?“
Wenn der einfältige Dude in seiner Alt-Kolumnistenblase so redete, dachte er sich womöglich gar nichts dabei in seinen Männerbünden. Auf jeden Fall war es klug, sich schnell zum veganen Buffet zu verabschieden. Sonst hätte es die nächste Diskussion über das generische Fleischessen gegeben. Denn wenn ich aus Versehen dem Cis-Dude etwas Falsches sagen würde, würde der in seinen Augen brave, angepasste Bürger das womöglich noch zur Anzeige als „Terroristischen Akt“ bringen. Und ich hätte den gesamten Gewaltapparat des Staates am Bein. Eine völlig andere Blase als meine. Da muss Mensch aufpassen.

 

Moin! Ich bin Tom. Aufgewachsen auf dem Land in Bayern. Zuhause in Berlin. Neben meiner Arbeit als Journalist für Soziales und Gesellschaft begegnen mir im Alltag und Freundeskreis Themen, wie die Wahrnehmung von Geschlechterrollen, LGBTQ außerhalb Deutschlands und der Zeitgeist der Zukunft. Dabei stelle ich mir selbst und anderen Fragen. Die Antworten dazu oder die Erkenntnis, dass es meist keine eindeutige Lösung gibt blogge ich hier auf meinTestgelände.